Montag, 25. Juni 2007

Eine Frage der Toleranz

PakistanEin Preis wurde verliehen. Ein Literaturpreis, benannt nach dem als Wegbereiter der literarischen Kritik in Deutschland, insbesondere des Feuilletons, geltenden deutschen Journalisten, Literatur- und Theaterkritiker Ludwig Börne. Erhalten hat ihn Henryk Modest Broder, der unter anderem für den Spiegel schreibt. Seine Dankesrede, die heute bei Spiegel Online veröffentlicht wurde, strotzt nur so vor Kritik am unverständlich toleranten Verhalten der aufgeklärten Welt gegenüber den Extremisten dieser Welt.

Es ist schwierig aus dieser kompakten und dichten Rede die Schlüsselzitate herauszufiltern und zur Diskussion zu stellen, aber dennoch sollte über seine Rede unter der Überschrift "Toleranz hilft nur dem Rücksichtslosen" diskutiert werden, denn so sehr einige seiner Kritiken auch zu instinktivem Widerspruch reizen und so leichtfertig man ihm vielleicht einseitiges Denken vorwerfen mag, so sehr zeigen diese Reflexreaktionen, dass seine Kritik wunde Punkte trifft, über die wir vielleicht gar nicht reden wollen.

Ein paar Beispiele:
"(...) Ich versuche zu verstehen, warum eine Raketenabfanganlage, die von den Amerikanern in Tschechien gebaut werden soll, den Menschen Angst macht und die Politiker von einer Wiederbelebung des Kalten Krieges phantasieren lässt, während die Tatsache, dass Iran sich zur Atommacht erklärt hat, so gelassen wie ein unvermeidliches Naturereignis hingenommen wird. Es gab keinen Aufschrei der Empörung, als der Direktor des Hamburger Orient-Instituts vor kurzem erklärte, falls Iran wirklich nach Atomwaffen strebe, dann nur deshalb, um mit dem Westen auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können. Teheran gehe es darum, endlich respektiert zu werden. (...)"
In der Tat eine abstruse Situation, in der man mehr Angst vor dem eigenen Verbündeten zeigt, als vor dem, der sich auf der gegenüberliegenden Seite der eigenen Weltanschauung befindet und nicht gerade dafür bekannt ist, unser wohlwollender Freund sein zu wollen.
"(...)Und wenn es dann auch noch heißt, das Existenzrecht Israels sei nicht verhandelbar, es stehe nicht zur Disposition, höre ich aus solchen Zusicherungen das Gegenteil heraus.
Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Nachbar Ihnen jeden Tag versichern würde, er habe nicht vor, Sie umzubringen, Ihre Frau zu vergewaltigen und hinterher Ihr Haus abzufackeln? (...)"
Es ist sicherlich schwierig das Thema Israel in Kategorien wie "richtig" und "falsch" abzuhandeln, denn es gibt wohl kaum jemanden, der bei diesem Thema noch keine Fehler gemacht hat, von Israel selbst ganz zu schweigen. Trotzdem besteht der Staat Israel nunmal und es ist müßig darüber zu diskutieren, ob seine Entstehung 100% korrekt gelaufen ist oder nicht. Und es ist ein völlig anderes Thema, ob die Leute, die dort wohnen und regieren, alles richtig machen oder ob ihr Vorgehen vielleicht doch etwas sehr über die Grenzen des Zumutbaren schlagen.
"(...)Ja, sie haben sich nicht verhört: ich sagte Toleranz. Toleranz war das Gebot der Zeit, als Lessing seinen Nathan in eine Welt setzte, die vertikal organisiert war. Die einen waren oben und die anderen waren unten, und dazwischen war wenig. Aber in horizontal organisierten Gesellschaften, in denen es kein Oben und kein Unten, sondern ein breites Spektrum an homogenisierten Angeboten gibt, unter denen man wählen kann, in horizontal organisierten Gesellschaften kommt das Toleranzgebot nicht den schwachen, sondern den Rücksichtslosen zugute. Sie sind es, die mit der Toleranzkeule um sich schlagen und Rechte einfordern, die sie anderen verweigern. (...)"
Irgendwie ist das was dran, wie gerade seine Spekulation zeigt, in der eine Kannibalen-Selbsthilfegruppe gesellschaftliche Anerkennung als Alternative zur vegetarischen Lebensweise fordert, denn beide zeichneten sich doch durch eine gewisse Einseitigkeit aus. Wäre ich weniger erfahren im Schwachsinn dieser Welt, würde ich soetwas für völlig unmöglich halten. So jedoch halte ich gerade dieses Beispiel für eine Frage der Zeit, bis es Realität wird.
"(...)Toleranz steht auf dem Paravent, hinter dem sich Bequemlichkeit, Faulheit und Feigheit verstecken. Toleranz ist die preiswerte Alternative zum aufrechten Gang, der zwar gepredigt, aber nicht praktiziert wird.

Wer heute die Werte der Aufklärung verteidigen will, der muss intolerant sein, der muss Grenzen ziehen und darauf bestehen, dass sie nicht überschritten werden. Der darf "Ehrenmorde" und andere Kleinigkeiten nicht mit dem "kulturellen Hintergrund" der Täter verklären und den Tugendterror religiöser Fanatiker, die Sechzehnjährige wegen unkeuschen Lebenswandels hängen, nicht zur Privatangelegenheit einer anderen Rechtskultur degradieren, die man respektieren müsse, weil es inzwischen als unfein gilt, die Tatsache anzusprechen, dass nicht alle Kulturen gleich und gleichwertig sind. (...)"
Es mag im ersten Moment klingen, als streite Herr Broder gegen den Islam oder gegen die Palästinenser, aber bei näherer Betrachtung tut er genau das nicht. Er streitet für die Aufklärung, auf die wir uns hier im westlichen Kulturkreis so viel einbilden. Er streitet für die Verteidigung jener Weltanschauung, auf deren Grundlage wir uns für überlegen gegenüber den theokratischen Systemen und den von Dogmen geprägten Regimen halten.

Implizit stellt er die Frage nach der Motivation, die uns lieber den größten Schwachsinn widerspruchslos schlucken lässt, statt eben diesen Schwachsinn anzuklagen und Rückgrat zu beweisen. Er kritisiert aber nicht nur generell alle Extremisten, die auf dem Rücken der Einforderung der Toleranz von uns verlangen akzeptiert und unterstützt zu werden, er kritisiert genau so sehr das scheinheilige Gehabe von Politikern und Medien aber auch von Anwälten und der Justiz, das von der Bevölkerung nahezu widerspruchsfrei akzeptiert und zur Kenntnis genommen wird.

Seine Kritik lautet, dass die Toleranz, die von uns gefordert wird, immer nur denen nützt, die diese Toleranz einfordern, aber nie denen, die diese Toleranz gewähren. Er folgert aus seinen Beobachtungen, dass die "Toleranz", die geübt wird, am Ende nichts Anderes ist, als Feigheit in einem anderen Gewand. Feigheit, für diejenigen Werte und Normen einzustehen, deren Existenz keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein harter Kampf, der von Anfang an Menschenleben gekostet hat und auch weiterhin kosten wird. Die Welt, in der wir hier leben, ist eine bequeme Welt und eine komfortable Welt, aber sie ist nicht "gottgegeben" und sie ist auch nicht "garantiert", im Gegenteil. Je mehr wir uns zurücklehnen, uns aus der Verantwortung stehlen unsere Weltanschauung mit aller Kraft und Härte zu verteidigen, desto mehr steht sie zur Disposition zugunsten all jener, die bereit sind für ihre Interessen mit allen erreichbaren Mitteln einzutreten.

Auch wenn ich nicht in jedem Punkt mit Herrn Broder übereinstimme, kann ich nicht umhin, dieser Kritik im Kern zuzustimmen.

(Quelle: Spiegel)

2 Kommentare:

  1. ich fühl mich an die Southparkfolge zur "Toleranz" erinnert.

    Anyway beobachte ich auch im Alltag und sehr oft wenn ich mich mit anderen Unterhalte wie wenig sie eigentlich einen Demokratie schätzen, wissen was mit ihr möglich ist (ich nehm mich selbst nicht aus dass ich alle Möglichkeiten einer Demokratie kenne) und warum der Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeit ist für die er zu gern hingenommen wird.

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  2. Zitat aus "Fick mein Gehirn", Fischmob, 1995, EMI:

    "Gib mir das Korsett für den aufrechten Gang, statt Freiheit gib mir Wegweiser: Wo geht's lang?!"

    12 jahre alt der Song, hat aber trotz seines eher gegen Kommerzwahn gerichteten Textes nichts, aber auch gar nichts an Aktualität eingebüßt. Nur der Kontext hat sich verändert.

    Die Gesellschaft, in der wir leben, ist - und das ist ziemlich beknackt, dass ausgerechnet ich das von mir gebe, weil ich mir vorgenommen hatte, sowas wie meine Eltern nie zu sagen - verkommen. Bildungstechnisch, Welt- und Innenpolitisch und wirtschaftlich ist erstmal Stagnation erreicht, aber das kann getrost dem Importhunger aufstrebender Länder zugeschrieben werden. Wenn die erstmal weiter sind, gehts hier wieder weiter bergab...

    Diese "Ich will es allen Recht machen"-Mentalität der Politik in Europa kotzt mich an. Da werden faule Kompromisse ausgehandelt mit einem polnischen Präsidenten, bloß um ihn zufrieden zu stellen, sich Liebkind zu machen und den guten Freund zu spielen. Herrgott, die Argumentation von Kaczynski ist alles andere als sinnig und Polen ist nunmal nicht im Recht, so viele Stimmen zu bekommen.

    Da werden Truppen in Krisenherde entsandt, bloß um Bush und Cons. zufrieden zu stellen. Da werden Zahlungen in Milliardenhöhe nach Afrika geleistet, bloß um dortige Regierungschefs zufrieden zu stellen. Dass das Geld dann andere Verwendung als vorbestimmt findet, will ich hier noch nichtmal groß zur Diskussion stellen.

    Es kann doch nicht sein, dass wir uns ducken und bestimmte Dinge nicht mehr tun sollen, bloß weil irgendwer sich auf den Schlips getreten fühlt. Beispiel Mohammed-Karrikaturen - ich kapiere bis heute nicht, wieso davon so ein Aufriss gemacht wird. Und wieso in Berlin ein Theaterstück, also ein Kunstwerk, von höchster Ebene aus abgesägt wird, aus Angst, es könnte zu Ausschreitungen durch Muslime kommen.

    In was für einer Welt leben wir denn?

    Unsere Vorfahren haben in einem halben Jahrhundert viel Scheiße gebaut. Aber sollen wir dafür bis ins achte Glied unserer Nachkommenschaft Buße tun? Müssen wir uns alles gefallen lassen und dürfen wir nicht mehr erhobenen Hauptes die Straße entlang gehen und sagen "Ich bin stolz, dass ich ein Deutscher bin"? Sind unsere Leistungen nichts mehr wert und unsere Werte überholt und abgesagt?

    Ist es uns per Dekret durch den Rest der Welt etwa verboten, uns hinzustellen und zu sagen "Unsere Wertvorstellungen sind das, was wir für richtig halten, und wer hier bei und mit uns leben will sei willkommen, so lange er diese Werte achtet, aber er darf gerne gehen, wenn es ihm nicht gefällt"?

    Wieso wird jemandem, der solche Töne von sich gibt immer pauschal Rechtsextremismus vorgeworfen? Vielleicht strebt dieser Mensch einfach nur nach mehr Würde, nicht nach Macht...

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