Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypris (SPD), verteidigt das gestern vom Bundestag verabschiedete Gesetz über die umfangreiche Vorratsdatenspeicherung. Sie wiegelt ab: Nicht der Staat würde die Daten sammeln, sondern private Unternehmen! Der Staat hätte ja nur ausnahmsweise Zugriff darauf. Wenn ein Richter das für notwendig hält. Das Gesetz stellt auf gar keinen Fall einen Schritt in Richtung "Überwachungsstaat" dar. Sagt sie jedenfalls.
Wirklich kein Überwachungsstaat? Die ARD berichtet, dass ihre Journalisten überwacht wurden und Gespräche zur Recherche von staatlichen Stellen aufgezeichnet und ausgewertet wurden. Aber nicht nur diese Telefonate wurden überwacht, auch die Telefonate mit Rechtsanwälten. Beides Gespräche, die nach bisher geltendem Recht eindeutig explizit von der Überwachung ausgenommen waren, zumal mindestens einem der Anwälte ausdrücklich ein Mandat erteilt worden war.
Besonders brisant: Die Gespräche bleiben in den Akten, obwohl diese nichts mit der Sache zu tun haben und die betroffenen Reporter und Anwälte selber keine Beschuldigten sind. Unklar ist, woher die ARD von der Überwachung weiß. Es sieht nicht so aus, als wenn staatliche Stellen die ARD informiert hätten. Die Ermittlungsakten wurden allerdings den Verfahrensteilnehmern zugestellt. Es ist also wahrscheinlich, dass die Journalisten von dort aus informiert wurden.
Ein Einzelfall? Auch der Berliner Tagesspiegel berichtet, dass auch zwei seiner Mitarbeiter überwacht wurden. Auch davon erfuhren die betroffenen Journalisten nicht etwa von der ermittelnden Behörde, sondern "hintenrum". Der Tagesspiegel spricht selber von "einer vertraulichen Quelle jenseits von Bundesanwaltschaft und Polizei". Gegenüber dem Tagesspiegel betonte das Bundeskriminalamt auf Anfrage, dass der Tagesspiegel selbst von keinem Ermittlungsverfahren betroffen wäre und keiner Telefonüberwachung ausgesetzt sei.
Die Gespräche seien aufgezeichnet worden, weil die Journalisten mit anderen telefoniert hatten, die ihrerseits überwacht wurden. Die Telefonüberwachung musste allerdings nach Behördenaussagen den Journalisten auch gar nicht mitgeteilt werden, denn solange ein Verfahren läuft, kann die ermittelnde Behörde Informationen zurückhalten. Sie muss die Protokolle über die Gespräche auch nicht sofort löschen.
Zwei Fälle, die nichts miteinander zu tun haben. In beiden Fällen werden Gespräche der Presse mit Informanten aufgezeichnet und ausgewertet und irgendwann völlig fremden zur Verfügung gestellt. In beiden Fällen werden die Betroffenen Journalisten nicht informiert.
Der Staat zegt deutlich, was ihm die Pressefreiheit wert ist, ein Grundrecht, auf den sich gerade die Bundesrepublik gerne fürchterlich was einbildet. Der Staat führt vor, dass ihn die Freiheitsrechte der Bürger überhaupt nicht interessieren. Die Bundesministerin der Justiz mag sich hinstellen und proklamieren, Deutschland sei nicht auf dem Weg in einen Überwachungsstaat. Ein Stück weit hat sie nämlich Recht: Wir sind nicht auf den Weg in einen Überwachungsstaat. Wir sind ein Überwachungsstaat.
Hält man sich vor diesem Hintergrund vor Augen, dass gerade gegen einen Demonstranten gegen den G8-Gipfel das Verfahren eröffnet wurde, weil er einen Mundschutz aus Kunststoff dabei hatte, er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft und Polizei "Passiv bewaffnet" war, dann kommt man doch ins Grübeln. Außer dem Mitführen dieses Gebißschutzes wird dem Mann nichts vorgeworfen. Nach Angaben des Amtsgerichts liegen gegen den Mann keine weiteren Anklagepunkte vor.
Es wird Zeit, etwas zu tun. Dringend.
(Quelle: Tagesschau, Tagesspiegel, Welt)
Samstag, 10. November 2007
1 Kommentar:
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http://www.stopptdievorratsdatenspeicherung.de/
AntwortenLöschenDies ist eine Sammelklage gegen die Vorratsdatenspeicherung, welche von einem Berliner Anwalt vor das Bundesverfassungsgericht bringen wird...
Früher war alles besser. Da wusste die Mehrheit des Volkes nichts von ihrer Überwachung. Jetzt weiß es so gut wie jeder aber nur wenige tun etwas...