Samstag, 18. Februar 2006

Clash of Cultures (3)

(Dies ist Teil 3 von Clash of Cultures. Teil 1 ist hier zu finden, Teil 2 hier.)

Glaubt man den Medien, dann besteht die Welt zurzeit aus zwei Lagern: Die eine Hälfte zündet Botschaften und Flaggen an, die andere Hälft schaut entgeistert zu und fasst sich an den Kopf. Unabhängig von besser oder schlechter und richtig oder falsch oder sinnvoll und sinnlos geschehen aber auch in unserer eigenen Hemisphäre perfekter Säkularisierung merkwürdige Dinge.

Nicht nur die Kreationisten, die mit aller ihnen durch die Bibel gegebenen Macht gegen die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft blasen, auch andere Sekten und so genannte "Religionsgemeinschaften" (Zeugen Jehovas, Scientology, Mormonen... die Liste ist lang) machen sich auf, der Kirche und der Religion zu neuem Ansehen und neuer Macht zu verhelfen. So stark ist inzwischen diese Bewegung, dass sich selbst Die Welt heute ein wenig erstaunt dazu hinreißen lässt zu schreiben, dass "der Glaube" wieder en vogue sei. Oder zumindest hat man dort den Eindruck, dass sich Religion zu einer neuen Mode entwickeln könnte. Oder man befürchtet es. Oder so ähnlich.

Davon aber mal ganz ab. Manche Menschen meinen, sie wüssten alles besser, weil sie auf "Gottes Wort" - und nur darauf! - hören. Bei einigen geht das soweit, dass sie sich mit ihrem Nachwuchs mehr oder weniger in ihren vier Wänden verbarrikadieren und entscheiden, dass nur sie dazu in der Lage wären, in dieser gottlosen Welt ihren Kindern das zu bieten, was "richtig" ist. Einer dieser Fälle wurde von einer recht weltlichen Macht, nämlich dem Schulamt und den Gerichten der Stadt Hamburg, nach nun knapp fünf Jahren vorläufig und reichlich eindrucksvoll beendet. Oder sagen wir besser "es geht in die nächste Runde".

Eine strenggläubige, bibelfeste und in ihrem Reihenhaus abgeschottet von der Umwelt lebende Familie aus Hamburg Othmarschen ist der Meinung, sie könne ihre drei schulpflichtigen Töchter am besten unterrichten - siehe oben. Das Gericht sah das ein klein wenig anders. Zur wahrscheinlich nicht gerade geringen Überraschung der beklagten Eltern stellte das Gericht nicht auf die Fachkompetenz der Eltern in Hinblick auf die Bildung ab, sondern auf das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Der Richter stellte fest, dass es eine Sache sei, dem eigenen Nachwuchs die heile Welt vorzugaukeln, es aber eine ganz andere Sache sei, was "da draußen" tatsächlich passiert. Es ist deshalb das durch das Grundgesetz verbriefte Recht der Kinder sich eigenverantwortlich zu entwickeln. Dazu gehört auch, dass sich eben diese noch in der Entwicklung stehenden Kinder selbst und unmittelbar mit Andersdenkenden und Anderslebenden Menschen befassen können. Eine durch die Eltern aufgrund von deren Religion bestimmte Isolation der Kinder steht als Grundrecht der Religionsfreiheit der Eltern hinter dem Grundrecht der Kinder auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zurück.

Auch wenn in diesem speziellen Fall vermutlich eher um das Durchsetzen eigener Interessen der Eltern ging, nämlich um eine bessere Schulform, stellte das Gericht mit diesem Urteil eindeutig klar, dass systemische Mängel der Schule noch lange keine Grundlage für einen religiösen Gewissenskonflikt sind. Da religiöse Fanatiker sich selten davon überzeugen lassen, dass andere eventuell mit ihrer Ansicht doch im Recht sind, haben die jetzt verurteilten Eltern bereits angekündigt weitere Instanzen des Rechtssystems zu beanspruchen. Unter anderem wird das Anrufen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte angestrebt.

Natürlich werden sich viele an die Stirn tippen und fragen, wie weit die Geduld der Richter geht und wo die Grenzen der Zumutbarkeit im System selbst zu suchen sind. Allerdings zeigt gerade dieser Fall, der absolut kein Einzelfall ist, (wie vergleichbare Fälle aus Hessen, Paderborn und Bayern zeigen), dass sich unser System und unsere Gesellschaft immerhin dazu bereiterklärt, mit solchen Andersdenkenden zu diskutieren. Ich frage mich, wie es wohl einer Familie im Iran erginge, wenn diese auf den Trichter käme den eigenen Nachwuchs nicht zur Koranschule zu schicken, weil dort über Mord und Totschlag unterrichtet würde...

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