Sonntag, 2. April 2006

Schule ruft um Hilfe (2)

Ruettli Schule"Denk ich an Deutschland in der Nacht..." jeder kann diesen Satz für sich selbst vervollständigen. Schaut man sich aber an, was aus der Sache mit der Hauptschule in Berlin geworden ist, dann weiß ich nicht so recht, ob ich lachen oder weinen soll.

Genau so wie ich es erwartet habe, wird das Problem zerredet. Maßnahmen, die angeleiert werden, erinnern an das berühmte "Stochern im Nebel". Polizisten vor die Schule stellen, die dann aber - dank der Intervention der Lokalpolitik nichts tun dürfen. Kein Wunder, dass die ab kommender Woche nicht mehr dort sind. Wozu auch? Was sollte die Aktion überhaupt? Das kann aber wahrscheinlich nicht einmal derjenige schlüssig begründen, der diesen Einsatz ganz oben angeordnet hat.

Und in der Schule? Einen neuen Rektor gibt es - die bisherige Rektorin geht in Frührente. Ein paar neue Lehrer sollen kommen. Ein neuer Rektor und ein paar neue Lehrer lösen also die Probleme, die durch das System überhaupt erst entstehen? Wie lange werden die Posten denn besetzt bleiben, bevor der nächste Antrag auf Frühpension aus gesundheitlichen Gründen eingereicht wird? Ein Jahr? Zwei?

Toll sind auch die Vorschläge und Ansagen aus der Politik. Die Ideen reichen von so konkreten Ansätzen wie einer "Verbesserung der Integration", "mehr Sozialarbeit" und "Netzwerken" über "Pflichtjahre im Kindergarten", "Handyverbote", "Gefängnis", bis hin zu "Entzug von Sozialleistungen" und "Abschiebung".

Die Diskussion um das Thema artet zu einer Groteske aus, die in ihrer Dimension an die Reform der Rechtschreibung erinnert. Immerhin: Die Politiker im ganzen Land geben (kleinlaut) zu, dass es wohl nicht um einen Einzelfall geht. Das Problem an dieser einen Schule ist exemplarisch für die Probleme vieler anderer Schulen, um nicht zu sagen "aller Schulen". Zunehmend reift die unangenehme Erkenntnis, dass man nicht einem einzelnen Lehrer oder einer kleinen Gruppe die Alleinschuld geben kann. Schuld sind - sehr zum Bedauern einiger - nicht "die Lehrer". Nicht nur deswegen, weil es "den" Lehrer nicht gibt, sondern weil Lehrer auch nur tun, was das System - die Gesellschaft - ihnen beigebracht hat und von ihnen verlangt und zwar im Rahmen des durch das System gesteckten Rahmens des Schulsystems.

Die Schule kann nicht isoliert betrachtet werden. Die Diskussionen der Politiker machen den Eindruck, als wäre "Schule" etwas, dass ein Fremdkörper ist, der herausgelöst oder entfernt werden kann, der ins Ausland abgeschoben werden sollte. Den Politikern ist scheinbar überhaupt nicht klar, dass die Schule derjenige Baustein der Gesellschaft ist, der alle Schichten, Klassen, Gruppen, Strukturen und so weiter erreicht und nachhaltig beeinflusst. Die jetzt geführte Debatte lässt stark das Begreifen vermissen, dass hier die Bevölkerung von morgen "zur Reife geführt", ausgebildet und letztenendes auch maßgeblich sozialisiert wird. Nicht selten ist die Schule der Mechanismus, der den Nachwuchs überhaupt erst aus dem behüteten Elternhaus herausholt und mit der sozialen Realität der "wirklichen Welt" konfrontiert - so unwirklich diese Welt dem Betrachter auch häufig erscheinen mag.

Es ist schön zu sehen, dass die Politik die Schule wahrnimmt. Es kann nur von Vorteil sein, wenn die Politiker begreifen, wo diejenigen herkommen, die sich gegen die freiheitlich demokratischen Grundordnung sperren, die sich der demokratischen Willensbildung verweigern und die - ganz platt formuliert - der Bildzeitung mehr glauben schenken und der Postille mehr vertrauen als dem eigenen Verstand.

Ich befürchte allerdings, dass diese Debatte nicht dazu führt, dass sich irgendetwas wirklich ändert, denn das setzt Mut, Handlungswillen und die Bereitschaft voraus, den Hintern hochzukriegen. Und gerade das ist in Deutschland echt nicht angesagt. Sieht man ja auch bei allen anderen Themen.
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.
Amen.

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