Nur wenige Tage nach der Eskalation in Leipzig weisen Verantwortliche die ersten Maßnahmen an: "Spielabsagen in Sachsen". Knapp 60 Spiele sind für das kommende Wochenende gestrichen worden. Wird das helfen? Vermutlich nicht, denn es geht nicht um ein auf Sachsen beschränktes Problem.
Sogenannte Ultra-Fans, kurz "Ultras" und "Hooligans" benutzen Fußballspiele, um Gleichgesinnte zu finden und sich gegenseitig zu verprügeln. Das ist zwar in den östlichen Bundesländern in der Öffentlichkeit präsenter, als in den westlichen, aber das Problem existiert hüben wie drüben im gleichen Umfang. Sinn und Ziel dieser gewollten Gewaltorgie sind soziologische Probleme, deren Liste ebenso lang wie langweilig ist. Über den Fußball alleine lässt sich dieses Problem nicht lösen, selbst wenn - was reichlich abwegig ist - alle Spiele ab sofort ohne Zuschauer ausgetragen werden sollten.
Die Gewalt wird weiter eskalieren und in den einschlägigen Foren der Ultras und Hooligans feiern sich die "Helden von Leipzig" gegenseitig und beglückwünschen sich zu ihren Erfolgen und "einem gelungenen Tag". Es ist wohl eher nicht damit zu rechnen, dass man einer solchen Szene, der es einzig und allein um Gewalt geht, mit gutem Zureden auch nur ansatzweise die Gewalt ausreden kann. Von daher sind die sicherlich gutgemeinten Fanprojekte zwar sehr lobenswert zu erwähnen, ernstzunehmende Erfolge dürften davon aber eher nicht zu erwarten sein.
Allerdings hat der Warnschuss des Polizisten im Nachhinein eine recht beeindruckende Wirkung auf die gewaltbereiten Prügelfans, denen irgendwie klar wird, dass sie in dem Punkt irgendwie am kürzeren Hebel sitzen. Sicher, die Prügelfans haben bewiesen, dass auch sie Schusswaffen haben - Schreckschusspistolen - und dass sie bereit und in der Lage sind, diese einzusetzen (aufgesetzter Schuss auf den Oberschenkel eines Polizeibeamten im Streifenwagen, nachdem der Mob die irgendwie die Tür aufbekommen hatte). Allerdings ist die Polizei irgendwie besser ausgerüstet.
Was die Mehrheit der Prügelfans vergisst oder vergessen will: Die Polizisten sind nicht freiwillig am Einsatzort, sondern weil sie dort sein müssen, weil es ihnen befohlen wird. Sie sind zwar vielleicht "freiwillig" Polizist(in), aber ebenso "freiwillig" sind andere Menschen Verkäufer(in) oder Kellner(in) oder eben Arbeitslos. Die Polizei fährt zwar überwiegend die Strategie der Deeskalation, aber das ist ein Angebot an das (sogenannte) polizeiliche Gegenüber, dass man es vielleicht doch mal mit friedlichen Mitteln versuchen könnte. Das ist aber keine in Stein gemeißelte Verpflichtung.
Die jeweiligen Dienstherren (lies: Ministerien des Inneren und Landesregierungen) haben die Pflicht, ihre Beamten so gut es geht zu schützen. Das werden sie auch tun, denn so ein Einsatzbeamter ist eine verdammt kostspielige Angelegenheit. Die Ausbildung und Ausrüstung kostet Unsummen und wenn ein solcher Beamter verletzt wird und eventuell sogar durch eine solche Verletzung auf Dauer Dienstunfähig ausfällt, dann kostet das noch sehr viel mehr.
Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die "Führung" einsehen wird, dass die herkömmlichen, die "überlieferten" Mittel der Auseinandersetzung mit dem im Pulk auftretenden "Gegenüber" nicht mehr greifen. Man wird sich ansehen, wie anderswo solche Probleme erfolgreich gelöst werden, zum Beispiel in Asien oder in Amerika. Man wird sich fragen, ob die eigenen Regeln der Gewaltvermeidung seitens der Sicherheitskräfte nicht eventuell durch die Entwicklung innerhalb der Prügelfangruppierungen lange überholt wurden und ob man nicht eventuell zugeben muss, dass es Situationen gibt, in denen man als Ordnungshüter mal den ganz großen Knüppel auspacken muss.
Die große Politik hat gerade bewiesen, dass sie wegen ganzer drei(!) Amokläufe bereit ist, einer millionenschweren Industrie massiv Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Was mag dieselbe Politik wohl bereit sein zu tun, wenn sie erkennt, dass hier ein noch sehr viel größeres, schwerwiegenderes Problem in der Gesellschaft schwelt?
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich den Luxus einer extrem defensiven Polizei leistet. Wir leben in einer Gesellschaft, in der ein Polizist sich eher verprügeln lässt, statt sich mit der Waffe zur Wehr zu setzen. Wir leben in einer Gesellschaft, die es sich leisten will, dass Polizisten sich dafür rechtfertigen müssen, wenn sie Gewalt anwenden. Meiner Meinung nach ist das auch gut so, aber es steht nirgendwo, dass das so bleiben muss.
Die Gesellschaft hat "Schießt ihn runter!" geschrien, als der vermutliche Straftäter auf das Dach des Gefängnisses geklettert war. Das Volk wollte Blut sehen und verstand nicht, warum die Polizei hier so zurückhaltend und behutsam vor gegangen ist. Was mag "das Volk" wohl verlangen, wenn Polizisten zu Tode kommen? Kreuzigung? Und was mag die Politik bereit sein dem Volk zu geben? Und die fordernden Stimmen werden lauter.
Denkbare und vor allem wirksame und bezahlbare Lösungen wäre zum Beispiel die Herabsetzung der juristischen Schwelle von "Gewaltmitteln", wie zum Beispiel Wasserwerfer, Hunde, Pferde, Reizgas etc. Denkbar wäre auch die Einführung bislang in Deutschland eher verpönter, anderswo jedoch überaus erfolgreich eingesetzter Gewaltmittel, wie zum Beispiel Gummischrot, "Beanbags" oder Massivgummi- bzw. Holzgeschosse. Bisher hieß es zwar, das sei zu gefährlich (für die Demonstranten), aber wo steht, dass es bei dieser Ansicht bleiben muß?
Die Unverletzlichkeit der Person ist zwar ein Grundrecht, aber in der Einschränkung von Grundrechten zum Schutz der Interessen des Staates haben wir gerade fürchterlich viel Übung. Und dann wäre da natürlich auch noch die Maßnahme der Inhaftierung. Das Grundrecht auf Freiheit der Person ist ja nun nicht unbedingt eines, das in Deutschland noch nie angetastet worden wäre. Warum "die üblichen Verdächtigen" nicht einfach mal drei oder vier Tage einbuchten?
Ich für meinen Teil habe echte bedenken, ob wir hier mit unseren Grundrechten eigentlich überhaupt umgehen können, ob wir "unsere" Grundrechte überhaupt verdient haben, für die Menschen gestorben sind.
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