Donnerstag, 14. August 2008

Karnickelstarre

PutinRussland setzt Akzente. Nach langer und ausführlicher Ankündigung, dass man willens, bereit und in der Lage sei, auf der internationalen Bühne wieder militärisch mitzuspielen, folgte jüngst der noch fehlende praktische Beweis: Georgien wurde "im Vorbeigehen" befriedet. Neben all den wichtigen humanitären und geopolitischen Zielen ging es Russland eindeutig auch um die Demonstration der eigenen Stärke und der Hilflosigkeit der anderen Mitspieler:

Asien hat im Kaukasus null Aktien, fallen raus. Afrika kann sowieso nichts. Europa ist so vereint in der Frage, was man denn in Sachen Kaukasus tun könnte, dass man sich ratlos vom UN-Sicherheitsrat erklären lässt, wie man mit Krisen vor der eigenen Haustür umgehen sollte. Die UN wiederum ist auch nicht gerade einig und laviert herum, ohne konkret zu sagen, was die Führungsmächte der Welt eigentlich wollen. Und Amerika?

Die Administration unter Bush liegt in den letzten Zügen und ist mehr oder weniger handlungsunfähig. Die verbalen Antworten fallen entsprechend leer und irgendwie fadenscheinig aus: Russland hat übertrieben! Das darf man im 21 Jahrhundert nicht machen! Beeindruckt die Russen sichtlich. Der sich selber schon als Präsident wähnende Barack Obama rührt die Werbetrommel für Frieden, Einheit und Harmonie und sein besonders hier in Deutschland oft vollkommen unterschätzter Mitbewerber John McCain rückt schon mal vorsorglich eine direkte Einmischung der USA - wie üblich: mit Truppen - in den Bereich des Möglichen, freilich ohne dieses "Versprechen" im Augenblick einlösen zu können. Selbst wenn sein Leben davon abhinge, ER ist noch nicht dazu in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen.

Europa schlägt unterdessen eine europäische Friedenstruppe vor, die in Georgien die Einhaltung des Friedens überwachen soll, was Georgien natürlich auch total toll findet - Alles ist besser, als die Russen, die die Republik bei den Eiern packen und einkassieren. Darum wird dem europäischen Friedensvertrag sofort zugestimmt und Europa versucht mal wieder den Retter der Enterbten zu spielen. Alas: Eine Friedenstruppe ist auf dem Papier ja gut und schön, aber woher nehmen wir die denn? Stricken? Bei Obi im Resteregal gab es gestern jedenfalls keine Friedenstruppen mehr. Außerdem hat Deutschland auch so schon genug Probleme mit den eigenen Sofapazifisten und dem aktuellen Minimalstengagement im Ausland. Und jetzt, so kurz vor dem Wahlkampf, einen weiteren bewaffneten Auslandskonflikt? Mit welcher parlamentarischen Mehrheit denn?

Und selbst wenn man die für dieses Abenteuer notwendigen Soldaten hätte: Deutschland will sich ernsthaft ausgerechnet einen Streit mit Russland ans Knie nageln? Ausgerechnet mit dem Land, von dem man Gas, Öl und Kohle im ganz großen Stil bekommt? Sicherlich. Immer schön in die Hand beißen, die einen füttert. Da bringt es auch wenig, dass Frankreich die Bedeutung einer "transeuropäischen Lösung" unterstreicht und an alle Beteiligten appelliert, sich doch mal anzustrengen.

Ob Frankreich schon seine Legionäre mobilisiert, um unsere Kohle aus dem Feuer zu holen? Da habe ich doch so meine Zweifel, weil Franzosen verdienen doch ganz gut an dem Strom, den sie uns verhökern, weil wir weder ausreichend eigene Kraftwerke noch Energieträger haben. Von den Engländern fange ich mal gar nicht erst an, denn die haben gerade mehr innenpolitischen Stress als ein räudiger Straßenköter Flöhe. Spanien hat ja schon bescheid gesagt, dass man nicht so richtig Bock auf Krieg hat. Wen also schicken wir da hin? Dieses mal dann doch die freiwillige Feuerwehr aus Leer?

Und Georgien? Dort lehnt man sich so weit wie irgend möglich aus jedem sich anbietendem Fenster und beweist in erster Linie eine Dimension an Verblendung, bis hin zur angsteinflößenden Dummheit, die selbst in der Politik selten in solchem Umfang öffentlich vorgeführt wird. Jetzt gerade erst verlangte der georgische Präsident vom US Präsidentschaftskandidaten McCain, dass der doch seinen Worten ("Wir kommen da gleich rüber, dooo!") bitte Taten folgen lassen solle. Mit anderen Worten: "Bitte, bitte Amerika, marschier bei uns ein!" McCain denkt sich wiederum wahrscheinlich "Können vor lachen!", denn noch ist er nicht Chef der Armee und deshalb kann er mal so rein gar nichts veranlassen.

Und wenn wir alle jetzt mal so tun, als wenn nichts passiert wäre? So'n bissi aufregen und einen auf dicke Hose machen und rumpoltern, aber sonst nichts? Ja... dann... äh... Keiner traut es sich zu sagen, aber im Prinzip ist das zur Zeit die einzige echte Option, die "wir" - das sind alle anderen außer Russland und Georgien - tatsächlich haben. Wir müssen abwarten, wozu uns Russland einlädt. Und damit auch ja kein Zweifel daran aufkommt, wer in Russland den Ton angibt, achten wir bei nächster Gelegenheit mal darauf, wer "vor Ort" (aka: an der Front, bei der Truppe) handelt und wer für die Presse tolle Erklärungen im warmen Studio verliest. Noch Fragen?

Was sollen wir (lies: der Westen) denn auch tun? Mit der Unabhängigkeit des Kosovo haben wir Russland ganz gehörig vor den Koffer geschissen und gezeigt, dass uns Russlands Interessen einen gepflegten Scheiß interessieren. Unabhängigkeit ist toll! Freiheit für jeden! Heute der Kosovo, morgen Schottland, übermorgen das Baskenland, Katalonien, Bayern. Und Freiheit für Tibet natürlich auch! Rettet die Wale! Nieder mit dem imperialistischen Unterdrücker! Super Idee, nur die langfristigen Folgen? Ach huch, die Probleme lassen sich nicht durch singen, klatschen und im Kreis hüpfen lösen? Ja so ein Mist. Na egal, irgendwie wird's schon gehen. Hauptsache Peace auf dem Sofa und Freiheit für alle! Ich spend' auch ne Mark füre Caritas!

Genau das ist übrigens auch unsere Haltung in Sachen "ehemalige russische Teilrepubliken". Tschetschenien? Georgien? Vor 14 Tagen wusste die große Mehrheit in Deutschland nicht einmal, dass es diese Gegenden überhaupt gibt und jetzt ist da Krieg! Und wenn Krieg ist, dann reden wir natürlich mit! Ganz groß. Kein Krieg ohne deutsche Verbalbeteiligung. Wollen wir uns da wirklich richtig einmischen? Können wir uns da überhaupt einmischen? Nein. Können wir nicht und wollen sowieso nicht ("IIIIiiiih! Verantwortung!") Und die Amis? Wenn "die" tatsächlich von irgendwo Truppen zusammenkratzen könnten, um sich in Georgien einzunisten: Die unmittelbare militärische Konfrontation mit dem Russen? Echt jetzt? Wo gerade der Generalstab durchwechselt und keiner so recht weiß, ob die Devise der Zukunft "rein in die Kartoffeln" oder "raus aus den Kartoffeln" lauten wird? Das glaube ich nicht, Tim.

Also bleibt dem Westen nur diplomatische Rhetorik und tolle Reden im Fernsehn. Schon mal die Spendenappelle vorbereiten und Pressevertreter zum Roten Kreuz schicken, die die Zeltlager und Hilfslieferungen für den hiesigen Sofapazifisten fernsehtauglich 'rüberbringen. Aber bitte nicht zu viel davon, sonst versaut es am Ende noch den Wahlkampf... Insgesamt kann man Russland eigentlich nur zu einem brillianten Schachzug gratulieren: Minimales Risiko, maximaler Gewinn. Genial gemacht.

Was machen wir eigentlich, wenn sich die Russen dazu entschließen, den Motivationsschub aus dem schnellen und einfachen Sieg auszunutzen und sich noch ein paar andere "Abweichler" wieder an Land zu holen? Und was machen wir, wenn mal unsere erklärten Freunde betroffen sind? Ist ja nicht so, dass das Thema Kosovo schon vom Tisch wäre...

4 Kommentare:

  1. Sicherlich eine gut durchgezogene Strategie der Machtdemonstration - aber ich bin mir alles andere als sicher, ob Russland (bzw die GUS) diesen kleinen Streit unbedingt vom Zaun brechen wollte.

    Ossetien (Süd- wie Nord-) hat schon relativ oft relativ klar gesagt, daß sie sich eben nicht als Georgier sehen. Der Georgische Präsident Saakaschwili andrerseits hat bei Amtsantritt (und als Wahlversprechen) aber schon geäussert, daß er die abtrünnigen Provinzen wieder in den Schoß des Heimatlandes führen wolle - wobei er Georgien meinte, nur, damit keine Missverständnisse entstehen.

    Nach dem letzten Unabhängigkeitskrieg in Südossetien steht da eine Friedenstruppe - die Russen. Und zumindest einem Teil der Berichte zufolge hat sich die GUS erst berufen gefühlt, mal was zu machen, als die Armee Georgiens beschloss, jetzt doch mal lautstark "Hallo" zu sagen.

    Ob das stimmt? Schwer zu sagen, in dem Propaganda-Chaos, das lauter tönte als die Granatwerfer, aber nur weil Russland größer ist, macht es sie nicht automatisch zu den bösen Buben...

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  2. Georgien ist nicht mehr in der GUS, nur so am Rande. Sind heute Nachmittag irgendwann ausgetreten.

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  3. Un Geogieboy, also der Doppel U, hat sofort "humanitäre Hilfe" zugesichert. Schlafsäcke, Feldbetten und Medikamente. Aber alles AUSDRÜCKLICH von der Marine und der Luftwaffe organisiert.

    Interpretation sei jedem selbst überassen.

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  4. Wie ich es sehe? So lange ich nicht wirklich die Wahrheit von beiden Seiten kenne, ist mein Bild von der Lage in Georgien verzerrt. Doch was derzeit nicht nur "da hinten" abgeht, ist in jedem Fall beunruhigend.

    1. Krieg ist pauschal scheiße für die Betroffenen. Mal Waffenhändler und Rüstungsindustrie ausgenommen - versteht sich. Oder mag sich jemand ernsthaft hinstellen und das Gegenteil behaupten?

    2. Russland will hier (wie schon bemerkt) offenkundig Stärke demonstrieren und es sieht in Summe mit den letzten Vorkommnissen so aus, als ob der russische Präsident Wladimir Pu...äh, pardon: Dmitri Medwedew Anstalten macht, das frühere Staatengefüge der UdSSR wieder aufzubauen.

    3. Die Zahl der wirklich ernsten Konflikte größeren Ausmaßes nimmt in den letzten Monaten zu. Ich wage zu bezweifeln, dass das angesichts von diversen Unabhängigkeitserklärungen und vor allem angesichts steigender Probleme mit der Energieversorgung weniger wird...

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