Freitag, 16. März 2018

Onkel Hotte und die Andersdenkenden

Mein gegenwärtiger bajuwarischer Minister für Heimat und Inneres hat sich einen sehr öffentlichkeitswirksamen Start erlaubt. Gegenüber Bild äußerte er in einem Interview am Donnerstag folgende denkwürdigen Sätze:

"Nein, Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir deswegen aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben."
(Bild)

Bevor schon wegen der ersten zwei Sätze die Hutschnur explodiert, wahlweise wegen Weglassens des Jüdischen oder wegen der anderen Verneinung, sollte folgendes bedacht werden: Am vergangenen Wochenende gab es einige Anschläge. In Berlin (Koca-Sinan-Moschee), Lauffen (IGMG Moschee), Meschede (türkischer Verein), Itzehoe (Moschee, sowie türkischer Gemüseladen), Ahlen (türkisches Kulturzentrum). Sechs Anschläge, zu denen sich bis zum Interview von Onkel Hotte kein Bundespolitiker größer geäußert hatte. In den Medien wurde zwar darüber berichtet, aber erst jetzt, durch die prominent platzierte, bajuwarisch-joviale Weltsicht, entsteht ein weit größerer Zusammenhang. Und doch hat diese durch Weltoffenheit, Toleranz und Rechtsbewusstsein - in Bayern wahrscheinlich qua regnum unmittelbar als allgemeingültige Feststellung akzeptierte Ansicht - eine weit über diese Anschlagsserie hinausweisende Vorgesichte.

Den offensichtlichen Gegenpol zu Onkel Hotte bildet ein inzwischen auf den Vorstandsposten des Stiftungsrates der Deutschlandstiftung Integration entsorgter Bundespräsident:

"Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
(C. Wulff, Bundespräsident, Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit, 03.10.2010)

Schon damals war Onkel Hotte wenig angetan von dieser Feststellung und vermied auffallend jegliche festlegende Stellungnahme. Als meine Kanzlerin sich diesen Satz ausdrücklich zu eigen machte, lehnte er ebenso ausdrücklich jede Bewertung ab.

Bevor aber auch hier dem Drang nach Adrenalin Aus- und Alkohol Einschüttung nachgegeben wird, lohnt es sich, den Nachsatz zu genießen. Mein Minister für Bayern (lies: Heimat) und Inneres (in der Reihenfolge, vermutlich) des Bundes (das vermutlich nur ausversehen und des Titels wegen) sagte nämlich auch:

"Wir müssen uns mit den muslimischen Verbänden an einen Tisch setzen und den Dialog suchen und da wo nötig noch ausbauen." "Meine Botschaft lautet: Muslime müssen mit uns leben, nicht neben oder gegen uns. Um das zu erreichen, brauchen wir gegenseitiges Verständnis und Rücksichtnahme. Das erreicht man nur, wenn man miteinander spricht."
(BZ)

[rethorische Pause]

(Die Redaktion legt an dieser Stelle eine kurze Pause ein, die geneigte Leserinnen und Leser zum Beispiel zum Ventilieren hochkochender Emotionen und Nachfüllen des Getränkevorrats nutzen können. Wir geben jedoch zu bedenken, dass die Nachbarn und etwaige Passanten wahrscheinlich nichts dafür können(1).)

Alle wieder da? Super. Prost!

Wo waren wir? Ach ja, die Vorgeschichte.

Es wäre einfach zu behaupten, der Heimat-Onkel ist ja schon alt, der kann ja nix dafür und außerdem die Kirche... Leider spricht gegen diese Idee - die Redaktion hegte ähnliche Hoffnungen - einiges. Offenbar hat Muttis in zweiter Ehe verheirateter (und trotzdem vom Papst kommunionierter) oberster Sicherheitsbeauftragter nicht eben den besten Stand bei denjenigen, denen wahrscheinlich zuerst zuzugestehen ist, Plan davon zu haben, was "christlich" ist, nämlich den Kirchen.

Schon vor einigen Jahren eckte der oberste Beschützer der Heimat und des Inneren an, als er mit den Kirchen wegen der Frage des Kirchenasyls über Kreuz lag. Damals deutete er unter anderem an, gegebenenfalls Räume und Gebäude beschlagnahmen zu lassen. Die Katholische Kirche äußerte damals vorsichtig optimistisch:

"Dass es zu einer Beschlagnahmung kommt, denke ich im Moment nicht. Ich glaube auch nicht, dass der Ministerpräsident Seehofer an die Beschlagnahmung von Kirchenräumen gedacht hat."
(Lorenz Wolf, Leiter des Katholischen Büros in Bayern, 2015 in BR)

Ihm nahmen damals ranghohe Vertreter des Jesuitenordens Äußerungen zum Thema Asylbewerber übel und rieten ihm in einem offenen Brief "dringend von einer Rhetorik Abstand zu nehmen, die Geflüchtete in ein zwielichtiges Licht stellt".

Der Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich, mahnte seinerzeit an:

"Auch der barmherzige Samariter der Bibel fragt gerade nicht nach Kulturkreis, Nationalität oder den Grenzen seiner Möglichkeiten, als er dem Opfer eines Raubüberfalls am Straßenrand hilft. Für ihn zählt nur eines: unmittelbar zu helfen, die Not des Fremden vor ihm zu lindern." "So definiert Jesus, was christliche Nächstenliebe ist." "Und daran sollte christlichen Werten verpflichtetes politisches Handeln orientiert sein"
(WP)

Geholfen hat es offenbar wenig, aber es zeigt, dass es hier nicht um ein religiöses Dogma geht, das dem Denken des eingangs zitierten und zwischenzeitlich in der eigenen Heimat Entthronten und nach Berlin Exilierten zugrunde liegt. Angesichts der in der Vergangenheit immer wieder an den Tag gelegten Vehemenz ist es vermutlich nicht völlig falsch davon auszugehen, dass hier eine tiefe, innere Überzeugung, wenn nicht gar eine Fassette des Wesenskerns des Ex-Bayerns spricht. Das zu verstehen ist wichtig, um den großen Rahmen zu erfassen, in dem sich diese und alle folgenden Äußerungen meines für die Innere Sicherheit und Heimat Alleinverantwortlichen Bundesministers bewegen.

Wenn er sagt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, dann meint er nicht die Religion oder deren Angehörige. Die Religion ist ihm höchstwahrscheinlich so egal, wie uns der sprichwörtliche, der Schwerkraft nachgebende, Sack Reis in China. Ginge es ihm um Religion, er hätte sich mit Sicherheit in der Vergangenheit nicht so dermaßen episch mit ausgerechnet den Cheffunktionären des deutschen Biblebelt (aka: den Jesuiten) angelegt.

Dementsprechend ist die Unterscheidung zwischen Islam und Muslimen nicht etwa die korrekte Bezeichnung derjenigen Menschen, die sich als "dem Islam" angehörig betrachten, sondern für ihn eine klare Trennung: Muslime hier, Islam da. Was für Onkel Hotte allerdings im Detail "der Islam" ist, wird er garantiert nicht erläutern. Dazu ist er schon zu lange im Geschäft. Auf die Details seiner Sichtweise, diesen Punkt betreffend, wird man auch in Zukunft indirekt schließen müssen.

Ob Onkel Hotte allerdings klar ist, dass "der Islam" im Idealfall ein Oberbegriff für die Gesamtheit aller sich irgendwie auf irgendeine Version des Koran beziehenden religiösen und politischen Gruppierungen, Organisationen und Gemeinschaften ist, die sich nicht nur marginal voneinander unterscheiden und längst nicht alle gegenseitig anerkennen, bleibt fraglich.

Vermutlich ist "Islam" in diesem Denkkontext zu verstehen als "alle, die von da hinten irgendwo kommen", mit dem naheliegenden, aber unausgesprochenen Subtext "und uns die Haare vom Kopf fressen". Schon deshalb sollte man vorsichtig sein, sich mit dieser Sichtweise des im Innern beheimateten Ex-Bayern zu solidarisieren, um nicht in politisch schwieriges, weil vorbelastetes und gefärbtes, Fahrwasser zu geraten.

Vor diesem Hintergrund ist deshalb auch die Stellungnahme meiner Kanzlerin zu verstehen, die heute Mittag verkündete:

"Inzwischen leben vier Millionen Muslime in diesem Land. Und diese Muslime gehören auch zu Deutschland. Und genauso gehört ihre Religion damit zu Deutschland. Also auch der Islam."
(SPON, Angela Merkel, Bundeskanzlerin und Bundesvorsitzende der CDU)

Bemerkenswert der Widerspruch, den sie unmittelbar dafür von ihrer Stellvertreterin erntete:

"Es gibt nicht den Islam und das hat Herr Seehofer so auch gesagt." "Zu uns in Deutschland gehört keine Radikalisierung, gehören keine Fundamentalisten. Unsere Wurzel ist die christlich-jüdische. Aber natürlich gehören auch Menschen muslimischen Glaubens zu uns."
(SPON, Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft und stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU)

Das Detail ist aufgefallen? Wie elegant meine Kanzlerin die Zahlenrelation ins Spiel bringt? Wie gekonnt die Verbindung, die meine Kanzlerin herstellt, von ihrer Stellvertreterin postwendend wieder aufgebrochen wird ohne ihr direkt zu widersprechen? Wie elegant meine Bundesministerin für Ackerbau und Viehzucht unterstellt, dass zum Islam Radikalisierung und Fundamentalismus gehören? Und wie elegant sie sich von Onkel Hotte distanziert und ihm trotzdem gleichzeitig Rückendeckung gibt, indem sie eine Aussage unterstellt, die gar nicht gefallen ist und ihm parallel dazu auf der offenen Flanke eine Breitseite mitgibt, indem sie betont, dass unsere Wurzel "christlich-jüdisch" ist? (Der Singular ist wichtig, denn eine Wurzel ist unteilbar und eine natürlich gewachsene Einheit.)

Normalerweise dauert es ja länger, bis sich an der Front der Bundeshomurfacharbeiter (ungelernt) etwas tut, aber das Kabinett Merkel IV legt eine wirklich beeindruckende Schlagzahl vor. Bleibt der von uns gewählte berliner Faschingsverein bei diesem Tempo, sollten wir uns vorsorglich stabilere Tischplatten und ausreichend Sprit besorgen.

Und schon mal die Sonntage besonders kennzeichnen.

(1)Sollten Sie sich beim Lesen dieser Zeilen in Bayern aufhalten: Politisches Asyl können andere Bundesländer leider nicht gewähren, nur andere Staaten.


Bild: Ralf Roletschek / Wikipedia

2 Kommentare:

  1. Verdammt. Ich mag keinen Gin. Besteht die Aussicht, dass es neben Victory-Gin auch einen passablen Whisky geben wird?

    Wie weit es mit der angebliche Säkularisation in Deutschland bestellt ist, merkt man alljährlich an Ostern, wenn Tanzveranstaltungen oder Ähnliches nicht genehmigt werden (wiewohl unsere oberste Instanz der Rechtsprechung bereits klargestellt hat, dass solcherlei Verboten eben eines sind: verboten).

    Die Politik muss sich selbstverständlich zu Fragen der Religion äußern. Aber was hier passiert, geht für meinen Geschmack zu weit. Aber gut, was bin ich auch? Bloß ein Atheist, der keine theologisch relevanten Beiträge liefern könnte. Wir bewegen uns in eine politische Richtung, bei der ich ECHT Angst vor Mai 2019 habe.

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  2. Wieso "geben wird"? "Wieder geben wird" wäre glaube ich die richtige Formulierung:
    https://dekanta.com/store/karuizawa-ocean-whisky-victory/

    Es ist noch immer ein Irrglaube vorauszusetzen, Deutschland wäre säkularisiert im Sinne einer laizistischen Struktur. Das war nie gewollt und wird auch aller Voraussicht nach nicht kommen. Die 1803 gelegte Grundlage (1919, 1933, 1949 fortgeführt) gilt bis heute. Davon auszugehen, dadurch (Laizität, ugs. Laizismus) würde alles besser, ist auch etwas "ab vom Schuss", wie anschaulich bei unseren Nachbarn im Westen zu beobachten ist.

    Das Problem der hier in Rede stehenden Äußerungen ist aber nicht die Religion, sondern die pauschale und absichtliche Gleichsetzung von Religion und Extremismus. Wenn das so "durchgeht", dann stehen uns interessante Zeiten ins Haus.

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