Freitag, 13. Juni 2008

Muss man erlebt haben, oder?

FussballFußball eignet sich so wunderbar zum Polarisieren. Man muss sich nicht mal selber bemühen, man muss einfach nur abwarten, bis die Verrückten sich selber zum Vollhorst machen. Die EM ist keine Woche alt und schon sammeln sich die ersten Paradebeispiele an. Bei uns hier in meiner Heimatstadt gibt es "Public Viewing". Das gibt es auch anderswo, das ist darum weder besonders noch elitär. "Dem muss man abhelfen!" dachten sich wohl die Veranstalter und rahmten dazu einen der größeren öffentlichen Plätze hier in Oldenburg komplett ein. In 2 Meter hohe Sichtblenden. Mit Einlasskontrolle. Und die gibt es natürlich nicht ohne Grund. Aus dem "Forum" (oder Gästebuch oder was weiß ich, wie die das Feature bei sich nennen) der zu dieser Veranstaltung gehörenden Webseite:
"Kostet das was?"

"ja, bei Spielen mit deutscher Beteiligung und ab dem Viertelfinale wird aufgrund des nötigen größeren Ordnungsdienstes eine Sicherheitsgebühr von 1 Euro erhoben."
Höherer Sicherheitsaufwand bei Spielen mit deutscher Beteiligung? Militante Fernsehzuschauer bevölkern Deutschland! Mobilisiert schon mal die Armee! Aber angesichts des folgenden Kommentars kann ich das sogar verstehen:
Arne: "WIR WOLLEN STIMMUNG - Da stimme ich dir zu! Aber bitte kein Ballermann-Feeling, okay ;-)"

DJ Olly von See: "Die meisten Fußball-Lieder sind nunmal im wie Du es nennst 'Ballermann-Style'. Einfach mal die aktuellen Fußball-Sampler checken!!!"
Daraus folgt dann wohl, dass Fußball == Ballermann ist. Folgt daraus dann auch Fußballfans == Chronische Dauersäufer / Alkoholiker / Vandalen / Inteligenzbefreite Vollspaten? So weit weg liegt die Vermutung dann ja wohl nicht, was wiederum die Frage aufwirft, ob vielleicht die Sichtblenden die Passanten vor dem Anblick der stockbesoffenen Proleten die mit Elan aufs Pflaster kotzen, schützen sollen? Denkbar wäre es ja.

Als Polen dann gegen Deutschland verlor, zeigte sich dann auch gleich, dass die Vermutung der Neigung zu Militanz und Nationalismus unter Fußballfans weit verbreitet ist. Unmittelbar nach dem Spiel wollten sich an einem Deutsch-Polnischen Grenzübergang einige "Fußballfans" zum fröhlichen Fresse dick treffen. Die Polizei konnte nur mühsam eine Massenschlägerei unterbinden. Damit aber nicht genug. Etliche Polen, ganz vorne weg Politiker, fordern jetzt dem erfolgreichen Torschützen der Deutschen Nationalmannschaft den polnischen Pass und damit seine polnische Staatsangehörigkeit wegnehmen zu lassen. Natürlich interessiert es die Fanatiker nicht für 2 Cents, dass der gute Mann gar nicht polnischer Staatsangehöriger ist. Wen interessieren schon Details?

Als dann Deutschland gestern gegen Kroatien malerisch auf die Mappe bekam, war denn auch gleich das Geheul groß. Statt es aber sportlich zu nehmen, muss natürlich auch hier wieder ganz tief in die nationalistische Kiste gegriffen werden. Das Satiremagazin Titanic brachte die nationalistischen Resentiments in einem Vierzeiler mit dem Titel Gsella am Freitag - Apropos!" auf den Punkt:
Wie entstand Kroatenland?
Jemand hat es anerkannt
Also wer rief "Genscher vor"?
Alemannia Eigentor!
Aber auch der Deutschen liebste Zuwanderer aus Südosteuropa sind sich nicht zu schade, ganz tief in der Schublade des Nationalstolzes zu wühlen. Zwar gewann die Türkei gegen die Schweiz, aber das reicht noch lange nicht aus, um die Schmach der WM vergessen zu machen. Also tritt man noch mal schön nach. Wie? Ganz einfach. Man verklagt die Schweiz, weil sie als Gastgeber in ihren Nationalfarben (rot-weiß) auflaufen durfte, die Türkei in jenem Spiel dafür auf andere Farben (weiß-türkis) ausweichen musste. Und wer ist verantwortlich? Natürlich der Hersteller der Sportartikel!

Ich bin mir sicher, dass wir im Laufe dieser kostbaren Massenveranstaltung noch viel mehr solch grandioser Beispiele dafür geliefert bekommen, warum Fußballfans aller Nationen ein unverzichtbarer und hoch angesehener Teil des Kulturguts sind.

(Quelle: FTD, Titanic, ad-hoc-news, tz-online, wir-wollen-public-viewing.de)

1 Kommentar:

  1. Ich wiederhole mich da dann doch gerne: Ich habe während des Eröffnungsspiels der WM '06 Rasen gemäht. Ich habe auch die diesjährige Eröffnung "verpasst" und nur am Rande mitbekommen, dass Deutschland im ersten Spiel gewonnen hat.

    Fußball - man muss es einfach so sagen - interessiert mich nicht die Bohne.

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