Dienstag, 27. November 2007

Einkaufen (5)

KleinkindKinder - man muss sie lieben. Jene Mutter, die mir gerade beim Einkaufen mit ihrer Jüngsten unter den Füßen herumturnte, gehörte wahrscheinlich zu jener Gruppe 150%iger Mütter, die bereits schwanger auf die Welt kommen und zwischen den Würfen nicht so recht wissen, wie sie sich die Zeit vertreiben sollen. Entsprechend wenig verblüffte mich, dass sie sich nicht davor scheute, die Frucht ihrer Lenden zu meinem kaum in Worte zu fassenden Entsetzen "Loretta" rief - und das quer durch den Laden. Dem Ruf folgten Kind und Neugierde, ersteres war ihres, letzteres meins.

Das Kind, ein erfreulich munteres Kind von geschätzten vier Jahren, kam aus jener Richtung herangestapft, in der dieser Supermarkt die Süßwaren für Spätherbst und Jahresende (lies: Weihnachten) kunstvoll in den Weg gestellt hatte. Jenes Kind, dem Ruf seiner Mutter folgend, war aufgeweckt, glücklich und schokoladenverschmiert - und ich hatte keine Kamera dabei. Mist. Jedenfalls ahnte ich, dass jenes Kind dabei war, das Prinzip "sehen - bezahlen - konsumieren" zumindest in Grundzügen zu erkunden.

Die Mutter, ganz Mutter, reagierte, wie ich befürchtet hatte: "Ja da ist ja mein Schnucki-Putzi-Schatzi-Mausi!" Das Grauen, es hatte sich bisher gut versteckt, gesellte sich zu mir. Ich bekam Gänsehaut. Das Kind krähte glücklich, nur leider nicht mit leerem Mund und Mutti war begeistert: "Hast Du was feiiiiines gefunden? Hach, das ist aber toll!" Mit Buchstaben die Tonlage begeisterter Glucken, Verzeihung, Mütter wiederzugeben, ist mir leider nicht möglich, aber jeder kennt das freudige Erregung signalisierende Warnquietschen, welches jedem vernunftbegabten Wesen signalisiert: "Lauf! Lauf lange und weit und vor allem: Lauf weg!"

Einerseits von der Faszination des gelebten Schreckens gelähmt, andererseits auch von der Notwendigkeit Milch einzukaufen am Kühlregal gefesselt, beobachtete ich die überglückliche Familienzusammenkunft. Mein Blick folgte der Keks- und Schokospur in die entgegengesetzte Richtung, aus der jener Wonneproppen namens Loretta die Szene betreten hatte. Mein Blick blieb an der noch gerade in Sichtweite stehenden Auslage jenes bekannten deutschen Süß- und Backwarenherstellers hängen, der insbesondere durch "Leibnitz" bekannt wurde. Die Verwüstung, die ich dort sah, war bemerkenswert.

Bemerkt hatte das auch das Personal des Supermarktes. Jedenfalls betrat in genau diesem Moment ein Mitarbeiter mein Sichtfeld und war offensichtlich ... nun... ich bin nicht sicher, ob Entsetzen oder Erstaunen dominierten, aber beide Emotionen waren eindeutig in aller Deutlichkeit auszumachen. Mir war schon irgendwie sehr gut verständlich, warum dieser Mann so reagierte, stand er doch vor den auf gut 10 Quadratmetern verteilten Trümmern einer ehemals mühsam und sorgfältig drapierten Europalette verschiedenster Weihnachtsspezialitäten.

Nun wäre es ja nicht so schlimm, wenn die Pakete und Tüten und Dosen und so weiter einfach nur verstreut worden wären. Loretta hatte jedoch bewiesen, dass sie dazu entschlossen war, sich an der Welt für grundsätzlich alles und natürlich insbesondere ihren Namen zu rächen. Ich vermute, sie hatte jede einzelne Verpackung geöffnet, den Inhalt begutachtet, getestet und verworfen - letzteres ist wörtlich zu verstehen. Irgendwann entdeckte der Verkäufer auch jene Spur, die Loretta, dem Ruf der Wildnis, äh, ihrer Mutter folgend, hinterlassen hatte.

Der Spur folgend traf er auf Mutter und Kind, beide noch immer überglücklich, allerdings in noch unterschiedlich ausgeprägter Schokoladenbeschichtung, was mich wiederum sehr verblüffte, war doch die mütterliche Umklammerung ihrer autonomen Leibesfrucht dermaßen innig, dass ich unwillkürlich vermuten musste, unfreiwilliger Zeuge eines postnatalen Rückführungsversuchs zu sein. Der Verkäufer sah sich jedenfalls gezwungen, jener innerfamiliären Glückseeligkeit Einhalt zu gebieten.

Sein Begehren nach Auskunft traf nicht eben auf uneingeschränktes Verständnis seitens der Mutter. Sein einleitendes "Entschuldigung" ging zunächst vollkommen unter. Irgendwie schaffte er es jedenfalls sich bei der Mutter bemerkbar zu machen. Er schaffte es sogar, der Frau sein Anliegen zu vermitteln. Nach anfänglichem Unglauben bewegte sie dann ihre nicht unerheblichen Massen doch mit in Richtung des inzwischen von nicht wenigen Schaulustigen umringten Schlachtfeldes.

Sie stritt nicht ab, dass ihr Kind das angerichtet hatte. Sie stritt auch nicht ab, dass ihr Kind da erheblich zugelangt hatte. Im Gegenteil. Aber ihr "Das hast Du aber feiiiin gemacht" zauberte doch einen in Ansätzen völlig ratlosen, um nicht zu sagen entsetzten Ausdruck auf das Gesicht des Verkäufers. Die sich anschließende Diskussion zwischen Mutter und Verkäufer drehte sich in erster Linie um den angerichteten Schaden, das Ersetzen desselben und das nicht vorhandene Verständnis der Mutter, warum man erstens die Ware nicht mehr verkaufen könne und zweitens ausgerechnet sie dafür verantwortlich sein solle.

Jedenfalls, irgendwann war der Verkäufer am Ende seiner bewundernswerten Geduld und wies die Mutter darauf hin, dass man die Diskussion doch jetzt besser mit dem Marktleiter weiterführen werde. Alternativ könnte man natürlich auch die Polizei hier hin holen, um die Personalien aufzunehmen. Die Mutter sah ihn nur völlig verständnislos an und fragte sich wahrscheinlich, wovon der junge Mann da vor ihr die ganze Zeit redete. Die drei zogen von dannen und die mittlerweile eingetroffenen Reinigungskräfte schaufelten(!) die Reste und Trümmer des Kinderspiels in bereitstehende Schubkarren.

Mit meiner Milch verließ ich den Supermarkt, in der festen Überzeugung, dass zukünftig Verkaufspersonal mit Schusswaffen ausgestattet wird. Wundern würde es mich jedenfalls nicht.

6 Kommentare:

  1. Manchmal denke ich, dass meine Tochter ein kleiner Satan ist... dann lese ich sowas und merke: Ich bin mit einem Engel gesegnet :-)

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  2. "postnataler Rückführungsversuch"... den muss ich mir merken ^^

    ich hoffen nur, dass der Nachwuchs meiner Mitbewohnerin nicht auch so wird...

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  3. ts ts ts, da merkt man doch gleich das Unverständnis des Autors für kindliche Entwicklung - der Mutter.
    Die wurde wahrscheinlich vom autoritären Vater immer mit Keksen verprügelt und jetzt läßt sie eben ihr Kind Rache nehmen für das Unbill, das ihr widerfahren ist.
    Kekse für die Welt!

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  4. Ich lese das jetzt zum x-ten Mal und kugele mich immer wieder vor Lachen!

    GENIAL.

    Aber das Du Deine Kamera vergessen hast, ist wirklich eine Schande! *g*

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