Freitag, 18. Mai 2018

Wie gefährlich ist die Lage im Nahen und Mittleren Osten?

Als meine Bundeskanzlerin bei der Verleihung des Karlspreises an Emmanuel Macron sagte: "Die Eskalationen der vergangenen Stunden zeigen uns, dass es wahrlich um Krieg und Frieden geht", hielten das etliche für eine medienwirksame Übertreibung. Das war es wahrscheinlich nicht. Um die Gefahr zu begreifen, lohnt es sich vielleicht, die Situation im Nahen und Mittleren Osten ein wenig zu reflektieren.

Die Tatsache, dass US Special Forces heimlich dem Saudischen Militär bei Operationen gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen helfen, war bereits ein deutlicher, letztendlich aber auch nur ein weiterer Hinweis darauf, dass Trump bewusst auf einen neuen Krieg am Golf zu steuert.

Nach offizieller Lesart endeten die Kriege '91 und '03 mit "Siegen" der USA. Allerdings wurden durch diese "Siege" neue Formen und Ausmaße des Terrorismus losgetreten, Millionen Menschen zu Flüchtlingen und der Mittlere Osten dramatisch destabilisiert.

Ob deshalb auch wirklich von "Siegen" gesprochen werden darf, ist zu Recht umstritten. Ein dritter Golf-Krieg, der sich speziell gegen die Führung des Iran richten wird, wird ohne Frage mit einem weiteren "Sieg" der USA enden - wahrscheinlich aber mit weitaus dramatischeren Folgen, als die vorangegangenen.

Der Iran hat eine - verglichen mit den USA - zwar schwache, trotzdem militärisch modern ausgerüstete, motivierte und erfahrene Armee. Eine militärische Konfrontation zwischen dem Iran und den USA wird auch deshalb tendenziell schwieriger (und härter) als im Irak, gegen ISIS oder in Afghanistan. Der Iran ist weitaus moderner ausgerüstet, geografisch ein Albtraum und größer als Irak und Afghanistan zusammen (viereinhalb Mal so groß wie Deutschland). Letztendlich wird das den Konflikt verlängern, aber es wäre vermessen, dem Iran letztendlich einen Sieg über die US-Truppen zuzutrauen.

Ein Dritter Golf-Krieg verliefe wahrscheinlich nicht ganz nach dem "bewährtem" Muster, denn der Iran verfügt über bemerkenswerte Mittel und Methoden, Angreifern das Leben schwer zu machen. Wenn die USA in den Krieg zögen, hätten sie zwei Optionen: Invasion oder militärisch unterstützte wirtschaftliche Strangulation. Egal wie der Krieg auch immer verläuft, schon das geografische Ausmaß des Feldzuges und die Anzahl der involvierten Akteure stellt die beiden vorherigen Golf-Kriege in den Schatten. Ob das Ziel, einen Regimewechsel zu erzwingen, militärisch erreicht werden kann, ist mehr als fraglich.

Wenn der Iran angegriffen würde und der Iran alle Optionen ausschöpft - warum sollte er auch nicht? - könnte sich das Schlachtfeld im Extremfall von den Küsten des Mittelmeeres bis zur Straße von Hormus erstrecken. Gegenüber stünden sich in dem Fall auf der einen Seite die Allianz aus Iran, Assad in Syrien, Hisbollah im Libanon, diverse Milizen im Irak und im Jemen. Dem stünden auf der anderen Seite die USA, Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE) gegenüber. Sollte der Konflikt in Syrien aus dem Ruder laufen und Tartus und / oder Khmeimim ernsthaft gefährdet sein, würde sich wahrscheinlich Russland einmischen. Auf welche Seite sich das stinkreiche Katar schlägt, bleibt ebenso abzuwarten, wie die Reaktionen in Afghanistan und Pakistan.

Alle Parteien haben sich massiv mit modernsten Waffen ausgerüstet. Jeder Konflikt wäre entsprechend blutig - für alle Beteiligten. Auch die USA müssten sich auf Verluste einstellen, denn insbesondere der Iran besitzt einige moderne Waffensysteme russischer Produktion und hat selber eine ernstzunehmende Rüstungsindustrie, die wiederum Assad mit Waffen und wahrscheinlich die Hisbollah mit Raketen und Munition versorgt hat.

Die USA wiederum haben Israel, Saudi-Arabien und die UAE seit Jahren mit milliardenschweren Rüstungslieferungen ausgestattet und Trump hat versprochen, diese Lieferungen sogar noch auszuweiten. Sobald die USA den Iran angreifen, kann der Konflikt mit Leichtigkeit eskalieren, weil jeder in der Gegend mehr als einen selbsterklärten "Grund" dafür hat, gegen irgendjemanden loszuschlagen und eigentlich nur auf die "richtige" Gelegenheit wartet. Nicht zuletzt, weil USA und Iran gegenseitig erklärte Feinde sind.

Die instabile Lage im Irak könnte endgültig kippen, weil die dem Iran verschriebenen Shia-Milizen sofort gegen die USA losschlagen würden. Die vom Iran materiell und finanziell unterstützte Hisbollah im Libanon würde Israel angreifen, auch um deren Kräfte zu binden. Im Jemen würden die vom Iran unterstützten Milizen die Einheiten Saudi-Arabiens angreifen, um die dort zu binden. Assad wiederum könnte parallel zur Hisbollah gegen Israel vorgehen. Einerseits, um sich die Golan Höhen zurückzuholen, was Israel in eine gefährliche Lage brächte, die Israel nicht zulassen kann. Andererseits auch, um das im syrischen Bürgerkrieg gefestigte Bündnis mit dem Iran einzuhalten und sich bei Israel für diverse Aktionen der Vergangenheit zu revanchieren. Was parallel dazu in Gaza und im Westjordan los wäre, kann man nicht mal erahnen.

Das Resultat einer solchen ausufernden Eskalation wäre kaum auszumalen. Neben den unmittelbaren militärischen Zerstörungen und Verlusten würden gewaltige Flüchtlingsströme in Gang gesetzt. Dagegen wären die bisherigen Flüchtlingsströme aus Syrien ein laues Lüftchen. Der Öl-, Gas- und sonstige Export aus der Region käme quasi zum Erliegen, was unmittelbare Auswirkungen auf die Ölpreise hätte. Bereits das Risiko dieser Eskalation ist schon heute an den Tankstellen bei uns abzulesen. Unsere Exporte in diese Regionen wären ebenso betroffen. Der Schiffsverkehr um die Arabische Halbinsel herum wäre zumindest zeitweise sehr riskant und würde wahrscheinlich ebenfalls stark eingeschränkt. Der Luftraum wäre komplett zu, was wiederum den Flugverkehr in Richtung Indien und Fernost mindestens beeinträchtigen würde. Das alles hätte massive Auswirkungen auf den Welthandel.

Hinzu kämen die unmittelbaren geopolitischen Folgen im größeren Rahmen. Naheliegend sind die nach außen sichtbaren (und deshalb eher symbolischen) Krisensitzungen des UN-Sicherheitsrates und Konflikte auf höchster diplomatischer Ebene. Russland hat sich recht deutlich erkennbar auf die Seite des Iran gestellt. Im Falle einer Eskalation würde das ohnehin angespannte Verhältnis zu Russland weiter belastet.

China war schon früher auch eher auf Seiten des Iran als auf der der USA. Seit den jüngsten Steuern gegen China und Aktionen wie die Nummer mit ZTE ist Xi sicherlich nicht unbedingt Washington gewogen. Auch hier wäre im Falle einer Eskalation kaum mit einer Verbesserung des Verhältnisses zu den USA bzw. zum Westen insgesamt zu rechnen.

Zu welchen Maßnahmen Moskau und Beijing sich letztendlich genötigt fühlen, ist völlig unabsehbar, aber ignorieren werden beide das sicher nicht. Wer sich in welchem Umfang wann und wo und wie beteiligt, ist kaum vorherzusagen. Aber sollten die USA wirklich angreifen, wäre es deshalb keine Frage des "ob", sondern des "wann" und in welchem Umfang die Lage eskaliert.

Sollten die USA nicht angreifen und es gleichzeitig der Koalition aus Europa-Russland-China nicht gelingen, das Abkommen irgendwie zu retten, wird Teheran mit dem endgültigen Ende des Abkommens mit Sicherheit sofort mit dem Bau einer eigenen Atombombe beginnen. Dass Teheran weiß, wie das geht und das theoretisch auch kann, steht außer Frage. Das war ja der Auslöser für das Abkommen. Sobald aber der Iran (wieder) damit anfängt, würde auch Saudi-Arabien jede Hemmung fallen lassen und ebenfalls sofort nach der Bombe greifen. Das wiederum würde eine Kette von Ereignissen und Reaktionen auslösen, auf die niemand im Augenblick vorbereitet ist. Die ewige Nordkorea-Krise mag ein ganz oberflächlicher Eindruck von den zu erwartenden Dimensionen sein.

All das wurde bislang verhindert durch dieses ganz bestimmt nicht perfekte Abkommen mit dem Iran. Aber selbst ohne eine sich abzeichnende Eskalation zwischen Iran und USA markiert das Ende des Abkommens mit dem Iran einen Paradigmenwechsel in der US-Außenpolitik in der Region. Die sich abzeichnende Achse USA-Israel-Saudi-Abrabien stellt nicht nur einen fundamentalen Wechsel der geopolitischen Ausrichtung der USA dar.

Bislang ging es den USA eher um Öl und Gas und weniger um lokale Akteure. Da die USA inzwischen nur noch knapp 30% ihres Öls importieren, davon etwas mehr als die Hälfte davon aus der Region. Die Carter Doktrin diente der Sicherstellung der Versorgung der USA mit Öl und war bisher Grundlage der Androhung von Gewalt gegen jeden in der Region, der das gefährden wollte. Heute geht es eher um die geopolitische Vorherrschaft in der Region. Dieser Wettstreit dreht sich um Saudi-Arabien und Iran, die sich beide jeweils als Mittelpunkt der arabischen Welt verstehen, die Saudis für die Schiiten, der Iran für die Sunniten.

Trump mag Mohammed Bin Salman offenbar und Israel, speziell Netanjahu, sowieso. Israel wiederum nähert sich auch mehr oder weniger intensiv den Saudis an. Den Iran mag Trump dagegen eher nicht so. Israel will schon lange gegen den Iran gezielt losschlagen. Saudi-Arabien hat auch sehr spezielle Ansichten über den Iran.

Ja, Trumps Rückzug aus dem Abkommen ist nachvollziehbar. Auch das Ziel, im Nahen und Mittleren Osten neue geopolitische Fakten zu schaffen ist offensichtlich und nachvollziehbar. Ob allerdings allen klar ist, wie heikel die Nummer tatsächlich ist, bezweifle ich.


(Bild: Wikimedia)

1 Kommentar:

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