
Es ist schwierig aus dieser kompakten und dichten Rede die Schlüsselzitate herauszufiltern und zur Diskussion zu stellen, aber dennoch sollte über seine Rede unter der Überschrift "Toleranz hilft nur dem Rücksichtslosen" diskutiert werden, denn so sehr einige seiner Kritiken auch zu instinktivem Widerspruch reizen und so leichtfertig man ihm vielleicht einseitiges Denken vorwerfen mag, so sehr zeigen diese Reflexreaktionen, dass seine Kritik wunde Punkte trifft, über die wir vielleicht gar nicht reden wollen.
Ein paar Beispiele:
"(...) Ich versuche zu verstehen, warum eine Raketenabfanganlage, die von den Amerikanern in Tschechien gebaut werden soll, den Menschen Angst macht und die Politiker von einer Wiederbelebung des Kalten Krieges phantasieren lässt, während die Tatsache, dass Iran sich zur Atommacht erklärt hat, so gelassen wie ein unvermeidliches Naturereignis hingenommen wird. Es gab keinen Aufschrei der Empörung, als der Direktor des Hamburger Orient-Instituts vor kurzem erklärte, falls Iran wirklich nach Atomwaffen strebe, dann nur deshalb, um mit dem Westen auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können. Teheran gehe es darum, endlich respektiert zu werden. (...)"In der Tat eine abstruse Situation, in der man mehr Angst vor dem eigenen Verbündeten zeigt, als vor dem, der sich auf der gegenüberliegenden Seite der eigenen Weltanschauung befindet und nicht gerade dafür bekannt ist, unser wohlwollender Freund sein zu wollen.
"(...)Und wenn es dann auch noch heißt, das Existenzrecht Israels sei nicht verhandelbar, es stehe nicht zur Disposition, höre ich aus solchen Zusicherungen das Gegenteil heraus.Es ist sicherlich schwierig das Thema Israel in Kategorien wie "richtig" und "falsch" abzuhandeln, denn es gibt wohl kaum jemanden, der bei diesem Thema noch keine Fehler gemacht hat, von Israel selbst ganz zu schweigen. Trotzdem besteht der Staat Israel nunmal und es ist müßig darüber zu diskutieren, ob seine Entstehung 100% korrekt gelaufen ist oder nicht. Und es ist ein völlig anderes Thema, ob die Leute, die dort wohnen und regieren, alles richtig machen oder ob ihr Vorgehen vielleicht doch etwas sehr über die Grenzen des Zumutbaren schlagen.
Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Nachbar Ihnen jeden Tag versichern würde, er habe nicht vor, Sie umzubringen, Ihre Frau zu vergewaltigen und hinterher Ihr Haus abzufackeln? (...)"
"(...)Ja, sie haben sich nicht verhört: ich sagte Toleranz. Toleranz war das Gebot der Zeit, als Lessing seinen Nathan in eine Welt setzte, die vertikal organisiert war. Die einen waren oben und die anderen waren unten, und dazwischen war wenig. Aber in horizontal organisierten Gesellschaften, in denen es kein Oben und kein Unten, sondern ein breites Spektrum an homogenisierten Angeboten gibt, unter denen man wählen kann, in horizontal organisierten Gesellschaften kommt das Toleranzgebot nicht den schwachen, sondern den Rücksichtslosen zugute. Sie sind es, die mit der Toleranzkeule um sich schlagen und Rechte einfordern, die sie anderen verweigern. (...)"Irgendwie ist das was dran, wie gerade seine Spekulation zeigt, in der eine Kannibalen-Selbsthilfegruppe gesellschaftliche Anerkennung als Alternative zur vegetarischen Lebensweise fordert, denn beide zeichneten sich doch durch eine gewisse Einseitigkeit aus. Wäre ich weniger erfahren im Schwachsinn dieser Welt, würde ich soetwas für völlig unmöglich halten. So jedoch halte ich gerade dieses Beispiel für eine Frage der Zeit, bis es Realität wird.
"(...)Toleranz steht auf dem Paravent, hinter dem sich Bequemlichkeit, Faulheit und Feigheit verstecken. Toleranz ist die preiswerte Alternative zum aufrechten Gang, der zwar gepredigt, aber nicht praktiziert wird.Es mag im ersten Moment klingen, als streite Herr Broder gegen den Islam oder gegen die Palästinenser, aber bei näherer Betrachtung tut er genau das nicht. Er streitet für die Aufklärung, auf die wir uns hier im westlichen Kulturkreis so viel einbilden. Er streitet für die Verteidigung jener Weltanschauung, auf deren Grundlage wir uns für überlegen gegenüber den theokratischen Systemen und den von Dogmen geprägten Regimen halten.
Wer heute die Werte der Aufklärung verteidigen will, der muss intolerant sein, der muss Grenzen ziehen und darauf bestehen, dass sie nicht überschritten werden. Der darf "Ehrenmorde" und andere Kleinigkeiten nicht mit dem "kulturellen Hintergrund" der Täter verklären und den Tugendterror religiöser Fanatiker, die Sechzehnjährige wegen unkeuschen Lebenswandels hängen, nicht zur Privatangelegenheit einer anderen Rechtskultur degradieren, die man respektieren müsse, weil es inzwischen als unfein gilt, die Tatsache anzusprechen, dass nicht alle Kulturen gleich und gleichwertig sind. (...)"
Implizit stellt er die Frage nach der Motivation, die uns lieber den größten Schwachsinn widerspruchslos schlucken lässt, statt eben diesen Schwachsinn anzuklagen und Rückgrat zu beweisen. Er kritisiert aber nicht nur generell alle Extremisten, die auf dem Rücken der Einforderung der Toleranz von uns verlangen akzeptiert und unterstützt zu werden, er kritisiert genau so sehr das scheinheilige Gehabe von Politikern und Medien aber auch von Anwälten und der Justiz, das von der Bevölkerung nahezu widerspruchsfrei akzeptiert und zur Kenntnis genommen wird.
Seine Kritik lautet, dass die Toleranz, die von uns gefordert wird, immer nur denen nützt, die diese Toleranz einfordern, aber nie denen, die diese Toleranz gewähren. Er folgert aus seinen Beobachtungen, dass die "Toleranz", die geübt wird, am Ende nichts Anderes ist, als Feigheit in einem anderen Gewand. Feigheit, für diejenigen Werte und Normen einzustehen, deren Existenz keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein harter Kampf, der von Anfang an Menschenleben gekostet hat und auch weiterhin kosten wird. Die Welt, in der wir hier leben, ist eine bequeme Welt und eine komfortable Welt, aber sie ist nicht "gottgegeben" und sie ist auch nicht "garantiert", im Gegenteil. Je mehr wir uns zurücklehnen, uns aus der Verantwortung stehlen unsere Weltanschauung mit aller Kraft und Härte zu verteidigen, desto mehr steht sie zur Disposition zugunsten all jener, die bereit sind für ihre Interessen mit allen erreichbaren Mitteln einzutreten.
Auch wenn ich nicht in jedem Punkt mit Herrn Broder übereinstimme, kann ich nicht umhin, dieser Kritik im Kern zuzustimmen.
(Quelle: Spiegel)