Montag, 8. Oktober 2007

Alles, was Recht ist

JustiziaEine einfache Frage: Wer bestimmt, was Recht und Unrecht ist? Die meisten werden sich auf die Feststellung berufen, dass Recht ist, was Gerichte urteilen und Gesetz ist, was Politiker beschließen. Je nach politischer Orientierung wird mancher auch behaupten, dass Recht ist, was man erkaufen kann, das letztendlich das Geld, das Kapital, definiert, was Recht ist und damit über jeder Moral und Ethik steht und den alleinigen Maßstab diktiert - und nicht wenige aus dieser Gruppe werden das als "richtig" verteidigen, was wiederum Widerspruch herausfordert, denn dieser von jeder Ethik befreite Kapitalismus, der sich seine Regeln nach eigenem Gusto nach Bedarf selber erschafft, widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen. Spätestens dann, wenn sie damit selber in der Rolle des Opfers unmittelbar konfrontiert sind.

Eine weitere einfache Frage: Für wen gelten Gesetze? Spontane Antwort: "Für alle." Stimmt das? Gesetze müssen allgemein sein, dürfen sich nicht auf den Einzelfall und nicht auf bestimmte Personen beschränken. Zumindest in Deutschland ist das so. Unsere Vergangenheit lehrt uns, warum es keine Spezialgesetze und Sondergerichte geben darf, jedenfalls nicht, solange dieser Staat als "Rechtsstaat" bezeichnet werden soll. Soweit jedenfalls die Theorie.

Die Praxis zeigt, wie weit sich Deutschland von diesem Ideal entfernt hat und ich rede jetzt nicht davon, dass die Bayern sich ohne gültige Rechtsgrundlage und entgegen geltender Rechtsauffassung in die Rechner irgendwelcher Privatleute gehackt haben, um so "Voice over IP"-Kommunikationen abhören zu können. Ich rede auch nicht über den nur noch Groteske oder Farce zu nennenden Streit der Lokführer um eine Gehaltserhöhung von völlig angemessenen 30% und sich nicht zu schade dazu sind, vom Staat zu verlangen, dass er sich über die Tarifautonomie hinwegsetzt und den Mitgliedern dieses kleinen, staatstragenden und sich unheimlich wichtig nehmenden Vereins das Geld im großen Stil in den Rachen stopft, obwohl es genau dieses Eingreifen ist, gegen das sich Gewerkschaften sonst mit Händen und Füßen mit kratzen, beißen, treten und in den Haaren ziehen wehren, weil das verboten sei.

Nein, all das und viele andere Kuriositäten meine ich nicht. Was mich ganz besonders heute mit dem Kopf schütteln lässt, ist eine Rechtspraxis des deutschen Arbeitsrechts. Es ist Verboten, gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Wer das tut, der ist (im weitesten Sinne) ein Straftäter. Es ist erlaubt und zuweilen sogar Pflicht, solche Straftäter anzuzeigen. Es ist dem Straftäter verboten, sich dafür an dem ihn Anzeigenden zu rächen.

Theoretisch jedenfalls. Ist der Straftäter aber eine Firma und ist der Anzeigende auch noch Mitarbeiter dieser Firma, dann darf ihn die Firma feuern. Wegen Verstoßes gegen die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Und die ist natürlich wichtiger und bedeutsamer als die Pflicht sich an Gesetze halten zu müssen.

Das ist in Deutschland geltendes Recht, wie das Bundesarbeitsgerichts aktuell geurteilt hat. Zwar ist das Erstatten einer Anzeige grundsätzlich ein staatsbürgerliches Recht, aber dieses Recht hat Grenzen und zwar spätestens da, wo die Ausübung zu unverhältnismäßigen Reaktionen bis hin zur Schädigung des arbeitsrechtlichen Vertragspartners führt.

Offen bleibt, was denn wohl nach Ansicht der Richter so alles "unverhältnismäßige Reaktionen" gegenüber einem Straftäter sind. Diesen anzuzeigen gehört aber offenbar schon dazu.

(Quelle: Stern)

5 Kommentare:

  1. Das ist ständige Rechtsprechung seit vielen Jahren, und es ist arbeitsrechtlich auch nachvollziehbar. Eine Strafanzeige gegen den eigenen Arbeitgeber zerstört die Vertrauensgrundlage endgültig, soviel ist sicher. Und eine Pflicht zur Anzeige gibt es, von wenigen (sehr schweren) geplanten Straftaten abgesehen, eben gerade nicht.

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  2. Es ist nicht die Frage, ob es überhaupt eine Pflicht zur Anzeige von Straftaten gibt. Es ist vielmehr erschreckend, dass aus dem Grundrecht eine Straftat anzuzeigen plötzlich ein Verbot wird, sobald es um die Firma geht, deren Mitarbeiter man ist. Damit steht Firma außerhalb der durch die Verfassung garantierten Rechte und damit sogar ein Stück weit außerhalb dessen, was man so landläufig den "Schutz des Bestandes des Staates" nennt, was eigentlich im Interesse jedes Bürgers liegen sollte und damit ein höherwertiges Rechtsgut sein sollte, als das Interesse einer x-beliebigen Firma vor etwaiger selbstverschuldeter Strafverfolgung.

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  3. Jaja, hab ich schon verstanden was du meinst. Aber ein "Grundrecht, Strafanzeige zu stellen" gibt's eben auch nicht - es sei denn, man wäre selbst das Opfer, und dann sind die arbeitsrechtlichen Folgen auch völlig anders: Der Arbeitnehmer hat selbst ein außerordentliches Kündigungsrecht und einen Schadensersatzanspruch...

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  4. Eben. Rache unter dem Schutz der Gerichte ist das und nichts Anderes. Nur weil das "ständige Rechtsprechung" und "arbeitsrechtlich auch nachvollziehbar" sein soll, wird es deswegen noch lange nicht "richtig", dass das Kapital seine eigenen Urteile und Sanktionen zulasten der Menschen fällen darf.

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  5. Jaja, hab ich schon verstanden was du meinst. Aber ein "Grundrecht, Strafanzeige zu stellen" gibt's eben auch nicht

    Du irrst. Wenn das nicht so wäre, dürfte kein Zeuge einer Straftat die Polizei anrufen, denn rein formaljuristisch ist das bereits das "zur Anzeige bringen einer Straftat". Jeder darf jede Tat zur Anzeige bringen. Ob die Straftat auch verfolgt wird ist eine andere Frage, ebenso wie die Frage, ob man als "Ankläger" oder "Nebenkläger" im (sich eventuell anschließenden) Verfahren auftritt. Außen vor bleiben natürlich Fälle der falschen Anschuldigung etc.

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