Samstag, 14. April 2018

Trump, Macron und May lassen es in Syrien knallen

In der vergangenen Nacht haben die USA, England und Frankreich gemeinsam Ziele in Syrien angegriffen. Dieser Angriff galt als Vergeltung wegen des wiederholten Einsatzes chemischer Waffen durch das Regime von Baschar al Assad (eigentlich: Baššār Ḥāfiẓ al-Asad) gegen die eigene Bevölkerung.

Es gibt wenig, was durch die internationale Staatengemeinschaft übereinstimmend so sehr verurteilt wird, wie der Einsatz chemischer Waffen. 1925 wurde im Bewusstsein der grausamen Auswirkungen chemischer Waffen, die im Ersten Weltkrieg von nahezu allen Seiten ungehemmt eingesetzt wurden, das Genfer Protokoll über das "Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder anderen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege" von damals 36 Staaten unterzeichnet.

Das Genfer Protokoll ist eine Weiterentwicklung der Haager Landkriegsordnung, die bereits 1899 ein erstes Verbot von Gift oder vergifteten Waffen enthielt (Zweiter Abschnitt, Erstes Kapitel, Artikel 23 a). Es daher ist keine "neue" Idee, den Einsatz von Giften im Krieg zu ächten. Angesichts der geschätzt 100.000 getöteter und ca. 1,2 Millionen verwundeter Soldaten, die durch den Einsatz von 120.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe zu beklagen waren, schien eine erneute Auseinandersetzung mit dem Thema notwendig. Deutschland gehörte zu den Erstunterzeichnern und ratifizierte das Protokoll 1929. Bis heute sind dem Abkommen 140 Staaten beigetreten. Seit 2013 auch Syrien.

Eigentlich hätte die UN bzw. der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aktiv werden müssen, aber entsprechende Resolutionen wurden immer wieder durch Russland verhindert. Offenbar hatten Trump, Mey und Marcon jetzt den Kanal dicht und haben gehandelt - mit Vorankündigung.

Bereits vor einem Jahr hatten die USA eine Militärbasis in Syrien als Vergeltungsmaßnahme für den Einsatz chemischer Waffen angegriffen. Die Folgen waren damals politisch wie militärisch "überschaubar" und es war klar, dass der Angriff eher symbolischen Charakter hatte. Al Shayrat war bereits wenige Wochen nach dem Angriff wieder im normalen Einsatz.

Meine Kanzlerin hatte schon am 12. April ausgeschlossen, dass sich die Bundeswehr an einem militärischen Einsatz gegen Syrien beteiligen würde. Angesichts der Situation der Bundeswehr war das, obwohl Merkel eigentlich nie ungefragt und schon gar nicht ohne Not etwas kategorisch ausschließt, wohl auch eher eine offensichtliche Feststellung der Realität. Niemand mit ausreichend Hirn im Kopf würde auch nur ansatzweise in Erwägung ziehen, dass sich die Bundeswehr an einem militärischen Angriff beteiligen könnte, egal wer das fordert oder befiehlt. Interessant ist allerdings, dass sie zwar die militärische Unterstützung ausschloss, aber zu finanziell und politisch kein Wort verlor. Man darf spekulieren.

Jetzt wurden mehrere Ziele in Syrien angegriffen und meine Kanzlerin sagt zu den Angriffen:

"Der Militäreinsatz war erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der internationalen Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes zu wahren und das syrische Regime vor weiteren Verstößen zu warnen." "Wir unterstützen es, dass unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in dieser Weise Verantwortung übernommen haben."
(Angela Merkel, Bundeskanzlerin, CDU)

Die Schwierigkeit des Themas zeigt sich in der international kontrovers geführten Debatte: Darf man Syrien militärisch angreifen, um das Regime dazu zu zwingen, den Einsatz chemischer Waffen zu unterlassen? Darf das ohne UN Resolution geschehen? Kann Assad auf diplomatischem Wege dazu gezwungen werden? Es ist ja nicht so, dass alles das nicht versucht worden wäre. Eine Beschlussfassung der UN wurde mehrfach versucht herbeizuführen - siehe oben. Auch auf diplomatischem Wege außerhalb der UN wurde viel und lange versucht.

Es ist auch nicht so, dass die US, England und Frankreich unmittelbare territoriale Interessen in Syrien zeigen würden, wie es z. B. Iran, Russland oder die Türkei tun. Allerdings ist "der Westen" am Konflikt in Syrien direkt beteiligt, der inzwischen durchaus als "Stellvertreterkrieg" bezeichnet werden kann.

Bevor man allerdings skandierend auf die Straße rennt und die jetzt handelnden Staaten pauschal in Bausch und Bogen verurteilt, sollte man sich über eins im Klaren sein: Das syrische Regime setzt Chemiewaffen gegen die eigene Zivilbevölkerung ein. Wenn es "wenigstens" gegen fremde Truppen wäre, man könnte anders diskutieren. Aber gegen die eigene Zivilbevölkerung? Darf die internationale Staatengemeinschaft, darf irgendein Staat da sagen "mir egal, mach mal"? Ich denke nicht.

Um sich eine Vorstellung zu machen, wie sehr sich das Assad-Regime an das Protokoll gegen Chemiewaffen gebunden fühlt, empfehle ich ein wenig Lektüre.

Die größere Frage ist allerdings, worin die langfristige, übergeordnete Lösung besteht. Angenommen, Assad würde abgesetzt - was angesichts der offensichtlichen Interessen Moskaus (Stichworte: Tartus, Khmeimim) und Teherans (Stichworte: Schiiten, Hisbollah) kaum realistisch ist. Aber spielen wir das mal durch. Assad ist weg vom Fenster. Und dann? Wer soll die Nachfolge antreten?

Die eine Opposition gibt es in Syrien nicht. Das, was an Opposition überhaupt noch am Leben ist, sitzt entweder in syrischen Foltergefängnissen (in denen, nebenbei bemerkt, angeblich auch ganz gerne mal durch die CERS / SSRC chemische Kampfstoffe an den Insassen ausprobiert werden). Oder die Gruppierungen wurden so weit zusammengeschossen, dass alleine der Gedanke an eine funktionierende Regierungsbildung durch eine Oppositionspartei so abwegig ist wie nur irgendwas. Sobald Assad aber weg vom Fenster wäre, entstünde zwangsläufig ein Machtvakuum, das alle sich in Syrien abwechselnd auf die Mappe hauenden Fraktionen versuchen würden auszufüllen. Der Zusammenbruch des Staates Syrien wäre unausweichlich.

Eine Regierung aus den unterschiedlichen Interessengruppen zu bilden und so die Einheit (und den Fortbestand) Syriens aufrechtzuerhalten (vergleichbar mit dem Libanon) ist unter anderem Idee Moskaus. Das wiederum würde aber einen kompletten Umbau des Staates Syrien erfordern, der im Moment keine Chance auf Erfolg hat, weil die Interessen der unterschiedlichen Interessengruppen, die in Syrien Gebiete halten, nahezu unvereinbar und teilweise sogar offen feindselig sind: Die Regierung Assad und ihre unmittelbaren Oppositionsgruppen, die pro-türkischen Milizen, die pro-iranischen Milizen, die Kurden.

Daneben gibt es noch internationale Interessengruppen, ganz vorne dabei Teheran. Teheran will um jeden Preis eine physische Verbindung zu seinen Verbündeten Gruppierungen halten und eine dauerhafte Präsenz auf syrischem Boden erhalten. Allerdings hat Israel so rein gar kein Interesse an militanten und bewaffneten schiitischen Milizen in Sichtweite der Israelischen Grenze. Die Kurden wiederum wollen einen eigenen Staat, der sich über mehrere Regionen im Irak, der Türkei und Syrien erstrecken würde. Diese Idee findet Ankara mal so gar nicht sexy.

Irgendein Regierungssystem unter der Aufsicht der UN? Nach den Erfahrungen des Afrikanischen Frühlings (Libyen, Ägypten, Tunesien, Sudan) will dieses Experiment niemand ernsthaft schon wieder anfassen und scheitern sehen. Unter Aufsicht der USA? Das werden Moskau, Teheran, Ankara nicht zulassen. Unter Aufsicht Moskaus? Das werden weder die Nato noch Israel erlauben.

Assad an der Macht lassen scheint die im Moment für das Volk finsterste, aber leider einzige irgendwie funktionierende Lösung zu sein. Ihn an der Macht lassen und dann das Land "von außen" wieder aufbauen, Oppositionen etablieren und dann irgendwann Wahlen... Ob das allerdings in der Praxis auch nur im Entferntesten eine realistische Idee ist, vermag wahrscheinlich im Augenblick niemand zu sagen, denn verglichen mit der syrischen Melange ist selbst die Situation in Israel / Gaza / Westbank "ausgeglichen".

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