Dienstag, 16. Februar 2010

Vorsichtiger Optimismus

In den deutschen Medien wurde heute im Laufe des Tages gemeldet, dass Mullah Baradar Abdul Ghani Akhund in Karachi (nein, nicht "Karatschi" (SPON), "Karatchi" (Focus), "Karadschi" (Berliner Zeitung) und erst recht nicht "Karadji" (ein Bekannter von mir) oder sonst was; wer es nicht glaubt: Siehe Auswärtiges Amt für die offizielle Schreibweise) festgenommen wurde. Nur weiter unten, fast schon in einem Nebensatz, wurde in den deutschen Medien überhaupt erwähnt, dass die Festnahme ein Joint Venture von ISI und CIA war. Sowohl Ort der Festnahme als auch die Beteiligten sind jedoch mehr als bemerkenswert. Inzwischen ist die Nachricht in Deutschland fast wieder in der Versenkung verschwunden, obwohl es sich lohnt ein wenig über sie nachzudenken - vorausgesetzt man interessiert sich dafür, was da so los ist.

Karachi liegt weit entfernt von Afghanistan und sowohl Taliban als auch pakistanische Regierungskreise haben sich immer wieder bemüht zu betonen, dass die sich radikalislamischen Taliban aus dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet nie so tief im Hinterland Pakistans aufhalten würden. Karachi liegt gut 600 Kilometer Luftlinie von der nächstgelegenen Grenze zu Afghanistan entfernt. Mit der Festnahme von M. Baradar dürfte diese Behauptung endgültig widerlegt sein, was wohl einigen Politikern in Islamabad erhebliches Kopfzerbrechen bereiten wird, denn Karachi ist nicht nur die größte Hafenstadt Pakistans, sondern auch das Finanzzentrum des Landes. Und es liegt sehr nah an Indien.

Der ISI (Inter-Service Intelligence, militärischer Geheimdienst Pakistans), der nicht eben den besten Stand bei den westlichen Alliierten hat und seinerseits die US-Geheimdienste auch nicht gerade als "liebe Freunde" bezeichnet, dürfte kaum von alleine eine Zusammenarbeit mit der CIA angeregt haben. Mit einiger Sicherheit wurde diese gemeinsame Operation auf anderem Wege "angeregt". Oder vielleicht sollte man treffender sagen: "erkauft". Es dürfte interessant sein abzuwarten, was die USA für diese Festnahme zahlen werden.

M. Baradar ist - oder besser: war - mit einiger Sicherheit der Kopf der Quetta Shura, die wiederum für einen Großteil der im Süden Afghanistans verübten Anschläge verantwortlich ist. Ob die Festnahme ein Grund ist davon auszugehen, dass die Anschläge in der Region jetzt weniger werden, ist unklar, denn in der Vergangenheit haben die Taliban Verluste innerhalb ihrer Führungsspitze weitestgehend problemlos und nach außen hin auch ohne sichtbare Folgen kompensieren können. Man denke dabei nur an Mullah Dadullah, Baitullah Mehsud, Mullah Haji Amir und so weiter. Trotz der Verluste innerhalb des Führungszirkels haben die Taliban den Kampf nicht nur aufrechterhalten, sondern zum Teil sogar ausgeweitet und verstärkt.

Vor diesem Hintergrund dürfte die Festnahme zumindest nicht unwichtiger ein symbolischer Erfolg sein, denn ob sich daraus unmittelbar praktische Konsequenzen für den (nach Lesart der Bundesregierung) bewaffneten Konflikt in Afghanistan ergeben, wird sich bestenfalls mittelfristig zeigen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Situation unter dem mit Sicherheit sehr bald auftretenden Nachfolger von M. Baradar sogar noch verschlechtern wird.

Baradar hat das Benimm Handbuch der Taliban geschrieben, dass einige der schlimmsten Exzesse der Taliban begrenzen sollte. Er kann daher schon fast (aber eben nur fast) als einer der gemäßigteren Extremisten angesehen werden und die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass genau das in Afghanistan manchmal passiert: Das Ausschalten von Nek Mohammed brachte Baitullah Mehsud an die Macht, dem unter anderem der Mord an Banazir Bhutto zugeschrieben wird. Man wird abwarten müssen.

Es könnte auch sein, dass die Festnahme von Baradar eine Eröffnungszug seitens der Alliierten und Pakistan ist, um die radikalislamischen Taliban, besonders Mullah Mohammed Omar, an den Verhandlungstisch zu zwingen, denn auch wenn die Festnahme keine unmittelbaren praktischen Folgen haben muss, so wird Baradar doch eine nicht zu verachtende Quelle taktischer und strategischer Informationen sein und dadurch zu einem zumindest kurzfristig extrem wertvollen Werkzeug.

Unabhängig davon, ob die Festnahme von Baradar nun konkrete Auswirkungen auf die Vorgänge in Afghanistan und Pakistan haben wird, dürften die unmittelbar betroffenen Organisationen den Verlust nicht "mal eben" wegstecken können und eine Menge Unruhe verursachen. Schon aus dieser Sicht kann die Festnahme als "Erfolg" gewertet werden. Zusätzlich wird die erfolgreiche Zusammenarbeit amerikanischer und pakistanischer Geheimdienste in Pakistan erhebliche Auswirkungen auf die Sichtweise der pakistanischen Bevölkerung haben, die den Amerikanern bislang sehr misstrauisch gegenüber stehen und die Amerikaner eher als destabilisierende Kraft im Lande wahrgenommen haben. Außerdem hat Obama jetzt einen der von ihm geforderten vorzeigbaren Erfolge, um im eigenen Land (und auch international) den Einsatz mit eben solchen Erfolgen zu rechtfertigen.

Die Rolle des ISI, dem häufiger nachgewiesen wurde, dass zumindest einige seiner Teile mehr oder weniger offen mit den Taliban sympathisieren, ist dagegen weniger durchschaubar. Zwar könnte man vermuten, dass der ISI zur Kooperation gezwungen war, allerdings hat sich der ISI schon häufiger politischer Einflussnahme erfolgreich entzogen. Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass Baradar eine Art Bauernopfer war. Eventuell wurde er sogar ganz bewusst wegen seiner gemäßigteren Tendenzen ausgewählt, um die Taliban vor inneren Flügel- und Machtkämpfen zu schützen. Andererseits würde das bedeuten, dass die Taliban die letzten zwei Jahre, in denen Baradar die Nummer zwei nach Omar war, als Fehlentwicklung beurteilten, was wiederum ganz andere, weitreichende Konsequenzen hätte.

Es ist vielleicht zu früh, wegen dieser Festnahme die Sektkorken knallen zu lassen und das Ende des Krieges bewaffneten Konfliktes zu feiern, aber vorsichtiger Optimismus ist doch schon angesagt.

6 Kommentare:

  1. Bleibt tatsächlich nur das Abwarten.

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  2. Nur der Ordnung halber: Der Name des Festgenommenen ist Mullah Abdul Ghani Brader (jedenfalls laut Al Jazeera English, die werden es wohl wissen).

    Davon abgesehen freue ich mich darauf, durch die Tapirherde wieder verstärkt auf das Eine oder Andere aufmerksam gemacht zu werden, das mir sonst vielleicht entgangen wäre. Denn die wirklich interessanten (und genaugenommen auch bedeutenden) Meldungen tauchen selten in den Schlagzeilen auf sondern meistens irgendwo ganz weit hinten oder unten.

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  3. @anonym: Hm, ich finde bei AJ nur "Baradar". Siehe z. b.: http://english.aljazeera.net/news/asia/2010/02/20102171438433561.html

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  4. *schulterzuck* im Zweifelsfall halte ich mich an die Schreibweise, die uneingeschränkt zitierfähige Quellen verwenden, in diesem Fall die US-Regierung bzw die Pressestelle des pakistanischen Militärs. Beide schreiben bisher "Baradar".

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  5. Es ist wohl etwas müssig darüber zu diskutieren wie man es jetzt denn wirklich schreibt, in Dari/Pashto schreibt man wörtlich "bradar", der eine sprichts dann "Brader", der andere "Baradar" aus. Im Übrigen wäre die wörtliche Transkription am sinnvollsten, da es eigentlich "Brother" heissen sollte, es ist sein aus dem Englischen übernommene "Spitzname" (Bruder als Ehrenbezeichnung für seine wichtige Position), er heisst eigentlich nur Abdul Ghani Akhund.

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  6. Mein Pashto ist nicht gut genug für direkte Transkriptionen *schäm* Trotzdem vielen Dank für den Hinweis.

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