Montag, 14. August 2006

Fremdbestimmte Selbstdemontage

Wir Deutsche haben ja so unsere liebe Mühe mit unserer eigenen Vergangenheit. So ziemlich jeder, der in der Zeit zwischen 1933 und 1945 gelebt hat, war auch irgendwie mit "dem Regime" involviert. Etwas Anderes zu glauben wäre an der Realität vorbei. Und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass zum Beispiel der Papst auch als Jugendlicher in der Hitlerjugend war und sogar als Flakhelfer mit ins Kriegsgeschehen eingriff. Und jetzt kommt ein anderer berühmter Deutscher und erzählt ohne Not und aus freien Stücken, dass auch er "mitgemacht" habe. Damals. Ausreichend für ein "ach so, der auch?" aber danach hätte man zur Tagesordnung übergehen können - und sollen.

Was aber im Falle von Günter Grass jetzt abgeht, lässt wohl nicht nur mich rätseln und staunen. Da fordern die Polen - die, die gerade über die Todesstrafe nachdenken und bei denen in Räumen der Kirche rechtsextreme Literatur verkauft wird und auch für Rechtsextremisten Gottesdienste gehalten werden - dass Güter Grass doch auf seine Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig verzichten möge. Wolfgang Börnsen, CDU, (das ist der mit der doppelten Stimmabgabe) fordert sogar in der Bildzeitung, dass Grass auch seinen Nobelpreis für Literatur zurückgeben soll. Vom Papst wurde nicht verlangt sein Amt niederzulegen, auch nicht als der in Polen war. Dessen Ansage zum Thema Umgang mit der Vergangenheit wurde sogar gerade in Polen sehr begrüßt:
"Wir müssen uns gegen den arroganten Anspruch wappnen, über frühere Generationen zu richten, die in anderen Zeiten und unter anderen Umständen lebten."
Es macht irgendwie sehr den Anschein einer sich schlagartig entladenden, lange aufgestauten, Frustration und Wut, die sich jetzt ihren Weg bahnt: Endlich kann man es dem zurückzahlen, der immer wieder mahnend auf Verfehlungen und Missstände hinwies. Endlich kann man sich rächen für all das, was dieser Besserwisser einem angetan hat. Es hätte meiner Meinung nach vielen gut getan, sich ein Beispiel an dem sonst nicht um Kritik verlegenen Marcel Reich Ranicki zu nehmen, der es ablehnt, einen Kommentar zum Coming Out als solchem abzugeben.

Irgendwann, aller Wahrscheinlichkeit nach eher früher als später, wird sich der Medienrummel gelegt haben. Die große Mehrheit wird diesen Aspekt der Vergangenheit von Günter Grass ebenso akzeptieren, wie sie auch Aspekte anderer großer Deutscher als Teil deren Vergangenheit akzeptieren - oder ignorieren. Oder gar nicht kennen, weil es für das Werk dieser Person ohne Bedeutung ist.

Was ändert sich denn zum Beispiel an der "Blechtrommel", an "Katz und Maus"? Was ändert sich an seiner Idee des Schreibens gegen das Vergessen? Abgesehen davon, dass jetzt wohl jeder zugeben muss, dass Günter Grass aus eigener Erfahrung mitreden kann und - wenn man darüber nachdenkt - auch mitreden muss?

Was wollen denn diejenigen erreichen, die sich jetzt als die großen Saubermänner der Literatur- und Menschheitsgeschichte präsentieren und mit - dank Sommerloch - voller Unterstützung der Medien von Grass den Verzicht auf alle möglichen Auszeichnungen fordern? Was sind die Motive derer, die versuchen, diesen nicht ganz einfachen oder gar bequemen Autoren herabzuwürdigen?

Die Frage muss erlaubt sein, ob es diesen selbsternannten Weltverbesserern nicht im Grunde um eher selbstsüchtige Motive geht, wie zum Beispiel Neid und Missgunst, als die Reinheit der Literatur.

1 Kommentar:

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