Donnerstag, 20. April 2006

Tut sich was?

J. Schoenbohm, CDUDer brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) im rbb-Inforadio:
"Ich weigere mich, voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen. Sicher ist eins: Ein Mensch ist in Potsdam angegriffen und schwerst verletzt worden. Er hat schwarze Hautfarbe."
Man kann "nur vermuten", dass es einen Zusammenhang zwischen dem Aussehen des Opfers und der Tat geben könnte.

Der "Makel" der ausländerfeindlichen Gewalt (im Volksmund auch über das politische Spektrum als "die rechte Gewalt" bezeichnet) ist für die wirtschaftlich immer mehr existentiell vom Tourismus abhängigen Regionen im zunehmend bevölkerungs- und damit auch finanzschwachen Osten überaus gefährlich. Es ist deshalb nicht ganz unverständlich, dass Herr Schöhnbohm es tunlichst vermieden wissen möchte, von "gewalttätigen Rechten in Brandenburg" zu sprechen - so lange wie irgendwie möglich. Und selbst wenn tatsächlich und wider allen Erwartungen nachgewiesen und vielleicht sogar noch von den Tätern zugegeben werden sollte, dass die Tat faschistischen Hintergrund hatte: Wetten, dass von einem "tragischen Einzelfall" gesprochen werden wird?

Solingen, 1993Solche "Einzelfälle" scheint es aber in Deutschland eine ganze Menge zu geben. Alleine die von der französischen Nachrichtenagentur AFP angeführte und von den deutschen Medien regelmäßig zitierte Liste der herausragend bekannt gewordenen Vorfälle der letzten 16 Jahre zeigt, wie dramatisch die Lage tatsächlich sein muss. Alleine 13 Vorfälle werden aufgelistet, zu denen wohl den meisten von uns die Nachrichten und Pressebilder fast sofort mehr oder weniger lebhaft präsent sind.

Der Verfassungsschutz kennt Ende 2004 168 rechtsextremistische Gruppen oder Organisationen mit mehr als 40.000 Mitgliedern in Deutschland. Dazu kommt noch die Zahl der "Sympathisanten". Ebenfalls 2004 kennt der Verfassungsschutz 950 von deutschen(!) Neonazis betriebene Websites und listet 776 Gewalttaten mit eindeutig rechtsextremistischem Hintergrund auf. 2005 wurden 10.271 rechtsextreme Straftaten bekannt. In diesem Jahr (2006) wurden alleine im Januar 53 Menschen bei Angriffen durch rechte Gewalttäter verletzt.

Aber wir haben "kein Problem mit den Rechten" in Deutschland. Sicherlich. Die Erde ist ja auch eine Scheibe im Zentrum des Universums. Natürlich haben wir Probleme mit den Rechten! Die Zeitungen sind voll davon und das nicht erst seit gestern! Es wird nur langsam mal Zeit das zuzugeben und zu handeln.

Es mag zwar eine zahlenmäßig kleine Gruppe aktiver Extremisten sein - verglichen zur Gesamtbevölkerung. Und die Zahl der Sympathisanten? Wieviele Stammtischpolitiker müssten da noch mit zu gezählt werden? Dieser "kleine Haufen" schafft es nicht nur, dass ganze Landstriche als "zu meidendes Gebiet" in Verruf geraten, dass die Medienlandschaft immer wieder auf den "ewig gestrigen Deutschen" zeigt. Warum werden wir im Ausland gerne so dargestellt, wie wir dargestellt werden? Als das Volk der (Neo)Nazis? Warum hängt uns denn auch zwei Generationen nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch immer der Ruf nach, im Grunde unseres Herzens doch ein Land von Faschisten zu sein? Geben wir in Deutschland erst dann zu ein "Problem mit den Rechten" zu haben, wenn eine faschistoide Einheitspartei Massenaufmärsche veranstaltet?

Dieser Haufen verbreitet Angst und Schrecken, erpresst erfolgreich Regierungen, verursacht Kosten in Milliardenhöhe und zeigt vor allem eins in aller Deutlichkeit: In Deutschland kannst du machen was du willst, Hauptsache du zahlst Steuern.

Wir schützen die Täter und bedauern die Opfer. Wir suchen die Schuld im "Umfeld", bei "den Anderen", aber nicht bei denen, die das Problem sind. Unsere Führungselite demonstriert mit dem konzentrierten Wegschauen vor der gesamten Weltöffentlichkeit die deutsche Mentalität der Problembehandlung. In Deutschland ist der Täter nie, sein Umfeld aber immer Schuld. Eigenverantwortung?

Solange aber Politiker nicht den Mut haben zuzupacken und sich dieses Problems entschlossen, mit Nachdruck und auf der Höhe der Zeit zu befassen, solange wird auch die Gesellschaft, der Bürger, wie das Karnickel vor der Schlange hocken und Schiss haben. Solange die Debatte über rechte Gewalt dahin ausartet, ob ein Problem ein Problem ist oder vielleicht doch eher eine super tolle echt realistische metrosexuelle Episode einer Telenovela, wird sich nichts zum Nachteil der Rechten ändern.

Joseph GoebbelsDie Rechten können sich wunderbar an den Problemen der Gesellschaft polarisieren. Sie finden da ihren Nachwuchs, wo die Gesellschaft es versäumt, ein geschlossenes Ganzes zu bilden und Randgruppen absondert. Das gilt besonders für die Bereiche Arbeitsmarkt und Integration. Die häufig ausweglose Situation auf dem Arbeitsmarkt führt zu sozialer Verzweiflung und ohne Zweifel zu einer gefährlichen Randgruppensituation. Gerade in dieser Situation zeigt sich, dass das seit Generationen gerade von der Führungselite vorgelebte Paradigma des "die Anderen sind Schuld" die schon fast symptomatische Suche nach einem Schuldigen überhaupt erst ermöglicht und besonders fördert: "Wenn nicht ich selber verantwortlich bin, dann muss es ja jemand anderes sein."

Auf wem wird "herumgehackt"? Natürlich hackt der Stärkere auf dem Schwächeren herum. Und wer ist in einer Gesellschaft der Schwächste? Der, der nicht dazugehört, aber dazugehören will (oder muss). Und das sind in Deutschland besonders die Einwanderer. Hier bieten "die Rechten" anderen von der Gesellschaft erzeugten Randgruppen, den "sozial Vernachlässigten", den "auf der Strecke Gebliebenen", das, was die Gesellschaft ihnen nicht bietet, nämlich einen ideologischen und utopischen Ausweg. Einen realistisch erscheinenden Weg, einen Ausweg, der die Verzweifelten durch einen gemeinsamen Traum verbindendet und ein mit diesen oder jenen Methoden tatsächlich erreichbares Ziel: "Die Ausländer sind schuld, sie nehmen Dir Deinen Arbeitsplatz weg. Keine Ausländer in Deutschland bedeutet Arbeit für alle und das Ende aller Probleme."

Prussian BlueDieses Denkmuster, das einen scheinbaren und in einer verqueren Fantasie auch tatsächlich erreichbaren und erstrebenswerten Lösungsansatz bietet, ist es doch am Ende, was den Rechten ihren Nachwuch in die Arme treibt, denn die gewählten Methoden der rechten Gewalttäter sind nicht nur auf den ersten Blick scheinbar erfolgreich, sie schmieden die Gruppe zusammen und sie verschaffen den Eindruck aktiv etwas zur Problemlösung beizutragen, statt nur drüber zu reden und das Problem zu vertagen bzw anderen die Schuld zu geben. Und sie verschaffen Aufmerksamkeit in anderen gesellschaftlichen Kreisen und den Medien und ein dadurch Gefühl von Macht.

Es ist eben nicht etwa die Aussicht auf die faschistische Utopie der "arischen Weltherrschaft". Das ist den gescheiterten Existenzen am Rande der Gesellschaft genau so wichtig, wie allen anderen Bürgern jedes übergeordnete Ziel im Wahlprogramm jeder beliebigen anderen Partei. Wer weiss schon wirklich, was SPD, CDU, Grüne, FDP als großes übergeordnetes politisches Ziel verfolgen? Und wer teilt dieses Ziel? Das ist bei "den Rechten" nicht anders.

Act Now!Wir werden deshalb nicht darum herumkommen, das Problem der "rechten Spinner" zusammen mit "Integration" und zusammen mit anderen Problemen anzufassen. Es wird zu nichts führen den Rechten "mehr Polizei" oder irgendwelche abstrusen Verbote oder Zensurmaßnahmen entgegenzusetzen. Kurzfristig wird es vielleicht vertuschen, dass sich am Problem nichts ändert, aber dafür wird es hinterher um so schlimmer.
"Nicht was lebendig, kraftvoll sich verkündigt,
Ist das gefährlich Furchtbare.
Das ganz Gemeine ists, das ewig Gestrige,
Was immer war und immer wiederkehrt,
Und morgen gilt, weils heute hat gegolten!"

(Schiller)

2 Kommentare:

  1. Manchmal frage ich mich, ob Politiker wie Jörg Schönbohm nicht die Wahrheit sagen, wenn sie behaupten, dass "wir" (also sie) kein Problem mit den Rechten haben. Vielleicht hat der General a.D. ja wirklich kein Problem mit ihrer Anwesenheit?

    AntwortenLöschen
  2. Absolut lächerlich wie sich unsere Bundesregierung (z.B. Merkel) doch so betroffen gibt und hintenrum an Einsparungen für Präventionsmaßnamen werkelt.

    AntwortenLöschen

Bedingt durch die DSGVO müssen Kommentare zu Beiträgen der Tapirherde manuell freigeschaltet werden, um um der Veröffentlichung von Spam-, Hass- oder sonstiger unerwünschten Kommentaren vorbeugen zu können. Die Veröffentlichung eines Kommentars kann deshalb ein wenig dauern. Sorry dafür.
Wenn Sie Beiträge auf Tapireherde kommentieren, werden die von Ihnen eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. die IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Weitere Infos dazu finden Sie in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.