Mittwoch, 5. April 2006

Schuld und Schule

DenkmalSeit sehr langer Zeit wird am Schulsystem in Deutschland Kritik geübt. Das Thema ist nicht wirklich ein neues Thema und es ist auch nicht erst seit gestern bekannt, dass im System Schule ziemlich viel Sand im Getriebe zu finden ist. Schule als solches ist gut, richtig und wichtig. Nicht nur als Instrument der Bildung im Sinne einer Wissensvermittlung, sondern auch und gerade als Instrument der Sozialisation.

Die faktische Bankrotterkärung des Systems ist nicht erst seit gestern im Umlauf und die "Hilferufe" der Schulen in Berlin sind nicht wirklich die ersten und mit Sicherheit auch nicht die letzten. Selbst Politikern auf Bundesebene ist seit langer Zeit klar, dass am System Schule ein paar Dinge geändert werden müssten. Aber es werden mit einiger Sicherheit die letzten solcher "Hilferufe" sein, von denen die breite Öffentlichkeit erfährt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden Maßnahmen ergriffen, solche PR-Desaster in Zukunft zu verhindern. Politiker lassen sich nur äußerst ungern so kalt und unvorbereitet erwischen.

JugendlicheWarum tut sich nichts? Es gibt eine ganze Menge Probleme. Keins der Probleme steht isoliert für sich alleine. Dreht man an dem einen Rad, verändert sich nicht nur hier etwas, sondern auch da, dort, und da hinten. Seit ewiger Zeit wird den Lehrern vorgeworfen, dass sie ja einen der bequemsten Jobs überhaupt hätten. Hat man den Stoff und Lehrplan verinnerlicht, dann gleicht jedes Schuljahr dem nächsten und Unterricht vor der Klasse artet mehr und mehr in sich einen ewig wiederholenden Monolog aus. Um so weniger erstaunlich, dass erst vor kurzem durch wissenschaftliche Studien belegt wurde, dass im Unterricht die Lehrer mit weitem Abstand am meisten reden. Da das nicht gerade zu den neuesten Erkenntnissen in Sachen Probleme des Schulsystems gehört stellt sich doch um so dringender die Frage, warum nichts geändert wird am System.

Die Idee hinter der Dreiteilung des Schulsystems mit Durchlässen in alle Richtungen und Möglichkeiten zum Auf- aber auch Abstieg war grundsätzlich nicht falsch. Allerdings war ein entscheidender Aspekt dahinter der Leistungsgedanke der Schüler, die durch die Lehrer gefördert werden sollten. In der Praxis findet aber beides nur noch sehr eingeschränkt statt. Einerseits wird den Pädagogen eine Kuschelpädagogik beigebracht, die ein Ahnden von Fehlverhalten beim Verursacher kategorisch ausschliest, andererseits ist das mit dem Leistungsprinzip auch so eine Sache.

GetriebeNach dem gelehrten Paradigma liegt Schuld schließlich nie beim Verursacher, sondern immer in dessem Umfeld. Es ist deshalb Aufgabe aller, dem Verursacher zu helfen. Warum die, die unter dem Verursacher leiden müssen, nicht vor den Exzessen geschützt werden dürfen, bleibt offen. Auf diesem Wege und durch ihre Eltern haben die Schüler am eigenen Leibe erfahren und gelernt, dass sich das System schon irgendwie um das Wohlergehen des Einzelnen kümmern wird. Warum also selber anstrengen?

Hinzu kommt, dass die Leistung des Einzelnen nicht bewundert, sondern geächtet wird. Wo wird denn die Leistung des Einzelnen wirklich gewürdigt? Wo gibt es denn Lob für "besondere Leistungen"? Alle Systeme des Staates durchzieht der Rote Faden der Belanglosigkeit der Leistung des Einzelnen. Wer seine Zukunft schon in der Schule im Auge hat, wird als "Streber" gebrandmarkt oder dem wird Unterdrückung durch die Eltern nachgesagt. Schüler, die am Ende ihrer gymnasialen Schulkariere allen Ernstes verkünden, dass sie jetzt ersteinmal gar nichts tun werden, weil sie ja bis jetzt genug für die Gesellschaft getan hätten, kennt wahrscheinlich jeder. Arbeiten? Wieso? Gibt doch genug Geld vom Staat.

Es ist nicht so, dass ausschließlich die Kinder der Einwanderer das Problem schlechthin sind. Ja, diese Gruppe hat und verursacht auch Probleme. Aber diese Gruppe ist mit Sicherheit nicht das einzige Problem. Ich bezweifle, dass mit Bewältigung des Problems der Integration mit einem Schlag das Problem Schule gelöst ist. Bestimmt nicht. Durch Lösen dieses Problems hört nicht von heute auf morgen der Monolog-Unterricht auf. Auch das Problem des ideenlosen Unterrichts, der fehlenden Möglichkeiten für Lehrer, der fehlenden tatsächlichen Förderung des Einzelnen, der fehlenden Lehrkräfte und so weiter wird nicht gelöst. Und wie durch die verbesserte Integration der Einwanderer das Problem der sich nicht um ihre Kinder kümmernden Eltern gelöst werden soll, interessiert wahrscheinlich nicht nur mich brennend.

Presse und Schueler der Ruetli SchuleUm so erstaunlicher ist vor diesem Hintergrund die Haltung der Medien, die sich mit einer unvergleichlichen Impertinenz auf den Zusammenhang des Verhaltens der Kinder von Einwanderern und Schule stürzen, als wäre dies die Wurzel allen Übels. Welches Bild versuchen die Medien hier zu vermitteln? Soll hier allen eingeredet werden, wie verkappt ausländerfeindlich wir doch eigentlich alle sind? Sollen hier über den Umweg der Schuldgefühle die Kritiker des Systems mundtot gemacht werden?

Ich habe den Eindruck, dass es hier gerade nicht um das Aufzeigen tatsächlicher Probleme geht. Es scheint darum zu gehen einerseits eine Schuldfrage zu konstruieren, die so nie gestellt wurde und gleichzeitig eine Antwort darauf zu finden, die gut in das bisherige Muster passt: "Der Deutsche ist eben ein Faschist! Wir haben es ja immer gewusst! Also schämt euch gefälligst und seid still!"

Es ist schwer nachzuvollziehen, warum das Problem Schule von jetzt auf gleich umgedreht wird in ein Problem der Integration. Nicht die Einwanderer sind das Problem. Globale Migration gibt es, seit es Menschen gibt. Die ganze Welt hat da lokal ganz eigene Probleme. Fragt mal in Amerika, Frankreich, Spanien, England, Italien nach. Die können zu dem Thema auch ganz schön was erzählen. Was allerdings für Deutschland besonders ist, ist die Konstellation aus Vergangenheit, Sozialer Hilfe der Gesellschaft für den Einzelnen, Globalisierung und alt eingesessener Interessenverbände.

Rektor Hochschild mit PresseWas wird sich ändern? Wahrscheinlich nichts. Das Problem "Schule" wird auch weiterhin genauso verdrängt werden wie bisher. Ein paar mehr oder weniger Aufmerksamkeit erregende Maßnahmen werden in der Presse gepuscht werden - "Neuer Rektor an der Schule", "Mehr Lehrerstellen für Problemschulen", "Deutschtests für Migrantenkinder", "Integration von Ausländern" - aber an den eigentlichen Problemen, die zuletzt auch schon von der UNO in aller Deutlichkeit angekreidet wurden, wird sich nichts ändern. Dazu sind hier zu starke Seilschaften am Werke, die mit aller Macht ihre Pfründe zu sichern wissen. Und die interessieren sich für andere Leute und deren Kinder einen Scheiss.

GeldMit Schülern lässt sich schließlich hervorragend Geld verdienen! Wer kauft (und benutzt!) denn Handys, Klingeltöne, Jeans für 200 Euro, Turnschuhe für 300 und mehr Euro und so weiter? Die Lehrer sicher nicht. Und warum konsumieren die Schüler? Weil sie es so außerhalb der Schule beigebracht bekommen und die Schule dies weitestgehend ignoriert und die Eltern sich auch immer weniger um ihren Nachwuchs kümmern - ob mangels Können oder Wollen ist ein anderes Thema.

Durch die fehlende Akzeptanz des Systems Schule bei denen, die sie besuchen müssen, erhalten diejenigen Mechanismen und Institutionen mehr Gewicht in der Meinungsbildung und im Erwachsenwerden, die (zumindest scheinbar!) attraktiver, moderner, weltoffener, neutraler und näher und direkter mit dem eigenen Leben verknüpft erscheinen. Daraus entsteht sozialer Druck, denn der Mensch braucht seine Mitmenschen, muss mit ihnen kommunizieren, will sich mit ihnen vergleichen und gleichzeitig als Individuum abgrenzen und so weiter. Wer oder was liefert denn heute die Gesprächsinhalte der Jugend? Das altbekannte Paradoxon des Individuums in der Gruppe der Gleichen.

Schüler brauchen Konsumgüter im Peering-Netzwerk ihrer eigenen Realität. Nicht nur in der Schule, sondern auch und gerade außerhalb davon. Nur so können sie im Sozialisationsdruck der Mitschüler und im Bekanntenkreis ihrer Altergruppe bestehen. Allerdings ist es ja gerade die Kenntnis der Zusammenhänge, die es dem Einzelnen ermöglicht, die Regeln des Systems für sich zu nutzen, um so dem System widerstehen zu können. Und genau das ist es, was Schule und Eltern nicht vermitteln.

Geht es darum, wirklich etwas zu verändern? Scheinbar nein. Es geht offenbar eben nicht darum etwas zu verändern, sondern es geht wohl eher darum, wie man das Bestehende aufrechterhalten kann, indem man behauptet das Problem an einer anderen Stelle geortet zu haben. Viele ehemalige Pädagogen und Lehrer sind Politiker. Entsprechend sind die Verstrickungen zwischen System und Politik. Wohin das führt, sollte spätestens seit der Rechtschreibreform auch dem Letzten klar geworden sein.

Verantwortung tragen und Verantwortung zu übernehmen ist es, was in Deutschland nicht gelehrt und folglich auch nicht gelernt wird. Weil keiner selber für irgendetwas - am allerwenigsten für sich selber - verantwortlich sein will, sein kann, sind solche Katastrophen wie die, vor der wir mal wieder stehen, überhaupt erst möglich.

1 Kommentar:

  1. Für mich ist das einer der besten Artikel, die ich zu diesem Thema gelesen habe.

    "Um so erstaunlicher ist vor diesem Hintergrund die Haltung der Medien, die sich mit einer unvergleichlichen Impertinenz auf den Zusammenhang des Verhaltens der Kinder von Einwanderern und Schule stürzen, als wäre dies die Wurzel allen Übels."

    Stimmt, die meisten suchen ihre Sündenböcke. Einwanderer und sozial schwache versauen unsere Kinder.

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