Samstag, 27. März 2010

Ist Abrüstung um jeden Preis eine gute Idee?

Der Generalsekretär der NATO, Anders Fogh Rasmussen, fordert Europa auf, ein kontinentales Raketenabwehrsystem in Europa aufzubauen. Er warnte davor, dass durch die schrumpfenden Rüstungsetats zunehmend ein Ungleichgewicht zwischen den militärischen Möglichkeiten der USA und denen der europäischen NATO-Mitglieder entsteht. Mit anderen Worten: Europa soll aufrüsten. Es stellt sich die Frage, warum.

Sicher ist, dass Europa eine der längsten Friedenszeiten der Geschichte erlebt und es wenig wahrscheinlich ist, dass einer der klassischen westeuropäischen Bündnispartner plötzlich zu den Waffen greift. International wirkt die Lage auch auf den ersten Blick sehr übersichtlich und weitestgehend nicht so sehr bedrohlich für das kontinentale Europa. Aber wie stabil und sicher ist dieser Frieden? Die Geschichte lehrt uns, dass es oft Nichtigkeiten und Überreaktionen sind, die Staaten zu den Waffen greifen lassen. Gibt es unmittelbar bedrohende Eskalationsherde in unserer Nachbarschaft? Ja, es gibt sie. Die offensichtlichsten Krisengebiete des Nahen und Mittleren Ostens sind zwar gefühlt "weit weg", tatsächlich aber fast vor Europas Haustür. Aus genau diesem Grund will die EU unter anderem die Türkei möglichst eng an sich binden. Auch die Erweiterung in Richtung Schwarzes Meer und damit in die Nähe des Kaukasus ist nicht zuletzt durch strategische Überlegungen getragen worden.

Hier nämlich, im Großraum Kaukasus, befinden sich einige nicht eben politisch stabile Gebiete, deren zukünftige Entwicklung ganz und gar nicht fest steht, die aber andererseits wegen ihres Reichtums an Rohstoffen für Europa alles andere als "egal" sind. Der andauernde Konflikt um Georgien sollte uns das vor Augen geführt haben. Was besonders in Deutschland auch gerne vergessen wird, ist die Tatsache, dass viele der militanten Taliban, die in Afghanistan kämpfen, aus Usbekistan und angrenzenden Regionen stammen. Im Kopf schieben wir die Verantwortung für diese Gebiete zwar immer wieder auf Russland. Der Kreml hat jedoch nicht ohne Grund zugelassen, dass sich etliche Teilrepubliken abspalteten. Oft wird ignoriert, dass die ehemalige UDSSR ein Vielvölkerstaat mit erheblichen inneren Spannungen war. Der Tschetschenienkonflikt mag als ein Beispiel für die Härte und das Ausmaß dieser Spannungen dienen.

Nun ist es nicht eben wahrscheinlich, dass sagen wir mal Kirgistan oder Usbekistan Europa den Krieg erklärt. Das wäre zu einfach gedacht und nicht realistisch. Aber wenn wir uns an den Zwischenfall um Georgien erinnern, werden denkbare Konstellationen klarer: Eine der Teilrepubliken geht Verträge mit Europa ein, Europa wiederum macht Versprechen und Zusicherungen, eine Zeit lang geht alles gut und plötzlich putscht eine Junta und marschiert - mit der Idee der Unterstützung aus der EU im Rücken - gegen den ehemaligen und verhassten Machthaber aus Moskau. Und dann? "Ja also SO war das mit den Verträgen ja gar nicht gemeint"? Die denkbaren Konsequenzen für das Nichteinhalten von Verträgen sind keine Lappalie. Wenn sich Europa bei einem kleinen Vertragspartner als unzuverlässig erweist, was werden dann die großen denken? "Ach, das machen die mit uns bestimmt nicht"? Wohl kaum. Die Gefahr, dass Europa sich aufgrund komplizierter Vertragsverflechtungen plötzlich in einer Situation wiederfindet, in der ein solcher Staat Beistand einfordern könnte, sind nicht vollkommen von der Hand zu weisen. Man erinnere sich nur daran, wie heiß man unmittelbar vor dem letzten Georgienkonflikt darauf war, eben jenes Georgien in die EU und / oder die NATO zu holen.

Klar, gesetzt den Fall wird man natürlich erst einmal versuchen, wie in Georgien, auf diplomatischem Wege irgendwie das Schlimmste zu verhindern. Aber gerade der letzte Georgienkonflikt hat deutlich gezeigt, wie machtlos Europa tatsächlich bei solchen Problemen ist. Haben die wütenden Auftritte der Politiker vor der Presse verhindert, dass russische Truppen im Handstreich das Land besetzten? Die Schuldfrage lasse ich mal ganz bewusst ausgeklammert. Nein, das Drängen und Betteln der Politiker hat nichts gebracht. Hätten die USA nicht eingegriffen und in aller Deutlichkeit Präsenz gezeigt und wäre Russland nicht irgendwie doch irgendwann gesprächsbereit gewesen (wahrscheinlich weil Russland Georgien ungefähr so dringend wieder eingemeinden will, wie der Normalsterbliche seine Schwiegermutter bei sich wohnen haben möchte), niemand hätte voraussagen können, wie weit der Konflikt eskaliert wäre. Und Georgien ist selbst heute alles andere ein "entschärfter Krisenherd".

Nicht ausreichend als Bedrohung? Nehmen wir die Türkei. Erst neulich wurde dort ein großes Komplott der militärischen Führung aufgedeckt, mit dem die Regierung in Ankara gestürzt werden sollte. Wie der EU wohl eine Türkei unter Militärherrschaft und Waffen gefiele? Angesichts der Probleme mit den Kurden und den Armeniern ist die Türkei ja nun nicht gerade dafür bekannt, Probleme zwischen Volksgruppen auf diplomatischem Wege zu regeln. Und ja, die Türkei verbindet mit Griechenland eine tief verwurzelte Rivalität, hart an der Grenze zur Feindschaft. Warum wohl rüsten Griechenland und die Türkei bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf und warum wohl hat die Türkei so rein gar kein Interesse daran, den besetzten Teil Zyperns aufzugeben? Zwar mag ein Entgleisen der Türkei auf den ersten Blick ziemlich unwahrscheinlich erscheinen, allerdings sollte man sich hin und wieder mal fragen, warum die EU die Türkei seit Jahrzehnten hinhält und 2006 selbst die SPD noch urteilte, dass ein Beitritt der Türkei zur EU derzeit "undenkbar" wäre. Ein offen ausbrechender Konflikt zwischen Ankara und Athen lässt sich nun beim besten Willen nicht mehr mit dem Argument wegdiskutieren, dass Deutschland oder die EU in der Region keinerlei unmittelbaren Interessen hätten.

Es gibt auch andere Regionen auf diesem Planeten, die uns angehen. Zwar ist Afghanistan für die meisten ein denkbar ungeeignetes Beispiel, weil es schwierig ist, die unmittelbar vitalen Interessen Deutschlands in dieser Region aufzuzeigen. Gehen wir aber einfach ein paar Kilometer weiter nach Osten, nach Pakistan. Pakistan gilt als "gefährdeter Staat". Die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung ist miserabel, die politische Führung nahezu unberechenbar. Pakistan verbindet eine Erbfeindschaft mit Indien, die nicht zu unterschätzen ist: Das Land unterstützt sogenannte Terrorcamps auf indischem Boden, macht gemeinsame Sache mit den Taliban und will um jeden Preis die Region Kashmir für sich haben. Der Haken am Kashmir ist jedoch, dass Pakistan, Indien und China zu gleichen Teilen Anspruch an diesem Gebiet erheben und nur China hat die Lage einigermaßen im Griff. Wenn aber der Konflikt zwischen Indien und Pakistan eskaliert, dann geht es ums Ganze, denn dann sind Atomwaffen im Spiel. Pakistan und Indien haben mehrfach betont, dass sie wenig Hemmungen haben, ihre Arsenale auch einzusetzen. Deutschlands Interessen in Pakistan mögen nicht so gewaltig sein, aber bei Indien sieht das schon etwas anders aus: Man denke nur daran, wie viele Firmen dort zum Beispiel ihre Callcenter, Buchhaltungen und Softwarezentren haben.

Angenommen der Konflikt um den Kashmir eskaliert. Angenommen, die Regierungen in Neu Delhi und Islamabad schalten auf stur und machen mobil. Will Europa dann die Hände in den Schoß legen und abwarten, bis sich im schlimmsten Fall der nukleare Fallout wieder gelegt hat? Die Folgen einer militärischen Eskalation in der Region hätten unmittelbare und heftige Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft und selbst Deutschland wäre unmittelbar betroffen. Airbus zum Beispiel lässt einen nicht geringen Teil seiner Buchhaltung in Indien ausrechnen. Welche Folgen mag es wohl haben, wenn die Buchhaltung von Airbus von heute auf morgen für unabsehbare Zeit nicht funktioniert?

Unwahrscheinlich? Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan gilt als einer der wahrscheinlichsten Auslöser für das sogenannte "Pazifikszenario", in dem sich der gesamte asiatische Raum in einen unüberschaubaren Kriegsschauplatz verwandelt. Zwar ist die Lage zwischen Indien und Pakistan im Moment einigermaßen stabil, aber niemand mag darauf wetten, dass das auf längere Zeit so bleibt. Die letzten Verlautbarungen aus Islamabad zum Kashmir waren nicht eben beruhigend.

Die Bündnisse, Abneigungen, offenen Rechnungen, Rivalitäten und so weiter sind in Asien, speziell in Südostasien, vielfältig und "bunt" und es gilt als wahrscheinlich, dass bei einer Eskalation zwischen Indien und Pakistan etliche der dort tief verwurzelten Probleme als eine Art "Brandbeschleuniger" dienen werden. Nicht nur die Amerikaner sehen das so, auch die Russen und auch die Chinesen teilen diese Ansicht. Wenn es dort knallt, dürfte Europa dann die Hände in den Schoß legen und sagen: "Uns doch egal"? Dürfte Europa, oder besser: dürfte Deutschland hilfesuchend nach Westen, zum "großen Bruder" USA, blicken und mal wieder darum betteln, dass doch bitte die Amerikaner die Kastanien aus dem Feuer holen? Ich habe da Zweifel.

Afghanistan und der Irak haben zu einem Umdenken bei den Amerikanern geführt. In Zukunft sollte Europa sich nicht darauf verlassen, dass sich die Amerikaner bei der Durchsetzung europäischer Interessen vor den Karren spannen lassen. Das hat sich Europa mit dem zurückhaltenden Herumgestümpere besonders in Afghanistan endgültig verbockt. Ganz besonders die Rolle Deutschlands ist den Amerikanern in Afghanistan äußerst negativ aufgefallen und wird bestimmt so schnell nicht vergessen werden. Sicher würden die Amerikaner eingreifen, aber bestimmt nicht, damit uns der Hintern nicht auf Grundeis geht.

Die jüngsten Kommentare aus Pentagon, dem Weißen Haus und anderen Kreisen der USA machen klar, dass in Zukunft beim Einsatz des US-Militärs die Devise gelten wird "USA first" - der Wiederaufbau im Irak zeigt in aller Deutlichkeit, wie wir uns das in der Praxis vorzustellen haben: Nach dem Ende des Konfliktes werden die Karten neu gemischt und wer erhält wohl die "Sahnestücke"? Bestimmt nicht die Europäer. Übrigens ist das auch einer der Gründe, warum Deutschland - trotz aller Widerstände aus der Bevölkerung - nicht aus Afghanistan abzieht, denn aus wirtschaftlicher Sicht ist ein Land im Wiederaufbau ein großer Aktivposten, der eine Menge Arbeitsplätze im Inland schafft.

Von diesen Überlegungen aber abgesehen: Dürften wir uns überhaupt einmischen? Deutschland will seit langen Jahren einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen. Egal wo auf der Welt irgendetwas passiert, aus Deutschland kommen immer Kommentare und oft schaltet sich Deutschland als Vermittler ein, oft erfolgreich. Wäre es moralisch vertretbar zu sagen: "Wir haben es probiert, auf uns hört ja keiner, dann schlagt Euch halt die Köpfe ein"?

Wohl eher nicht. Einen Sitz im Weltsicherheitsrat bekommt nicht jeder, sondern nur diejenigen Länder, die auch die Macht dazu haben, andere Staaten im Ernstfall zu einem bestimmten Handeln zu zwingen. Diplomatisch mag Deutschland bedingt durch seine Wirtschaftsmacht durchaus Mittel und Wege haben, aber machen wir uns nichts vor: Alleine mit dieser Karte kann man im Pokerspiel der internationalen Politik nicht jeden beeindrucken. Wenn doch, dann wäre es nicht zum Krieg im Irak und in Afghanistan gekommen und der Iran würde auch nicht so verbissen an seinem umstrittenen Atomprogramm festhalten, um nur drei Beispiele zu nennen. Militärisches Potenzial ist zwar besonders in Deutschland nicht eben beliebt, was wohl damit zu tun hat, dass uns die Perspektive dafür fehlt, was man mit Militär alles an positiven Dingen erreichen kann. Aber militärisches Potenzial ist international unverzichtbar, wenn man denn wirklich ernstgenommen werden will.

Europa liegt militärisch weit zurück. Zwar haben wir eine hochmoderne Rüstungsindustrie und exportieren unsere militärischen Erfindungen in alle Welt, aber selber nutzen? Eher nicht. Stattdessen sind besonders in Deutschland weitere Abrüstungen und Etatkürzungen geplant. Denken wir diese Entwicklung mal weiter. Deutschland rüstet so weit ab, dass die Bundeswehr im Ausland gar nicht mehr in dem Umfang von heute eingesetzt werden kann (viel braucht es dazu nicht, wenn man sich die Berichte der Wehrbeauftragten der letzten Jahre mal näher ansieht). Wen will Deutschland denn aus Europa vorschicken und mit welchem Argument? Das stärkste Land der EU verlangt von allen anderen, dass die sich ins Zeug legen und zieht sich selber auf den moralisch scheinbar unangreifbaren Posten der "historischen Verantwortung" und der Verpflichtung zum Pazifismus zurück. Man zeige mir die Länder in der EU, die da sagen: "Na klar, Deutschland, wir machen das mal eben für Euch..."

Viel wahrscheinlicher ist, dass andere Länder der EU dem Beispiel Deutschlands folgen und ebenfalls abrüsten. Angenommen, Europa schraubt seine ohnehin schon nicht so sehr ausgeprägte Möglichkeit zur Machtprojektion noch weiter zurück. Die Konsequenz wäre, dass Europa zwar eine Menge toller Vorschläge machen könnte, bei der Durchsetzung seiner Interessen aber vollkommen auf das Funktionieren der Diplomatie und andere Mächte angewiesen wäre. Die Vergangenheit zeigt uns, dass es ein riskantes Spiel ist, sich blind darauf zu verlassen, dass die Diplomatie immer funktioniert. Andere Staaten könnten irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft auf die Idee kommen uns ganz klar zu sagen "Na und? Fordert ihr mal. Ihr könnt uns eh' nichts!" Angesichts der Tatsache, dass die USA unsere Interessen nicht mehr um jeden Preis verteidigen werden, ist das alles andere als eine Illusion. Mit wem oder was will Europa oder Deutschland dann drohen? Und angenommen, es kommt soweit, was dann? Die Gefahr sich auf diesem Wege in eine stark einseitige Abhängigkeit von anderen zu begeben, ist groß. Zu nahe an den USA, Russland oder China kann auf Dauer nicht gut sein, wenn Europa als eigenständiges Gebilde überleben soll. Oder will.

Es geht ja nicht darum, um die Welt zu ziehen und überall Angst und Schrecken durch militärische Drohung zu verbreiten. Es geht darum, sich die Möglichkeit zu erhalten, im schlimmsten Fall auf militärische Mittel zurückgreifen zu können. In Bezug auf Deutschland wäre es allerdings wohl richtiger davon zu sprechen, diese Möglichkeit erst einmal vernünftig aufzubauen. Der Unterschied zwischen der Aufrüstung vor den Weltkriegen und der jetzt in Rede stehenden Aufrüstung besteht darin, dass es heute nicht um territoriale Ausbreitung geht. Es geht nicht darum, andere Länder zu erobern und zu Kolonien zu machen - ganz abgesehen davon, dass Deutschland in Bezug auf Kolonien in der Vergangenheit eine erschreckende Inkompetenz bewiesen hat. Heute geht es darum, dazwischen gehen zu können, wenn jemand anderes sich nicht an die Regeln halten will.

Die Bereitschaft dazu, eben jene Regeln zu missachten, nimmt international zu, wie ein Blick in die Tagespresse zeigt: Israel siedelt fleißig in anderen Staaten vor sich hin und marschiert mal hier, mal da mit seinen Truppen ein. Der Iran baut schön weiter seine Nuklearanlagen auf und testet zwischendurch Mittel- und Langstreckenraketen. Pakistan unterstützt zwar irgendwie die USA beim Kampf gegen die Aufständischen in Afghanistan, unterstützt aber gleichzeitig dieselben Aufständischen, gegen die die Amerikaner kämpfen. China rüstet fleißig auf, modernisiert seine Truppen zusehends und zeigt nebenbei noch, dass Kriegsführung heute auch den Erdnahen Weltraum umfasst. Mexiko zeigt sich vollkommen unfähig, den Kampf gegen die Drogenbarone im eigenen Land zu gewinnen und andere Staaten in Mittel- und Südamerika scheinen diesen Kampf bereits aufgegeben zu haben. Politiker wie Chavez sind immer wieder für politische Überraschungen gut und wenn man an Argentinien und die Falklandinseln denkt, sollte man sich durchaus auch ein paar Sorgen machen. Und das sind jetzt nur die offensichtlichen Problemchen. Es gibt noch ganz andere. So ganz klar ist nämlich zum Beispiel nicht, was denn nun mit Indien und Sri Lanka ist. Auch die Situation in Zentralafrika ist alles Andere als astrein und ungefährlich. Damit aber nicht genug.

Es besteht die durchaus reale Gefahr, dass sich eine Neuauflage der Situation vor Ende der 1990er Jahre entwickelt. Russland bekommt seine wirtschaftlichen Probleme zunehmend unter Kontrolle und ist wieder verstärkt dazu in der Lage, sein Militär zu finanzieren. Die jüngsten Vorfälle im schottischen Luftraum beweisen, dass Moskau zunehmend beweisen möchte, wieder ein international ernstzunehmender Machtblock zu sein. Die NATO findet das nun wirklich nicht lustig und die Idee, Russland in die NATO aufzunehmen, sollte man wirklich mit äußerster Vorsicht und Skepsis durchdenken. China hat zwar im Augenblick keinerlei Möglichkeiten dazu, sich mit den USA oder Russland eine ernsthafte militärische Konfrontation zu leisten, aber das wird nicht immer so bleiben. Es ist schon lange bekannt, dass China eine Mordswut im Bauch hat wegen der Geschichte mit Taiwan und auch mit Japan möchten manche Chinesen gerne noch ein Hühnchen rupfen. China und Russland sind sich auch nicht so besonders grün. Zwar sind die Zwischenfälle an der chinesisch-russischen Grenze inzwischen seltener uns harmloser geworden, aber das heißt nicht, dass sich die Lage zwischen den beiden Staaten deutlich verbessert hätte.

Die Gefahr besteht, dass Europa zukünftig nicht an der Seite eines Mächtigen gegen einen anderen steht, sondern zwischen drei Machtblöcken, die sich einen gepflegten Scheiß dafür interessieren, was Europa will. Wenn Europa sich die Möglichkeit nimmt, seine Interessen notfalls mit Gewalt durchzusetzen und zu erzwingen - auch Frieden in der Welt ist ein Interesse, das man zur Not erzwingen muss - warum sollten die sich abzeichnenden Machtblöcke der Zukunft auf Europa Rücksicht nehmen? Weil wir so liebe, nette Menschen sind? Bestimmt nicht. China hat zum Beispiel nicht vergessen, was Europa sich in der Vergangenheit zum Durchsetzen wirtschaftlicher Interessen so alles geleistet hat. Russland weiß ganz genau, was von Europa zu halten ist und wofür Europa ein nützlicher Partner ist und wo Europa ein Konkurrent ist. Die USA sehen in Europa in erster Linie einen Absatzmarkt und ansonsten eher Konkurrenten am Futtertrog.

Es wäre ja schön, wenn international alle auf Waffen und Militär verzichten würden. Das wäre echt klasse und würde uns vielleicht sogar wirklich nach vorne bringen. Es ist aber ein wenig sehr illusorisch davon auszugehen, dass das passieren wird, nur weil Deutschland sich dazu entschließt, seine Bundeswehr so zusammenzustutzen, dass sie bestenfalls zum Flicken von Deichen und vielleicht noch zum Aufhalten marodierender Hooliganmobs taugt. Abrüstung als solche ist noch kein Argument für andere Staaten Deutschland nachzuahmen. Abrüstung bedeutet vielmehr zu allererst einen Verzicht auf Macht und Einfluss und die Fähigkeit, sich durchsetzen zu können.

Man darf nicht unterschätzen, dass andere Staaten sehr genau beobachten, wie Europa zusammenwächst, oder besser: Wie es das verhindert. Die von Deutschland vorgeführte Abrüstung bietet anderen keine Handlungsalternative an, sondern sie zeigt, wohin das alles führt, nämlich in ein endloses Kompetenzgerangel, in dem Probleme vertagt und verbürokratisiert, aber nicht gelöst werden.

Es läuft damit auf die Frage hinaus, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Welche Rolle soll oder will Europa in Zukunft in der Welt spielen? Angesichts der Tatsache, dass Deutschland für sich selbst schon in totaler Planlosigkeit erstarrt ist, was seine eigene Rolle angeht, von der Rolle innerhalb der EU ganz zu schweigen, ist die Frage erlaubt, welches Ziel Deutschland denn überhaupt vorgeben will oder bei welcher Zielsetzung die eigenen Interessen überhaupt zu suchen sind. Gerade mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist es schon leichtsinnig davon auszugehen, dass alles schon irgendwie gut gehen wird und sich die anderen darum kümmern werden, dass sich alles zum Besten Deutschlands (und Europas) entwickeln wird.

Ich meine, die Forderung von Rasmussen und die Empfehlungen aus den USA sollten wir in Europa und besonders in Deutschland langsam mal losgelöst von unseren schon fast zwanghaften Komplexen betrachten und uns der Realität der nicht eben unwahrscheinlichen Entwicklungen der Zukunft stellen. Angesichts dieser Zukunft halte ich die Frage für mehr als gerechtfertigt, ob wir es uns wirklich leisten können in dem Maße abzurüsten, wie wir das gerade vorhaben.

2 Kommentare:

  1. Abrüstung ist doch toll! Und wenn uns einer doof kommt dann... dann schießen wir auf Ihn mit unseren Glücksbärchistrahlen aus dem Bauch!

    So ist das nämlich!
    Wir Deutsche haben uns und die Welt nämlich alle total dolle lieb. Jawohl.

    Und Bomben auf Bombay (no pun intended)... "Fördermaßnahme der in Deutschland ansässigen IT"...

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  2. Die Franzosen fordern doch nun worüber Adger hier nachdachte ;)

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