Freitag, 4. April 2008

Einkaufen (7)

BaeckereiDer Tag war verdammt anstrengend. Eigentlich war der Tag so entspannt geplant: Ausschlafen, gemütlich Frühstücken, dann ins Museum und sich ansehen, was Friedrich der Zweite so alles tolles geleistet hat, dass dem eine eigene Ausstellung gewidmet wird - natürlich mit Kamera. Danach dann noch eben beim Kumpel rum und dann gemütlich zum Sport. Soweit die Theorie.

In der Praxis klingelte mich pünktlich um 8:15 Uhr irgendjemand lebensmüdes aus dem Bett: "Mohoin! Wir wollen mal eben ihre Therme warten!" schallmeit es mir entgegen. Jemand will sich an mir vorbeidrängen. "Moment, Freundchen. Erstens haben wir keinen Termin und ich hab gerade weder Bock noch Zeit. Und zweitens: Wer ist 'Wir'?" Verblüffung breitet sich in seinem von mittelschwerer Akne gezeichnetem Gesicht aus.

"Wieso Termin? Sie sind doch da..?" Er verweist auf den Vermieter, der ihm den Auftrag erteilt haben will und fuchtelt mir mit einem Zettel unter der Nase herum. Außerdem er sei jetzt ja hier und wolle nur mal eben seine Arbeit machen und wenn ich damit ein Problem habe, könnte ich das ja eben klären, während er... Der Rest seines Gebrabbels blieb unverständlich, denn die Wohnungstür fiel rein zufällig genau jetzt mit Schwung ins Schloss.

Mein Auftritt wäre bestimmt um einiges grandioser ausgefallen, wenn ich nicht nur im Bademantel und ansonsten weitestgehend unbekleidet an der Tür gestanden hätte, darum ist jetzt erstmal anziehen angesagt. Es klingelt wieder, was mich nicht weiter stört, denn ich bin bereits ohne Bademantel, dafür aber auf der Suche nach meiner Hose und irgendwo muss Mann schließlich Prioritäten setzen. Ich finde das Gesuchte und ziehe mich, begleitet vom Klingeln, das durch rhythmisches Klopfen und gelegentliche "Hallo"-Rufe untermalt wird, erstmal fertig an.

Kurz bevor die Tür eingeschlagen wird und die Klingel unter der Dauerbelastung den Hitzetod stirbt, reiße ich die Tür auf und frage in klarem, wahrscheinlich in ganz Norddeutschland hörbarem und gut verständlichem Hochdeutsch:
"Samma, hackts? Packst Du noch einmal die Tür oder die Klingel an, Du Kackspaten, reiß ich Dir die Kartoffel vom Hals und scheiß' Dir in den Hals! Hast Du sie noch alle? Ist Dir langweilig? Willst Du pauschal auf die Fresse?"
Eine Etage über und unter mir öffnen sich Wohnungstüren, besorgte Nachbarn erkundigen sich, ob sie schon mal bei Stolle anrufen sollen. Meine Halsschlagadern haben inzwischen den Durchmesser handelsüblicher Gartenschläuche wieder hinter sich gelassen. Der Kesselschrauber, anderthalb Köpfe länger, aber mindestens 40 Kilo leichter als ich, schluckt.

Wahrscheinlich erinnern ihn genau in diesem Moment genetisch fest verdrahtete Verhaltensmuster aus dem Trias daran, dass es eine gute Idee ist, sich auf die Erde zu werfen und tot zu stellen, jedenfalls wechselt seine Hautfarbe schlagartig von pickelig rot-blass über kalkweiß zu asch-fahl und er beginnt zu zucken. "Äh...", beginnt er seine Erwiderung, "I.. ich... w.. www.." Ich schalte mein Organ zwei Gänge zurück. "Mir scheißegal, was Du wolltest. Hämmerst Du noch ein einziges Mal gegen meine Tür, verteil ich Dich in Bayern. In kleinen Briefumschlägen. Verstanden?" Er nickt. "Gut. Dann sammel jetzt Dein Gelorre ein, dass Du hier in der Gegend verteilst und sieh zu, dass Du die Dreckstherme in Rekordzeit fertig bekommst."

Er beginnt sein verstreutes Werkzeug zusammenzusammeln. Ich lasse die Tür offen, pilgere in die Küche, mache Kaffee. Frisch gemahlener Sumatra. Zwar meine letzten Vorräte, aber ich will eh nachher einkaufen. Sumatra Kaffee ist DIE Wunderwaffe, um einen versauten Morgen zu retten. Der Kesselflicker kommt angeschlichen. Ich halte ihm einen Becher Kaffee hin: "Milch? Zucker?" Er zögert. "Nu stell den Kasten hin und nimm schon." Er fasst Vertrauen und freut sich über den Kaffee. "So. Da ist die Therme. Viel Spaß damit. Wenn was ist, ich bin nebenan" und lasse ihn stehen.

Irgendwann ein Blick zur Uhr. Es ist 10:00 Uhr. Es schraubt noch immer in der Küche rum. Ich frage vorsichtig nach: "Na? Totalschaden?" Er: "Ja, da muss ich was tauschen, dauert leider, weil..." Seine Erklärungen sind bestimmt richtig und umfassend und wenn ich mir die Mühe gemacht hätte, ihm zuzuhören, dann könnte ich bestimmt direkt mit der Konstruktion von Heizthermen beginnen. So jedoch geht es links rein, rechts raus. Irgendwann frage ich ihn nur noch: "Wie lange?" Er: "Zwölf?"

Ich tue Dinge. Zeit rumbringen und so. Irgendwann steht der Thermenfrickler im Türrahmen und meint, dass er nu fertig sei. Ich geb ihm seinen Kringel auf dem Zettel und befördere ihn raus. Halb zwölf. Verdammte Axt. Unter die Dusche, vernünftig anziehen, Fotozeug greifen und los. Wenigstens regnet es nicht.

Die Ausstellung ist ohne Führung einigermaßen mittelprächtig, kostet dafür aber auch nur 6 Euro. Gibt echt tolle Dinge zu sehen, aber leider herrscht Fotografierverbot. So ein Mist. Trotzdem, war echt gut und ich hab einiges über diesen Friedrich gelernt. Hätte nie gedacht, dass der so viel für die Vogelkunde getan hat. Auch die Handschriften dieses Herrn Leonardo aus Pisa, den meisten eher bekannt als "Fibonacci", waren echt interessant. Trotzdem: Nach zwei Stunden gab es einfach nichts mehr zu sehen.

Der Tag bis hier war nicht so der Bringer. Der Rest des Tages verlief eigentlich ganz okay. Nicht gerade aufregend, aber auch nicht desaströs. Okay eben. Das sollte sich aber schlagartig ändern, als ich auf die Idee kam, zum Einkaufen zu gehen, aber sowas fällt mir selber natürlich nie auf.

Lebensmittel wollten eingekauft werden. Bevorzugt frische. Also tingele ich los und gehe dahin, wo ich fast immer hin tingel, wenn ich Futter suche. Ich hab ja Zeit und weiß in etwa, was ich will also mache ich mir keinen Stress und schlendere durch den Laden. Hiervon was und davon und davon auch noch eins...

Andere Leute scheinen echt Stress zu haben. Immer wieder höre ich verärgerte Stimmen "Pass doch auf!" und "Unverschämtheit!" aber mich meinen sie nicht, denn wo ich bin, ist außer mir niemand. Und so pilgere ich durch den Laden, sammele mein Futter ein, als plötzlich irgendwas an mir vorbei rauscht. Ich bekomme meinen Kopf nicht schnell genug aus dem Regal. Es ist weg, bevor ich es sehen kann. Leicht erstaunt setze ich meinen Rundkurs fort, pilgere durch die Kühlung, vorbei an Stätten vergangener Katastrophen.

Beinahe davon überzeugt, alles eingesammelt zu haben, überprüfe ich den Inhalt des Korbes. An mir trabt eine Frau vorbei. Sie ruft nach Jochen. Erfolglos. Sie bleibt stehen, blickt sich suchend um. Sie sieht mich und fragt mit leichter Verzweiflung im Unterton ihrer Stimme:
"Haben sie meinen Sohn gesehen?"
Gerade als ich mit "nein" antworten will, ertönt von irgendwo lautes Gefluche. Die Frau sieht mich mit leichter Panik an, dreht sich um und eilt in Richtung des Fluchens davon, verschwindet nach rechts zwischen den Regalen aus meinem Blick, nach Jochen rufend, der aber verschwunden bleibt.

Ich biege gerade Richtung Kasse ab, als wieder irgendetwas hinter mir vorbei schießt. Rückwärtsgang und hinterhergucken. Ich beginne an mir und meinem Verstand zu zweifeln. Habe ich da gerade wirklich...? Nein. Das kann nicht sein. Nicht einmal hier. Ich beschließe einfach nur zu bezahlen und dann nach Hause zu gehen. Da war die Mutter wieder. Sie läuft auf mich zu. "Ist er hier vorbei gekommen?" Ich bin ehrlich ratlos. Ich weiß ja nicht mal, wie Jochen aussieht. Entsprechend antworte ich ihr "Weiß ich nicht". Sie trabt von hinnen.

Siedend heiß fällt mir ein, dass ich unbedingt noch neuen Kaffee brauche. Also los, nochmal eben die Runde und einsammeln. Der Marktleiter trabt an mir vorbei. Wirrer Blick, fahrige Bewegungen, Hektik pur. Verwirrt sehe ich ihm nach. Noch zwei mal links, dann den Gang runter, da gibt es Kaffee. Ich habe es ja nicht so übermäßig eilig, aber trotzdem. Man will ja nach Hause. Ich komme beim Kaffee an, greife mir meine zur Zeit bevorzugte Sorte. Wenden und wieder zurück. Gerade, als ich in den Hauptgang einbiege, schießt wieder etwas von hinter mir an mir vorbei. Dieses Mal jedoch kann ich es in ganzer Pracht sehen: Da fährt jemand johlend mit einem Fahrrad durch den Supermarkt...

Ich beschließe, die Flucht zu ergreifen. Kürzester Weg zur Kasse und nix wie weg hier. Klar, nach dem Erlebnis mit dem Kind und der Palette Kekse sollte mich nichts mehr erschrecken, aber DAS ist selbst mir einfach zu gefährlich. Ich meine, wenn es nun ein 5jähriger auf seinem Laufrad wäre, okay. Kein Thema. Aber ein geschätzt 12jähriger auf seinem Sportklapprad? Nein, sorry, nicht mit mir.

Ich bin fast bei den Kassen, als ich es knallen und scheppern höre. Offenbar hat sich die Physik mit dem Übermut des Fahrradfahrers verbündet und gemeinsam wollen die beiden eine Party mit einem Regal feiern oder so. Wer weiß das schon so genau? Jedenfalls höre ich von Ferne die Stimme der suchenden Mutter: "Joooocheeeeen!!! Jochen! Ist Dir was passiert?" In aller Seelenruhe und mit der unerschütterlichen Gelassenheit erfahrener Kriegsveteranen räume ich meinen Einkauf auf das Band und lasse mich nicht weiter ablenken. Die Welt ist wieder ruhig und friedlich.

In aller Seelenruhe packe ich meinen Einkauf ein, stelle den Wagen weg und pilgere zum Ausgang. In der Nähe des Kassenbüros steht einsam ein Fahrrad herum und erinnert mich daran, dass die Welt voller Blindgänger ist und irgendwie scheinen sie mich zu verfolgen. Ich erinnere mich an meine Kamera im Rucksack. Ich halte inne, packe aus, knipse aus der Hüfte (siehe rechts oder hier) und gehe.

Hoffentlich gab es keine Verletzten.

7 Kommentare:

  1. *kopfschüttel*
    Du triffst schon immer sehr seltsame Leute in Supermärkten an.

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  2. Und im Übrigen sind Handwerker wirklich so nervig. Das hatte ich in abgeschwächter Form auch schon.

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  3. Na da freut man sich doch auf freie Tage, nech?

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  4. Sag mal Frank...hast Du nicht Lust, mal für ein Wochenende nach Hamburg zu kommen und mit mir einkaufen zu gehen?

    Ich könnte mir vorstellen, dass die bis dahin immer trüben und eintönigen Einkäufe nicht allein durch Deine Anwesenheit, sondern auch durch die Erlebnisse von Ereignissen, die Du offenbar anziehst wie der Magnet das Eisen, um ein erhebliches Maß aufgewertet werden :)

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  5. Vielleicht sollte ich daraus wirklich eine Art "Erlebnisreisen" machen... wenn es denn etwas plan- und vorhersehbar wäre...

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  6. Die Szene mit dem Handwerker und der Begrüßung im Bademantel hat was von "Werner"..

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  7. Ich will auch unbedingt mit Dir einkaufen gehen!

    Alles was ich erlebe beim Einkaufen ist, wenn mir die Kassiererin den Preis für meine Einkäufe nennt...

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