In der
Netzeitung war zu lesen, dass der Zentralrat der Juden scharfe Kritik an der Art übt, wie in Deutschland der Holocaust vermittelt wird. Ich war baff. Weniger wegen der Tatsache, dass der Zentralrat der Juden mal wieder irgendetwas kritisiert, sondern eher deshalb, weil mir dieser Vorwurf irgendwie bekannt vorkommt. Stephan J. Kramer, Generalsekretär des
Zentralrats der Juden in Deutschland wurde zum Thema
interviewt und sparte nicht mit Kritik. Ich bin mir nicht sicher, ob der Mann mein Weblog kennt - ich bezweifle es ehrlich gesagt - aber er greift mehrere meiner Thesen auf und gibt mir ziemlich unumwunden Recht. Schon mehrfach hatte ich gerade in Bezug auf den wieder aufstrebenden Rechtsextremismus
kritisiert, dass das Problem von der Politik auf Bundes- und Landesebene
verdrängt wird. Stephen Kramer dazu:
"Die Politik sollte aufhören, sich hinter der Polizei und hinter der Justiz zu verstecken. Sie müssen sich selber mit dem Problem auseinandersetzen – und zwar nicht nur mit den Symptomen, sondern mit den Ursachen der Krankheit."
Das könnte von mir sein. Herr Kramer bezieht sich zwar auf Bayern, wo ein Bürgermeister als aktive Gegenwehr gegen eine Veranstaltung der rechten NPD "ignorieren" als Mittel der Wahl empfahl und so eine verblüffende Blindheit offenbarte, während meine Paradebeispiele das abgesagte Konzert von Wecker und Schönbohms Verhalten nach dem Vorfall in Potsdam sind. In der Sache sind wir uns jedoch einig. Herr Kramer kritisiert zudem, dass rechtes Gedankengut inzwischen "bis in die Mitte der Gesellschaft" vorgedrungen ist und dort gesellschaftsfähig diskutiert wird. Wir haben selber vor kurzem gesehen, wie weit das Problem inzwischen gediehen ist. In "
die richtige Staatsform" wurde in aller Deutlichkeit vorgeführt, wie hoch die Akzeptanz und sogar Bewunderung der rechten Ideologie tatsächlich ist. Auch Kramer führt die Ursache auf die Bildungssysteme zurück:
"Die Art und Weise, wie Bildungsarbeit zum Holocaust in den letzten 20 Jahren in Deutschland betrieben wurde, ist völlig kontraproduktiv. Sie führt zum Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen." "Die Holocaust-Education muss auf den Prüfstand."
Damit bestätigt Herr Kramer meine These, dass die schulische Bildung auch in diesem Punkt versagt hat. Immer wieder höre ich im Umgang mit gerade jüngeren den an die Schulen gerichteten Vorwurf des "erzwungenen Schuldgefühls". Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Lehrer es in den wenigsten Fällen begreifen, was sie vermitteln müssen. Kramer fasst das mit den Worten zusammen:
"Wer nachkriegsgeboren ist, hat keine Schuld auf sich geladen. Nur, weil jemand Deutscher ist, ist er nicht schuldig. Es gibt keine Kollektivschuld."
Genau das ist es, was die Lehrer falsch machen. Sie verwechseln "Verantwortung" mit "Schuld". Ob in bester Absicht oder nicht ändert am Resultat nichts: Es fehlt den jungen Menschen an Kompetenz mit dem Thema und den damit verbundenen Problemen umzugehen. Es fehlt ihnen an der Aufmerksamkeit, den sich einschleichenden Rechtsextremismus wahrzunehmen und um entsprechend zu reagieren, fehlt ihnen die Bereitschaft zu politischen Betätigung. Politikverdrossenheit in Deutschland ist nicht einfach nur ein Problem der Parteien am Wahltag. Es ist vielmehr ein fundamentales Problem, das uns allen noch viel Freude bereiten wird.
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