Vor ein paar Tagen wurde vorgeschlagen, dass die Nationalhymne Deutschlands doch auf Türkisch gesungen werden sollte. Nach einer neuen Idee aus dieser Richtung sollen jetzt deutsche Lehrer in Deutschland die türkische Sprache lernen. Damit sie sich in deutschen Schulklassen mit deutschen Schülern verständigen können. Das hält jedenfalls Derya Ovali, Elternlotsin an der Hedwig-Dohm-Realschule in Berlin Moabit für die Lösung aller Integrationsprobleme.
Nicht etwa, das Mehrsprachigkeit ein negativer Ansatz wäre, oder das generell die türkische Sprache nicht interessant ist. Wir reden hier davon, dass deutsche Lehrer in Deutschland den Unterricht vor deutschen Kindern in türkischer Sprache abhalten sollen. Sollen die Lehrer vielleicht auch noch Russisch lernen? Oder wie wäre es mit Chinesisch, Griechisch, Indisch und Spanisch? Ist Deutsch demnächst die einzige Sprache, die an deutschen Schulen nicht mehr gelehrt wird?
Das Problem sitzt viel tiefer und hat eine lange Tradition. Es geht um unsere Geschichte und unser Selbstverständnis. Es geht um Deutschland und alles, was Deutschland eben zu Deutschland macht. Genau damit haben wir ein Problem. Und zwar ein Erhebliches.
Wenn Deutschland nicht langsam mal Farbe bekennt und aufhört, die eigene Nationalität ausschließlich an der Zeit von 33-45 zu definieren, dann werden wir mit einer Integration nie zurande kommen. Nicht etwa, weil wir nicht wollen, sondern weil wir nicht können. Wir haben zwar etwas, was wir integrieren wollen (nämlich die Zuwanderer), aber uns fehlt es an dem Verständnis dessen, worin wir integrieren sollen, nämlich an der "Nation in den Köpfen". Uns fehlt die bewusste nationale Identität.
Unser Empfinden der "nationalen Identität" ist so stark beschädigt, dass wir inzwischen nur noch zwei Formen kennen: Entweder man ist man ein "rechtsextremer Faschist" oder man ist ein "linksautonomer Multi-Kulti-Schluffi", je nach dem, wer denn gerade urteilt. Dieser Mangel an Selbstbewusstsein und Differenzierung ist es, der es uns nicht nur nahezu unmöglich macht, mit unserer eigenen Geschichte umzugehen. Deutschland ist in den Köpfen der eigenen Bevölkerung reduziert auf den Begriff "Nationalsozialismus" - und die Distanzierung davon: "Entschuldigung, ich bin Deutscher, aber mit Nazis hab ich nichts zu tun." Als hätte die Zeitrechnung erst 1933 begonnen und die Zeit davor und danach nie existiert.
Diese Kurzsicht und diese zwanghafte Konzentration des Verständnisses der eigenen Herkunft und Historie verhindert letztenendes auch, dass Ost und West innerlich zusammenwachsen. Warum wohl ist es noch immer "die Zone", die "Ex-DDR", warum redet man noch immer vom "Wessi" und "rüber machen"? Bestimmt nicht, weil wir so hochgradig integrativ sind. Komischerweise ist aber kaum jemand zu finden - von den wirklichen "rechten Faschos" mal abgesehen - der sich aus Überzeugung gegen Einwanderer wehrt und die Grenzen dicht machen will. Im Gegenteil, die ganz große Mehrheit ist sich über die Vorteile und den Zugewinn durch Zuwanderer aus anderen Ländern und Kulturen völlig im Klaren. Es fehlt bestimmt nicht am Willen, im Gegenteil.
Wir wissen instinktiv, dass wir integrieren sollen, dass wir sogar integrieren müssen. Wir sind nur völlig hilflos und überfordert mit der Fragestellung, worin wir denn integrieren sollen. "Sollen wir anderen etwa die Identifikation mit der Zeit 33-45 antun?" So richtig es ist, gerade aus diesem Teil der Vergangenheit Lehren zu ziehen, so falsch ist es, die Vergangenheit auf diese Phase zu reduzieren. "Du bist Deutschland" war deshalb als Kampagne zwar ein Fehler und Fehlschlag, aber die Idee war vollkommen richtig: Eine Nation definiert sich nicht nur "auf dem Papier" oder "am grünen Tisch". Eine Nation definiert sich auch an einer gemeinsamen Idee, Vorstellung und Zielsetzung. "Eine Nation ist eine bewusste und gewollte politische Gemeinschaft, die in von einer Mehrheit eines Volkes mit gleicher Sprache getragen wird" lautet eine aktuelle Definition. Egal wo man nachliest: Die gemeinsame Sprache ist neben der übergeordneten ideologischen und kulturellen Gemeinsamkeit einer der Kernbestandteile der Nation.
Und jetzt sollen wir in der Ausbildung unseres Nachwuchses auf unsere Sprache verzichten? Im Ernst? Also doch wieder singen und klatschen?
War es nicht so, dass die Einwanderer UNSERE Nationalität angenommen haben? War es nicht so, dass hier Deutschland ist, und nicht Pakistan oder Chile oder Togo? Waren diese Menschen nicht freiwillig zu UNS gekommen und wollten Deutsche sein? Oder ging es den Leuten am Ende doch nur darum, den Rahm abzuschöpfen und nur so "zu tun als ob", weil es so viele Vorteile hat, zumindest auf dem Papier ein Deutscher zu sein? Haben die Neonazis am Ende etwa Recht? Wenn nicht, warum dann die strikte Trennung zwischen der Partizipation am sozialen System und der nationalen Identifikation unter dem Deckmantel der vorgeblichen kulturellen Identität?
Begehen wir nicht gerade den Fehler, unsere eigene Nation im Schlussverkauf zu verhökern, nur damit uns keiner mehr an die Verbrechen der Zeit von 33-45 erinnert und spielen genau damit den Neonazis in die Hände?
Es ist aber gerade die Vergangenheit, die Deutschland zu dem gemacht hat, was Deutschland ist. Ja, es gab eine Menge herausragender Fehler. Hitler und die Konzentrationslager waren einer davon. Aber müssen wir uns für Goethe, Schiller, Brecht, Bach, Planck, Leibnitz, Daimler, Kepler, Siemens, Scholl, Koch, Luther, Diesel, Kleist, Kant, Schoppenhauer, Brahms, Luhmann, Habermas, Augstein, Gutenberg, Einstein und so weiter schämen? Wir sind eine der führenden Nationen der Welt. Das wären wir bestimmt nicht, wenn wir nicht trotz - oder gerade WEGEN - unserer Fehler im Laufe der Geschichte eine Menge geleistet und gelernt hätten. Auch solche Persönlichkeiten wie Bismarck, Hindenburg, Clausewitz, Steuben und andere mehr, denen man bestimmt nicht nur Gutes anrechnen kann, haben ihren Teil zu dem beigetragen, auf dem wir uns heute ausruhen: Rentensysteme, europäische Bündnisse, Normen der internationalen Staatengemeinschaft.
Nur stolz auf uns und auf Deutschland zu sein, das haben wir nicht gelernt. Vor diesem Hintergrund ist es klar, warum wir beim Grand Prix von allen anderen Nationen abgewatscht wurden: Ein drittklassiger Popsong mit Country- und Komikereinlage ist einfach nicht Deutschland. Genau so wenig wie Deutschland in erster Linie aus glatzköpfigen Schlägerbanden besteht, sind alle Deutschen Türken. Oder Israelis. Oder Amerikaner.
Hier ist nun mal Deutschland. Das bedeutet, dass hier die deutsche Nation ihren eigenen souveränen Staat hat. Wer damit nicht klarkommt, der muss nicht hier bleiben. Niemand wird dazu gezwungen Deutscher zu sein. Im Gegenteil, wir erleichtern es den interessierten Auswanderern sogar, die deutsche Staatsbürgerschaft wieder loszuwerden. Wer allerdings hier hin will, der darf grundsätzlich gerne herkommen, aber hier ist eben Deutschland und eben nicht das Land, dessen Nationalität der Einwanderer gerade zugunsten der deutschen Nationalität aufgegeben hat. Dieses Selbstverständnis scheuen wir uns zu vermitteln und so gesehen laufen wir vor unserer Geschichte weg, während die zu uns kommenden Einwanderer vor ihrem eigenen Staat und den Problemen dort weglaufen.
Vielleicht sollten wir uns langsam mal wieder darauf besinnen, wer wir eigentlich sind und was uns dazu macht. Dann haben wir vielleicht auch eine Chance zu einer funktionierenden und erfolgreichen Integration derer, die zu uns kommen und mit uns zusammen diese Nation weiter nach vorne bringen wollen. Erst wenn uns das gelungen ist, können wir überhaupt über eine europäische oder gar weltumfassende, globale "Nation" nachdenken, vorher nicht.
Oder sind die anderen Nationen frei von dunklen Flecken in ihrer Geschichte?
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