
Einige der herausragenden Punkte dieser "Reform" machen selbst mich ziemlich sprachlos. Da ist zum Beispiel geplant, den Begriff des "Jugendlichen" (15- bis 18jährige) im Sexualstrafrecht zu streichen und komplett gegen "Kind" zu ersetzen. Das ist mehr, als nur eine reine Begrifflichkeit oder Sitzfindigkeit, denn Kinder (bislang alles unter 15) sind nicht rechtsmündig. Die Idee dahinter ist, dass Kinder nicht abschätzen können, was sie da grade tun und sie sollen vor ihrer natürlichen Unerfahrenheit geschützt werden. Darum können sie nicht selber zu allem und jedem rechtsverbindlich zustimmen, sondern müssen ihre Eltern entscheiden lassen. Das gilt ab "demnächst" für alle bis einschließlich 18 Jahre - zumindest im Sexualstrafrecht.
Da nach dem reformierten Sexualstrafrecht jede sexuelle Handlung erfasst wird, ist es völlig egal, wie alt der Täter ist. Selbst wenn der selber noch 13, 15 oder 17 Jahre alt ist: Täter ist Täter und dieses Gesetz bezieht sich explizit auf "sexuelle Übergriffe gegen Kinder". Daraus folgt, dass es bald keinen einvernehmlichen Sex mehr zwischen Jugendlichen geben kann, ohne sich dem Risiko eines längeren Gefängnisaufenthalts auszusetzen, denn die Mindeststrafe für "sexuelle Übergriffe gegen Kinder" soll vier Jahre Gefängnis betragen.
Falls das jemandem nicht klar ist: Ein Kind wird auch vor Gericht völlig anders behandelt als ein Erwachsener. Während in einem Strafprozess gegen Erwachsene dem Angeklagten jegliche Rechtsmittel nach seiner Wahl offen stehen, entscheiden im Falle eines Kindes andere darüber, was "das Beste" für das Kind sein könnte, unabhängig davon, ob das Kind das nun will oder nicht - und nicht vergessen, wir reden gerade von Menschen, die eventuell schon 16, 17 Jahre alt sind.
Super, oder? Es kommt aber noch besser. Nicht nur werden Kinder und Jugendliche genauso bestraft wie Erwachsene, auch die Kunst und die Medien und auch die Modewelt dürfen sich warm anziehen. Jede Abbildung (Bild, Foto, Video, Zeichnung oder Kunstwerk) von Personen unter 18 Jahren wird zum schweren Verbrechen mit einer Mindeststrafe von vier Jahren Gefängnis, wenn die Person in "aufreizender Pose" dargestellt wird - egal ob nun nackt oder komplett bekleidet. Übrigens gilt das auch, wenn die abgebeildete Person zwar schon älter als 18 Jahre ist, man sie aber für jünger halten kann. Für vier Jahre in den Knast wandert natürlich nicht nur der, der solchen Schund herstellt, sondern auch jeder, der ihn hat, anderen gibt und so weiter.
Wichtig ist hier, dass es nicht mehr nur um Kinderpornographie geht, etwas, das völlig zu Recht verabscheuungswürdig ist. Es geht um Moralvorstellungen. Es geht nicht um "sexuelle Handlungen", die Erwachsene an Kindern vornehmen oder so, sondern es geht um "aufreizende Darstellungen", eine Formulierung, die man aus den in Sachen Sexualität als besonders liberal eingestellten USA kennt (§2256 Federal Criminal Code).
Übrigens: Diese exzessive Reform des Rechtsverständnisses ist begrenzt auf das Sexualstrafrecht. Eine vergleichbare Reform ist nicht etwa auch für Raub, Diebstahl, Körperverletzung oder Mord vorgesehen. Im Gegenteil. Die Verschärfung richtet sich ausschließlich auf alles, was irgendwie mit "Sex" und "unter 18" zu tun hat, ohne Ansehen von Person, Einzelfall, biologischer oder gesellschaftlicher Wirklichkeit. Das ist auch sehr schön den Einlassungen der Sachverständigen zu entnehmen, die der Deutsche Bundestag zu diesem Thema gehört hat. Besonders die Aussagen von Dr. Helmut Graupner und Dr. Philipp Thiee sollten bei allen die Alarmglocken laut scheppern lassen. Bei den Politikern jedenfalls bestand die Reaktion auf die Aussagen und den Gesetzentwurf aus umfassendem, intensiven und ausdauerndem Schweigen, was wohl bedeutet, dass der Gesetzentwurf ohne größere Probleme durchgewinkt werden wird.
Ist die Verschärfung notwendig? Gute Frage. Eine Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen (erinnern wir uns an den Namen Pfeiffer?) ist die deutsche Bevölkerung davon überzeugt, dass sich die Anzahl der Sexualmorde zwischen 1993 und 2003 fast vervierfacht hat. Tatsächlich sank die Zahl der schweren Sexualverbrechen zwischen 1981 und 2004 auf ein Drittel. Die Feststellung dieses Rückganges fand auf Grundlage der bisher geltenden Rechtsprechung statt, was mir die Frage aufzwingt, was die Reform erreichen soll? Einen Anstieg der Fallzahlen in den Statistiken?
Ach ja: Der Versuch soll in allen Fällen ebenfalls strafbar sein.
(Quelle: Bundestag, Süddeutsche Zeitung, Telepolis, Journalismus)