Montag, 30. Juli 2007

Buch und Bildung

BücherIn Deutschland gilt seit Jahrzehnten, dass ein Abitur aus den südlichen Bundesländern anspruchsvoller ist als sein in den nördlichen Bundesländern erworbenes Gegenstück. Es gibt kaum Widersprüche gegen diese Volksweisheit. Es ist auch bekannt, dass der Süden der Republik eher gottesfürchtig zu bezeichnen ist, als der Norden. Zu meiner profunden Überraschung sind diese beiden Aspekte Argumente in ein und derselben Debatte, nur eigentümlicher Weise von den exakt entgegengesetzten Lagern.

Vor einigen Tagen kam die ehemalige Kultusministerin und jetzige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan (CDU), auf die naheliegende Idee, dass die Sache mit den Qualitätsunterschieden der Bildungsabschlüsse irgendwie nicht so die Wende ist. Nun ist aber Schule Ländersache und der Bund kann - in diesem Fall: leider - nicht per Dekret anordnen, dass die Schulen in der Republik endlich mit dem Quatsch von wegen "liberale Bildungsinhalte" aufhören und endlich mal wieder Bildung vermitteln, anstatt nur darüber zu debattieren.

Der Bund kann aber schon ein paar Richtlinien erlassen und hier und da Vorschriften erlassen. Der Ministerin (oder dem Ministerium, ihren Wählern oder sonstwem) kam der Gedanke, dass es eventuell auch am Lehrmaterial liegen könnte, dass es regional so extrem deutliche Unterschiede in den Ergebnissen der Bildungsvermittlung gibt. Und in der Tat: Beinahe jede Schule hat "eigene" Schulbücher, die sich nach dieser oder jener Fantasievorstellung irgendwelcher "Fachleute" richten. Jedes dieser Schulbücher wird als geilste Erfindung seit geschnitten Brot verkauft - für teuer Geld - und jedes Schuljahr wieder darf man sich fragen, warum denn jetzt schon wieder neue Schulbücher angeschafft werden müssen.

Neue Erkenntnisse, ok, mag ja sein, aber was genau ändert sich denn zum Beispiel alles an der grundsätzlichen Mathematik? Oder wird mal wieder regelmäßig die Geschichte umgeschrieben? Muss mal wieder was an der politischen Bildung getan werden? Wohl nicht nur ich frage mich, was an den Schulbüchern des letzten Jahres so scheiße war, dass man dieses Jahr vollkommen andere kaufen muss, in denen irgendwie exakt dasselbe drinsteht. Diese Überlegungen muss auch Frau Schavan irgendwie gehabt haben. Sie findet es ziemlichen unfug, dass jedes Bundesland, jede Gemeinde und sogar jede einzelne Schule das Rad ständig neu erfindet und jedes Jahr aufs Neue mit ach-so-tollen Lehrbüchern herumexperimentiert.

Machen wir uns nichts vor: Die einzigen, die daran profitieren, sind die Schulbuchverlage. Darum halten die in der sich entwickelnden Auseinandersetzung auch schön die Klappe, denn sonst würde eventuell noch irgendjemand auf die Idee kommen, mal die Bücher der einzelnen Verlage entsprechend der Region ihrer Verwendung zu analysieren und eventuell anfangen, unangenehme Fragen zu stellen. Dafür melden sich aber diverse andere Politiker zu Wort, die Singen und Klatschen durchaus für angesagten Lehrstoff halten.

Ausgerechnet der Parteikollege aus Niedersachsen, Kultusminister Bernd Busemann (CDU), findet die Idee von Frau Schavan völlig schwachsinnig:
"Wir wollen den Schulen doch gerade mehr Freiheiten geben, damit sie ein eigenständiges Profil herausbilden können"
Die Unterschiede im Resultat der Bildung sind ja auch noch nicht groß genug. Er ist davon überzeugt, dass ein Wirtschaftsgymnasium eher ein Buch mit ökonomischen Schwerpunkten wählen können sollte und eine Schule in freier Trägerschaft die christlich-soziale Werteerziehung betonen. Kommt es nur mir eigenartig vor, dass der Herr hier den moralisch-ethischen Bezug ausgerechnet für die Ausbildung der Nachwuchsökonomen ausklammert, ihn aber für die Ausbildung aller anderen Fachrichtungen als Option der Wahl mit eindeutigem Religionsbezug herausstellt und quasi empfiehlt? Erinnert man sich noch an seine "Note per Dekret"?

Sicher, einheitliche Schulbücher verbessern nicht zwangsläufig die Qualität der Schule. Da stimme ich mit dem bildungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der FDP, Patrick Meinhardt, überein. Aber es ist ein erster Schritt dahin, dass an allen Schulen unmittelbar vergleichbarer Schulstoff und unmittelbar vergleichbare Lehrmittel eingesetzt werden. Wenn die Lehrmittel vergleichbar sind, dann können Unterschiede im Lehrerfolg eher auf die Methode der Vermittlung zurückgeführt werden und auch auf die unmittelbare Auswahl der Inhalte im Detail. Das wiederum kann man dan direkt den Lehrern anlasten und DAS wollen die ja nun auf gar keinen Fall. Nahher kommt noch jemand dahinter, dass sie nur ihre Aufzeichnungen von Anno Dunnemals verwalten und jedes Jahr aufs Neue vorlesen (und das dann "Unterricht" nennen.)

Der Lehrkörper des Bundes (Kultusministerkonferenz) wird mit Sicherheit alles daran setzen, dass die schlüssige und richtige Idee der Ministerin abgeschmettert wird. Als Argumente rechne ich mit individualität und selbstverwirklichung und eben Singen und Klatschen. Ich erwarte auch, dass irgendjemand die große Konfessionskeule auspackt und behaupten wird, dass ja katholisch dominierte Gegenden völlig andere Lehrbücher bräuchten als die säkularisierten. Der niedersächsische Kultusminister deutet das ja bereits an. Wie war das noch gleich mit der Religion im Unterricht? War da nicht was mit Trennungsgebot von Kirche und Bildung und den anderen Religionen und Ansichten und so?

Ich rechne aber vor allem damit, dass da wieder irgendwelche Sing- und Stuhlkreise gebildet werden, in enden Dinkelkekse zu Mate-Tee gereicht werden und irgendwelche hochbezahlten Leute Jahrhundertelang darüber debattieren, ob es in der Debatte generell um alle Schulbücher geht oder nur um solche, die einen festen Einband haben und ob man sich nun jeden zweiten Monat in einer anderen Grundschule trifft oder doch eher im Parkhotel an der Alster...

1 Kommentar:

  1. "Natürlich waren es DIN-KEL-PLÄTZ-CHEN!..."

    Ich empfehle "Essbeton heute" von Tresenlesen. Dieser eher humoristische Beitrag zur Erziehung fällt mir zu den erwähnten Dinkelkeksen spontan ein.

    Zu Schulbuchverlagen: Schroedel und Klett gibts - und wenn noch in Deutschland? Und ein Großteil wird bei diesen beiden Verlagen bestellen. Was liegt da näher, als einfach mal beizugehen und bestimmte Bücher, die absolut *NULL* Varianz besitzen, weil sich der Stoff nicht verändert, festzunageln und vorzuschreiben, dass eben diese und keine anderen Bücher verwendet werden dürfen?

    Was ändert sich in der Biologie bis zur Beobachtungsstufe großartig am zu vermittelnden Wissen? Wie sieht es mit der Mathematik aus? Brauchen Schüler bis zum Realschulabschluss wirklich jährlich neue Physikbücher, obwohl sie mit Quantenmechanik allenfalls indirekt in Berührung kommen? Was für aktuellen Erkenntnissen sind die Autoren von Büchern den Deutschunterricht unterworfen? Und macht es wirklich Sinn, neue Bücher für den Musikunterricht zu beschaffen, wenn sich an der Art und Weise, Noten zu schreiben seit 100 Jahren nichts mehr geändert hat?

    Die einzigen Bücher, die wirklich häufiger neu herausgegegeben werden müssen, sind Geografie/Kartografien, Geschichtsbücher und in einigen Teilaspekten Bücher über Religion/Ethik und die Politik.

    Im Bereich Physik, Mathematik und Biologie dürften sich allenfalls ab der gymnasialen Oberstufe relevante Änderungen ergeben, wenn es auf den jeweiligen Wissensgebieten bahnbrechende neue Entdeckungen gegeben hat.

    Fremdsprachen...schwierig, das zu beurteilen. Zumindest bei toten Sprachen und Kunstsprachen (Latein, Esperantor) wird es kaum Änderungen geben können. Bei lebendigen Sprachen dagegen dürfte es schon das eine oder andere interessante Ding geben, was man einem Schüler nicht vorenthalten sollte.

    Warum können die Finanzverantwortlichen den Länder und Gemeinden nicht einfach den Einkäufern auf die Finger kloppen und sagen "Quark, brauchen wir nicht. Kauft stattdessen mal neue Geräte." oder "Das ist zu teuer, seht zu, dass ihr anderswo eure Bücher kauft und vor allem prüft mal, ob ihr überhaupt schon neue Bücher braucht".

    Aber nein: Der BdSt bekommt weiterhin seine Daseinsberechtigung, weil Geld einfach verschleudert wird.

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