Donnerstag, 19. Juli 2007

Kernkraft

Kernkraftwerk AKW Biblis ReaktorSeit einigen Tagen brodelt es unter der Oberfläche. Die Energiepolitik Deutschlands steht wieder im Rampenlicht, insbesondere das Thema Kernkraft. Hatte sich die Regierungskoalition noch im Koalitionsvertrag verpflichtet, am Ausstieg aus der Kernenergie festzuhalten, wurde in den vergangenen Monaten immer deutlicher, dass die CDU daran eigentlich überhaupt kein Interesse hat und viel lieber auch weiterhin die Energiekonzerne mit ihren Kernkraftwerken spielen lassen möchte.

Dann kamen die Vorfälle um Krümmel und Brunsbüttel und einen der größten in Deutschland tätigen Energiekonzerne, Vattenfall. Dieser schwedische Konzern, der bereits vorher schon durch seine eigenartige Preispolitik unangenehm aufgefallen war darf durchaus als Pegelstand für eine generelle Nachfrage herangezogen werden. Warum sollten andere Energiekonzerne Dinge so viel anders machen, als ausgerechnet Vattenfall? Geht es den anderen Unternehmen etwa nicht um Gewinnmaximierung bei gleichzeitiger Kostensenkung? Diese Frage stellen jetzt auch die Medien:
Tagesspiegel: "Wie sicher sind deutsche Atomreaktoren?"

Jürgen Trittin: "Die Energiekonzerne behaupten seit Jahren standhaft, deutsche Reaktoren seien die sichersten der Welt. (...) Wenn das die sichersten Anlagen der Welt sind, gute Nacht!"
Sicher, Vattenfall hat seinen Deutschlandchef gefeuert und ist auch endlich mal ein paar Pflichten nachgekommen, obwohl sich Heerscharen von Anwälten ausschließlich damit beschäftigen, genau das nicht tun zu müssen. Auch der Europa-Chef von Vattenfall hat seinen Rücktritt angeboten, weil die anderen Betreiber von Atomkraftwerken ihm richtig Feuer unterm Arsch gemacht haben. Aber werden dadurch die Atomkraftwerke sicherer?

Zwei uralte Atomkraftwerke fallen auf, weil es zu unübersehbaren Zwischenfällen kommt. Nur deshalb wird durch die Medien lange genug Aufmerksamkeit fokussiert, dass sich mal irgendjemand ernsthaft um das Thema kümmert und ein paar Fragen stellt. Bei manchen offensichtlichen offenen Fragen bleibt aber das Nachhaken aus. Eine der sich mir stellenden Fragen ist zum Beispiel: Warum bitte ist ausgerechnet das Sozialministerium in Schleswig-Holstein für die Kontrolle der Kernkraftwerke zuständig?

Für jeden Mist gibt es spezielle Ministerien und Ämter, vollgestopft mit hochqualifizierten und ebenso hochbezahlten Fachleuten, aber das Thema "Energie" überlassen wir einem Ministerium, dessen vollständiger Titel "Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren" lautet. Man beschäftigt sich dort auch mit so trivialen Themen wie Familienpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Frauenpolitik, Kinderbetreuung, Betreuung von behinderten Menschen, Senioren, Asylbewerber und Aussiedler und vielen anderen Problemen. Und ganz nebenbei will man sich dort hin und wieder mal um Atomkraftwerke kümmern? Preisfrage: Gesundheit, Familie, Jugend, Senioren, Atomkraftwerke. Was passt nicht in die Reihe?

Dann die nächste Frage: Wie hoch sind die Chancen, dass irgendjemand so ganz freiwillig auf eine Einnahmequelle verzichtet, die rund eine Millionen Euro Gewinn pro Monat abwirft? So hoch werden von der Politik die Gewinne für jedes einzelne Kernkraftwerk beziffert. Mal ganz ehrlich. Glaubt wirklich irgendjemand, dass auch nur eine einzige dieser Gelddruckmaschinen freiwillig dichtgemacht wird? Und glaubt irgendjemand allen Ernstes, dass diejenigen, die da die Finger drauf haben, auch nur einen Cent mehr reinstecken, als sie wirklich unbedingt müssen?

Ich jedenfalls habe da begründete Zweifel. Ist die Kernkraft deshalb generell eine unsichere Sache? Nein. Unsicher wird sie deshalb, weil auch da mit einem unkalkulierbaren Risikopotential hanitert wird und über Gewinnmaximierung und Kostensenkung an allen Ecken und Enden gespart wird. Dadurch werden zwar die Geldströme verbessert - zu Gunsten der Betreiber. Die Risiken jedoch werden weitestgehend ignoriert "weil die Atomkraft ja sicher ist". Sicher ist sie aber nur durch einen immensen Aufwand der irrsinnig viel Geld kostet.

Die Debatte, die sich jetzt langsam entwickelt, ist völlig richtig. Es geht hier um mehr, als nur die Frage, ob ein oder zwei Kernkraftwerke eines einzelnen Betreibers eventuell, so rein hypothetisch, irgendwie vielleicht unter bestimmten Umständen irgendwie ein wenig unsicher sein könnten. Es geht insgesamt um die Versorgungssituation in Deutschland. Woher kommt unsere Energie überhaupt? Von wem ist Deutschland abhängig? Wie weit geht diese Abhängigkeit und wie viel Sicherheit der Bevölkerung darf dem Gewinnstreben geopfert werden?

Ich bezweifle allerdings, dass die Debatte zu mehr führt, als zu skandierenden Neu-Alternativen, die mit "Atomkraft - Nein danke" - V2.0 Stickern und irgendwelcher Ökomode von Gucchi und Co über den Asphalt schlappen, weil es gerade tres chic ist und dabei tolle - aber leider weltfremde - Vorstellungen über eine Welt ohne Politiker und Atomstrom skandieren, während sie dem neuesten Podcast ihres Seelenklemptners auf dem iPod lauschen, sich dabei den frisch per Express aus Asien eingeflogenen Fair-Trade-Tee reinpfeifen. Beobachtet von dumpf wiederkäuenden Pisa-Opfern, die nicht begreifen wollen, um was es da eigentlich geht und bei denen der Strom in erster Linie aus der Wand kommt.

Wahrscheinlich haben wir es einfach nicht besser verdient.

(Quelle: Tagesspiegel)

1 Kommentar:

  1. schön geschrieben. Der Vergleich mit der Reihe war super und das Ende spricht mir aus der Seele.

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