Freitag, 23. März 2007

Neid, Habgier und Mißgunst

Häufig heißt es, die junge Generation hätte weder Anstand noch Moral und Wertevorstellungen seien der Jugend ja eh völlig fremd. "Damals" hätte noch Zucht und Ordnung geherrscht und man sei ja viel besser erzogen worden und sowieso. Nun wollte ich heute Nachmittag mal wieder zum Sport - wie so ziemlich jeden Nachmittag. Und weil auch ich manchmal der Faulheit nachgebe, überlegte ich, ob ich nicht den Bus nehmen könnte.

An der Bushaltestelle wartete bereits ein älteres Pärchen. Gut in die 50 würde ich schätzen, vielleicht sogar schon an die 60. Beide machten einen vorsichtig ausgedrückt reservierten Eindruck und betrachteten mich ob meines Anoraks und des Rucksacks (ja, genau *der* Rucksack) mit äußerstem Argwohn. Ich kramte in meiner Tasche nach Kleingeld und stellte fest, dass ich mit 40 Cents in Kleingeld nicht sehr weit kommen würde, der Busfahrer erfahrungsgemäß 20- und 50 Euro Scheine nicht wechseln kann. Egal, dann laufe ich eben. Der Bus ist eh erst in 10 Minuten da, bis dahin habe ich locker den halben Weg geschafft.

Drehe mich um und latsche los. Dabei stecke ich mir das Kleingeld wieder in die Tasche und ungeschickt, wie man eben manchmal so ist, fällt mir eine 10 Cent Münze aus der Hand. Das fällt mir auf, weil ich das "Pling" der aufschlagenden Münze höre, nicht weil ich es sehe. Ich suche einige Augenblicke nach der Münze, kann sie aber nicht entdecken. Das Pärchen hingegen scheint eine Art Radar für so was zu haben, tut aber so, als sei die Verzierung der Bushaltestelle gerade das Interessanteste seit Erfindung des Feuers und ignoriert mich vollkommen.

10 Cents sind nun nicht gerade der Betrag, um den ich mir größere Sorgen mache, darum entschließe ich mich zu einem Experiment. Mit suchendem Blick gehe ich weiter, einige Meter, bis ich aus dem unmittelbaren Sichtbereich der beiden verschwinde, bleibe aber offen für jeden sichtbar mitten auf dem Gehweg stehen. Ich beobachte die Bushaltestelle und soll nicht enttäuscht werden: Er will zielstrebig losgehen, sie packt ihn am Arm und zieht ihn wieder in die Bushaltestelle zurück. Ich warte noch einen kurzen Augenblick. Und richtig. Keine fünf Sekunden später stratzt er los, greift sich die Münze und kehrt triumphierend zu ihr zurück.

Das war mein Zeichen. Ich gehe direkt zu ihm, mit dem freundlichsten Lächeln im Gesicht, dessen ich fähig bin und beginne das Gespräch mit den Worten "Das ist aber nett von ihnen. Vielen Dank!" und halte meine Hand hin. Sie versucht unterdessen die Schrauben in der Decke der Bushaltestelle zu zählen oder auch die Länge der Risse im Lack zu schätzen und würdigt weder ihren Mann, noch mich auch nur eines Blickes. Ihre deutlich hervortretenden Kaumuskeln und die leicht zitternden Nasenflügel sprechen aber Bände.

Wortlos, mit einem Gesichtsausdruck, den Literaten wohl mit "von kaltem Hass erfüllt" umschreiben gibt er mir Wortlos die 10 Cents. Ich bedanke mich noch einmal ("Vielen Dank") verabschiede mich ("Auf Wiedersehen und schönen Tag noch") und mache mich auf den Weg in die Stadt. Ich konnte die Blicke im Nacken mehrere hundert Meter weit spüren. Ich bin mir sicher, dass die beiden eine interessante Diskussion miteinander hatten. Jedenfalls tingelte ich meines Weges und - wie ich bereits richtig geschätzt hatte - erreichte ungefähr die Hälfte der Wegstrecke, als mich der Bus von hinten einholte und unmittelbar vor mir an der Haltestelle hielt.

Und wer stieg dort aus? Erraten. Das Pärchen. Wieder grüßte ich freundlich ("Ach Hallo! So sieht man sich wieder!", aber dieses mal wurde ich mit vollkommener Nichtachtung von beiden gestraft, lediglich die Umgebungstemperatur schien schlagartig um geschätzte 20 Grad zu fallen...

Wenn die von diesen beiden gezeigten Wesenszüge tatsächlich das Merkmal der "besseren" Gesellschaft von "früher" sind, dann bin ich heilfroh, dass ich in der Gesellschaft nicht leben muss.

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