Sonntag, 23. April 2006

Kindergarten

Man erinnert sich? Es gab da vor kurzer Zeit eine "Diskussion" um ein Integrationsproblem der nachwachsenden Generationen. Man könnte auch sagen, dass jemand festgestellt hat, dass es bestimmten Kreisen besonders schwer fällt, sich in der deutschen Gesellschaft zu solzialisieren. Es gibt sogar Leute, die soweit gehen zu sagen, dass dieses Problem nicht erst in der Schule beginnt, sondern schon früher.

Ursula von der LeyenEin Lösungsansatz, der von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Ursula von der Leyen, CDU, präsentiert wurde, war ein Pflichtjahr für alle Kinder im Kindergarten. Was im ersten Moment noch nach einer ziemlich blöden Idee klingt, ist bei näherer Betrachtung gar nicht sooo doof.

Dadurch würde zum Beispiel erreicht, dass die Kinder schon frühzeitig lernen, dass ihre Muttersprache zwar nützlich und ein kulturell wertvolles Erbe ist, aber hier eine andere Sprache im Alltag eher angesagt ist. Zur großen und allseitigen Überraschung ist das nämlich trotz aller politischen Anstrengungen noch immer Deutsch. In diesem Alter sind Kinder sehr empfänglich für Sprachunterricht und es ist kein Problem sie mehrsprachig aufwachsen zu lassen. Im Gegenteil, es gilt sogar als förderlich. Dazu kommt der Lernprozess des Umgangs mit "anderen". Nicht nur mit anderen Menschen generell, sondern mit Menschen, die komplett anders aussehen und einen vollkommen anderen kulturellen Hintergrund haben. Sowas hilft auch gegen Rassismus. Es gibt noch eine ganze Menge anderer Vorteile, die sich aus einem solchen Pflichtjahr ergeben. Nicht zuletzt auch die Möglichkeit für die Frauen, sich mal wieder verstärkt um ihr eigenes Leben und ihren Beruf zu kümmern.

Spielende KinderWäre ja auch gar nicht so schlimm, denn jedes Kind in Deutschland hat sowieso einen gesetzlich garantierten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Dieser basiert nicht zuletzt auf dem Urteil des BVerfG zum §218 StGB. Und was passiert? Über Frau von der Leyen bricht die Kritik herein, als habe sie vorgeschlagen, alle Einwanderer in Camps zu sammeln und wieder auszuweisen. Dabei schlägt sie nur vor, was in Deutschland erfahrungsgemäß eh die Regel ist, oder genauer, was uns gerne weiß gemacht wird, was die Regel wäre: Kinder gehen vor ihrer Schulzeit in den Kindergarten.

Es geht darum diejenigen "zu erwischen" die aus welchen Gründen auch immer ihre Kinder vor der Welt, vor der Wirklichkeit "schützen" wollen, die ihre Kinder isolieren und so erheblich zur sozialen Isolation ihres Nachwuchses beitragen.
Diese Idee umzusetzen ist aber Sache der Bundesländer. Genau da trifft der Vorstoß von der Leyens aber überwiegend auf Ablehnung. Der Ministerpräsident Thüringens, Herr Dieter Althaus, CDU, hat da eine sehr konkrete Meinung:
"Wir sehen keinen Handlungsbedarf. Unsere Auslastung der Kindergärten im dritten Jahr liegt bei 97 Prozent."
Nur Ketzer, Häretiker und andere Ungläubige werden jetzt fragen, auf was sich denn diese sagenhaften 97 Prozent beziehen, denn es könnte ja sein, dass er nicht etwa "97% aller Kinder im Kindergartenalter" meint, sondern "97% der vorhandenen Plätze". In dem Fall wäre es natürlich sehr anmaßend darauf hinzuweisen, dass die restlichen 3% wohl aus leicht erklärbaren Gründen unbesetzt bleiben. Völlig außen vor wären natürlich Fragen nach der absoluten Differenz zwischen diesen 97% und den anderen 97%.

Aber Herr Althaus ist damit nicht alleine. Auch in Nordrhein-Westfalen ist der Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, CDU, der Ansicht, dass überhaupt keine Notwendigkeit dafür besteht, eine Kindergartenpflicht einzuführen.

Etwas aufgeschlossener ist man in Baden-Württemberg. Der dortige Ministerpräsident Günther Oettinger, CDU, verlangt schon länger nach einer Kindergartenpflicht im letzten Jahr vor der Einschulung. Er meint, dass man so alle Kinder "in der letzten Runde vor dem Schulstart mitnehmen" könnte, was sich mit dem Vorschlag von Frau von der Leyen deckt.

EurosWarum mauern die Länder? Weil es Kohle kostet. Die Kindergartenplätze müssen dann nämlich tatsächlich vorhanden sein und nicht nur auf dem Papier. Es muss das Personal eingestellt werden, es müssen Räumlichkeiten vorhanden sein und so weiter. Da muß Geld für etwas ausgegeben werden, was in Deutschlang absolut nicht prestigeträchtig ist. Es kommt nach dem Verständnis der Politiker einfach nicht so toll an, wenn man verkünden kann "ich habe 200.000 Kindergartenplätze geschaffen". Da klingt doch "ich habe zwei Kernkraftwerke in Auftrag gegeben und so der Wirtschaft ein 2% Wachstum und unserer Region 3.000 Arbeitsplätze beschert" viel besser - sofern nicht gerade irgendjemand herausposaunt, dass man bei der Betreiberfirma "zufällig" im Aufsichtsrat sitzt.

Der Nachwuchs, die Jugend, unsere Kinder, das sind die, auf die die Politiker keinen Bock haben. Die kosten Geld, machen Arbeit, bereiten Probleme, sind renitent und stellen oben drein auch noch Ansprüche. Es ist noch einiges an Anstrengungen notwendig, bevor den Politikern klar wird, dass diese Generationen abgeschobener Menschen irgendwann zu Erwachsenen heranreifen, die Politikern nicht als ihre Vertreter verstehen, sondern "Schmarotzer und überflüssigen Ballast" ansehen, die Politiker als "Dummschwätzer, die nur Reden anstatt zu handeln" bezeichnen und sie entsprechend wenig ernst nehmen. Es wird auch noch einige Zeit dauern, bevor Politik und Wirtschaft begreifen, dass "Sozialisation" und "soziale Kompetenz" keine Themen (oder "Soft Skills") sind, die man in der Berufsschule "mal eben" nachreichen kann.

Aber Politiker haben auch schon für ganz andere Lernprozesse sehr lange gebraucht.

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