Deutschland hat ein Problem mit der Bevölkerungsentwicklung. Demographen reiten wie wild darauf herum, dass wir langsam aussterben und unsere Bevölkerung in - aus geologischer Sicht - verschwindend geringen Zeiträumen ausgestorben sein wird. Endzeitstimmung macht sich breit, zumal wenn man bedenkt, dass die Bevölkerungszahlen der Welt insgesamt doch eher eine deutlich steigende Tendenz aufweist.
Die Lösung lautet deshalb: "Importiert Euch Bürger, dann ist die Nachwuchsproduktion ein vernachlässigbares Problem." Soweit die Theorie. In der Praxis haben wir hierzulande aber dann doch so ein oder zwei kleinere Probleme mit Menschen, die woanders herkommen und jetzt hier leben wollen. Einerseits wollen wir, dass sich diese Menschen hier zu Hause fühlen, aber andererseits wollen wir nicht, dass Deutschland zur zweiten Türkei oder zu einer Ablegerprovinz irgendeiner fanatischen Moslemtheokratie wird.
Und dann ist da ja auch noch unser Problem mit dem Recht. Wir haben ja unsere ganz eigene Auffassung von Recht und Unrecht. Wir rotieren gerne unter der Decke, wenn der Staat wissen möchte, ob wir tatsächlich sind, wer wir behaupten zu sein und skandieren "Polizeistaat" und anderes, haben aber keine Probleme damit, irgendwelchen wildfremden Unternehmen in Tacka-Tucka-Land alle persönlichen Informationen hinterher zu werfen, die uns gerade einfallen.
Wir haben auch überhaupt keine Probleme damit, dass weltumspannende Finanzkonsortien mehr Informationen über uns sammeln und bar jeder Rechtskontrolle nach eigenem Gusto verwenden, als jede noch so sammelwütige staatliche Stelle jemals anhäufen könnte, machen uns aber erheblich in die Hose, sobald der Staat endlich mal eine echte Möglichkeit haben will zu überprüfen, ob der, der da gerade einen Ausweis vorlegt, auch derjenige ist, für den der Ausweis ausgestellt wurde.
Diese Schieflage der Wahrnehmung führt zu allerlei interessanten Extremen in der Diskussion um Ausländer, Zuwanderer, Auswanderer, staatlicher Kontrolle, Datenschutz und so weiter und so fort. Die eine Seite unterstellt militante Bestrebungen, den Staat zu zerstören, die andere Seite unterstellt das Streben nach einem totalitären Kontrollstaat. Argumentativ so konstruktiv, wie schimmeliges Brot wirft man sich gegenseitig alles an den Kopf, was nur irgendwie an den Haaren herbeizuziehen ist.
Ein hervorragendes Beispiel dafür sind die Überlegungen des Bundesinnenministers Schäuble, der sich öffentlich einige Gedanken darum macht, wie denn in der Welt von heute und morgen die Sicherheit des Staates und seiner Bürger gewährleistet werden kann. Er bemerkt, dass die Unterscheidung zwischen "Völkerrecht in Friedenszeiten" und "Völkerrecht in Kriegszeiten" heutzutage irgendwie nicht mehr alle Probleme abdeckt und man sich deshalb darum mal ein paar Gedanken machen sollte.
Unabhängig davon, dass diese Überlegung der aktuellen Entwicklung des Einsatzes von Streitkräften international Rechnung trägt, wird sofort von der Gegenseite Zeter und Mordio geschrien und unterstellt, dass hier die Grundrechte Abgeschafft und die Verfassung ausgehöhlt werde. Da frage ich doch mal ganz unbedarft: Haben wir dem Kongo den Krieg erklärt? Oder Afghanistan? Unsere Soldaten tun da Dienst. Wenn Deutschland sich mit diesen Staaten aber nicht im Krieg befindet, auf welcher Völkerrechtsgrundlage werden denn diejenigen Behandelt, die unseren Soldaten als "Gegner" gegenübertreten?
Nächste Frage: Welche Rechtsgrundlage zieht man heran, wenn eine international operierende Organisation pauschal "dem Westen" den Krieg erklärt, die betroffenen Staaten aber irgendwie keinen Ansprechpartner haben, dem sie auf diese Kriegserklärung antworten können? Einem Staat kann man ja auf diplomatischer Ebene antworten. Dafür gibt es Botschaften, ständige Vertretungen, internationale Gremien und Zusammenschlüsse und so etwas. Aber wie antwortet man auf eine Kriegserklärung einer Organisation, die genau so etwas nicht hat und auch gar nicht haben will und selber auch gar kein Staat im herkömmlichen Sinne ist?
Das althergebrachte Völkerrecht stößt da an Grenzen, die einen ziemlich faden Nachgeschmack hinterlassen, denn so ganz richtig kann das irgendwie nicht sein, wenn man völkerrechtliche Bestimmungen anwenden will, die sich eigentlich auf Armeen beziehen und nun für Leute angewendet werden, die nach herkömmlicher Auffassung eher Terroristen sind. Bei der RAF damals, da hatten die Gerichte schon so ihre liebe Not zu begründen, warum diese Leute "gewöhnliche Verbrecher" sind, die zwar militant vorgehen, aber trotzdem keinen Anspruch auf Anwendung des Kriegsvölkerrechts hatten, weil sie ja immerhin deutsche Staatsbürger waren. Was aber tun bei jemandem, der - nur als Beispiel - Pakistani oder Palästinenser ist und behauptet, er wolle Deutschland den Krieg erklären?
Davon mal ganz abgesehen: Wie will man ein Land wie Deutschland vor solchen Problemen und Gefahren schützen? Muss man das überhaupt oder kann man auch einfach so tun, als wäre das ja alles gar nicht so schlimm? Bisher ging ja auch alles gut und es wurde noch niemand Opfer eines Bombenanschlages im Namen irgendeines diffusen Machtanspruchs extremer Religionsfanatiker oder so.
Die Gegenfrage lautet: Wenn pauschal "der westlichen Welt", "dem Kapitalismus", "den Ungläubigen" der Krieg erklärt wird, wenn ganz konkret Drohungen gegen Europa und auch direkt gegen Deutschland ausgesprochen werden, kann es sich vor diesem Hintergrund der Staat Deutschland leisten, solche Drohungen zu ignorieren, weil ja bisher nichts passiert ist und sich das Problem schon irgendwie lösen wird, denn für den einzelnen Bürger hier ist ja das Risiko verschwindend gering, Opfer eines solchen Angriffs zu werden?
Angenommen, der Staat macht genau das. Angenommen, die Regierung sagt sich "alles reine Panikmache", winkt ab und ergreift keinerlei vorbeugende Maßnahmen seine Bevölkerung zu schützen. Angenommen irgendeine extrem-radikale Organisation sucht sich Deutschland als Ziel aus. Angenommen, diese Organisation würde bei nur einem einzigen Anschlag - stapeln wir mal tief - ein paar Leute verletzen. Was wären die Vorwürfe, die sofort und dann auch berechtigt von Bevölkerung und Medien angesichts der internationalen Erfahrungen gegen die Regierung erhoben würden? Genau: "Warum habt ihr uns nicht geschützt?" "Warum habt ihr nichts getan, um das zu verhindern?"
Die Notwendigkeit für den Staat, auf diese Gefahr zu reagieren ist deshalb sehr konkret, auch wenn die Gefährdung des einzelnen Bürgers sehr abstrakt ist. Es ist nun mal die Aufgabe des Staates, seine Bürger vor jeder Gefahr von außen und innen zu schützen. Aus diesem in der Verfassung verankerten Auftrag und der internationalen Situation ergibt sich klar erkennbar die Handlungsnotwendigkeit für den Staat. Problematisch wird dieser Auftrag, weil die Situation eben nicht auf die Vorstellungen und Ideen der Verfassungsväter passt, die sich vor 60 Jahren unser Grundgesetz ausgedacht haben.
Die Schutzmaßnahmen, die der Staat ergreifen muss, um seinem Auftrag genüge zu tun, kollidieren mit ebenfalls in der Verfassung verbrieften Rechten derjenigen Bürger, die er schützen muss. Daraus resultiert der Konflikt, den wir zur Zeit erleben und die sich darum entwickelnden Debatten um Freiheit, Grundrechte und Sicherheit. Es ist richtig, dass nicht jedes Ansinnen staatlicher Stellen kritiklos angenommen wird. Es ist auch vollkommen richtig, dass über die Eingriffe in die Grundrechte hart gestritten wird. Es ist aber auch richtig, dass Vorschläge gemacht werden, wie denn überhaupt die wie selbstverständlich geforderte individuelle Sicherheit jedes Bürgers gewährleistet werden soll. Dazu gehört auch, dass Maßnahmen ins Spiel gebracht werden, die nicht in unsere Vorstellung eines liberalen Rechtstaates passen und uns eher an totalitäre Systeme erinnern.
Herr Schäuble wird seinem Auftrag vollkommen gerecht. Er überlegt Maßnahmen, die die Sicherheit der Menschen in Deutschland sicherstellen sollen. Er stellt sie zur Diskussion und arbeitet Konzepte aus, wie diese Maßnahmen umzusetzen sind und wie sie in der Gesetzgebung zu verankern sind, damit sie eben nicht im rechtslosen Raum stattfinden, sondern auf Grundlage ordentlicher Gesetze und im Rahmen der Verfassung. Es gehört dabei zum Handwerk eines Politikers, diese Ideen als Forderungen zu formulieren und sie für Medien und Öffentlichkeit stark zu vereinfachen. Im politischen Prozess, der sich solchen Forderungen anschließt, klärt das demokratische System, ob diese Forderung tragbar ist oder nicht.
Gerade deshalb zeigen die zum Teil äußerst emotional und fern jedes Sachbezuges geführten Diskussionen, dass dieses System funktioniert, denn die Diskussionen der Bevölkerung haben unmittelbare Auswirkungen auf die Politik. Das wiederum zeigt sich nicht zuletzt anhand der Entwicklung der politischen Diskussion der Maßnahmen am Rande der Proteste in Heiligendamm (Einsatz der Bundeswehrflieger etc.)
Es ist sicherlich nicht toll, dass bestimmte, individuelle Grundrechte eingeschränkt werden müssen, um die Sicherheit aller und damit am Ende auch den Bestand des Staates zu gewährleisten. Allerdings wäre es hilfreich, wenn sich die Gegner jeglicher Maßnahme mal dazu äußerten, wie denn ihrer Meinung nach genau dieser Schutz gewährleistet werden soll, für den sie nicht bereit sind, irgendwelche Opfer zu bringen.
Nimmt man dieses Problem - nämlich das der Sicherheit - und bringt es in Verbindung mit dem eingangs erwähnten Problem der demographischen Entwicklung Deutschlands, wird das Ganze sehr brisant. Unser ursprüngliches Einwanderungsrecht hatte eine ganze Reihe Unzulänglichkeiten, die dieser Entwicklung einfach nicht Rechnung tragen konnten. Darum wurde es novelliert. Diese Überarbeitung war kompliziert und viele Überlegungen spielten dabei eine Rolle. Letztendlich mussten jede Menge Kompromisse eingegangen werden und herausgekommen ist ein Gesetz, das ganz bestimmt nicht der Weisheit letzter Schluss ist.
Allerdings berücksichtigt dieses Gesetz einige Entwicklungen, die wir anhand des alten Rechts beobachten konnten. Dazu gehört zum Beispiel das Problem der Sprache als zentralen Aspekt Integration und auch das Problem anderer ethnischer Gebräuche. Man denke nur an Zwangsheiraten oder Kinderheiraten, Ehrenmorde, Gettobildung und so weiter.
Die Interessenverbände türkischer Einwanderer sehen die jetzt vom Bundesrat verabschiedete Gesetzesvorlage des novellierten Ausländerrechts als "Das ist ein dunkler Tag für Deutschland, an dem Verfassungsrechte ausgehöhlt und ethnische Diskriminierungen festgeschrieben werden, eine Schande für die Bundesrepublik", denn: Zukünftig gilt, zum Thema "Nachzug ausländischer Ehepartner" ein Nachzugsalter von mindestens 18 Jahren, entsprechend der Volljährigkeit nach deutschem Recht. In Deutschland lebende Ausländer müssen nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können, wenn sie einen Ehepartner aus dem Ausland nachholen. Der einreisende Ehegatte bei der Einreise deutsche Sprachkenntnisse nachweisen.
Die türkischen Verbände, die sich als Interessenvertreter von Millionen Migranten verstehen, erklären, es werde dadurch mit zweierlei Maß gemessen und beziehen die Gesetzgebung natürlich speziell auf die Türkei und packen die "anti-türkische" Argumentationskeule aus. Sehr hilfreich für einen konstruktiven Dialog. Und weil das nationalistische Argument alleine noch nicht ausreicht, legen diese Verbände noch einen drauf.
Die so argumentierenden Verbände drohen nämlich auch mit sofortigem Rückzug aus der Islamkonferenz, in der der Staat mit den Verbänden der entsprechenden Glaubensrichtungen überhaupt erstmal eine Grundlage finden will, die Interessen aller zu wahren, ohne sich dabei den Gefahren des radikalen Islamismus zu öffnen. Unabhängig davon sei daran erinnert, dass die gerade drohenden "Verbände" selber in der Kritik stehen, gerade mal einen kleinen Bruchteil der betroffenen Menschen zu repräsentieren. Auch die generelle Frage, wieso überhaupt auf Forderungen reagiert wird, die nach allgemeiner Lesart nichts Anderes bedeuten, als Deutschland zu einer zweiten Türkei umzubauen, sei mal außen vor gelassen, denn das Paradoxon, dass alle Moslems aus der Türkei kommen, konnte mir auch noch keiner erklären.
Davon mal ganz abgesehen ist es doch schon erstaunlich, dass sich genau jene Interessenverbände auf einen Staat als Vorbild berufen, der in Sachen Demokratie und Menschenrechte nun nicht gerade als Vorbild bekannt ist und genau diejenigen Praktiken hierzulande erlaubt sehen wollen, die international gerade aus Sicht der Menschenrechte als höchst fragwürdig kritisiert werden.
Ich bin mal gespannt, wie die ganzen Paranoiker, die gerade wieder zum Sturm auf den Reichstag blasen und Schäubles Kopf fordern, auf die sich darstellenden Probleme konstruktiv reagieren werden. Ich vermute aber, dass die Reaktionen aus einem sehr hilfreichen "Nieder mit dem Polizeistaat! Weg mit Schäuble!" bestehen werden.
Als wenn die Probleme an der Person Schäuble hingen...
Samstag, 7. Juli 2007
Gegenvorschlag anybody?
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2 Kommentare:
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guter text...
AntwortenLöschengruß BJ
sicherlich ist es angebracht, auf diese doch relativ junge form der bedrohung durch terrorismus zu reagieren. allerdings befürchte ich, dass herr Schäuble in seinem ehrgeiz evtl. übers ziel hinaus schießen könnte... ich halte es für utopisch, gegen den terrorismus eine absolute sicherheit bieten zu wollen, was wohl in seiner natur begründet liegt. wenn man in diesem zuge über eingriffe ins grundgesetz sinniert, sollte man sich bewusst sein, dass man sich auf sehr dünnem eis bewegt. schließlich wurde dieser gesetzestext in dieser form verfasst, um gewisse fehler, die in der vergangenheit geschehen sind, nie wieder zu ermöglichen. bereits "einfachere" gesetze, wie die geplante vorratsdatenspeicherung, sind zwar gut gemeint, aber sind hinsichtlich der terrorsimusbekämpfung nur von bedingtem nutzen - sie schnüren hauptsächlich die rechte der übrigen bevölkerung
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