Wenn ich einkaufen gehe, rechne ich immer mit dem Schlimmsten. Zwar wird diese Erwartung nur zu häufig nicht erfüllt, aber dafür muss ich auch nicht so oft zum Therapeuten. Gestern musste ich für meinen Nachwuchs ein Geburtstagsgeschenk einkaufen. Seine Wünsche trieben mich in ein größeres Kaufhaus für Spielzeug. Selbst noch irgendwie Kind, bin ich schon offen für diverse Errungenschaften der Spielzeugindustrie, aber ich wusste ja nicht, was man in solchen Läden für einen Spaß haben kann!
Man stelle sich ein Geschäft über zwei Etagen vor. Mit Rolltreppe. Jede Etage mit über den Daumen gepeilt 2.000 Quadratmetern. In diesem Laden, vollgestellt mit meterweise quietschgelben Regalen und - man ahnt es - Spielzeug ohne Ende. Und es gibt auch eine Ausrüstungsgegend für frisch gebackene Eltern oder solche, die das noch vor sich haben. "Alles Niedliche fürs Blag" wäre die passende Überschrift. Da steht Mann nun im Spielzeugparadies, für dessen Plünderung in der eigenen Kindheit die Geldmittel fehlten und fragt sich, ob nicht vielleicht doch genau heute der richtige Tag wäre, um endlich mal mit Modelleisenbahn, Carerabahn oder dem ganz großen LegoTechnik-Kram anzufangen.
Irgendwann jedenfalls erinnerte ich mich an den eigentlichen Grund für mein Hiersein. Da steht man in dieser Bude voller Spielzeug und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wo zur Hölle haben die hier die Spiele versteckt?! Wo ist das Personal? Diese naheliegende Frage sollte mir zwei wichtige Erkenntnisse eröffnen. Erstens: Die Größe eines Geschäfts, die Anzahl der Kunden und die Anzahl des Personals verhalten sich umgekehrt proportional zueinander. In dem ganzen Laden waren mindestens 20 oder 30 Kunden mit ihren Kindern verteilt. Dem stellt dieser Laden ganze zwei Angestellte gegenüber. Zweitens: Ping-Pong kann man auch über mehrere Etagen spielen.
Ich ging zur Kasse, an der der erste Angestellte gefangen war. Ich fragte ihn, wo ich denn hier wohl bitte das gesuchte Spiel finden könne. Die umfassende, völlig korrekte, aber nicht im Geringsten hilfreiche Antwort lautete: "Oben." Ich fragte nach: "Oben?" Nicken. Ich zeigte zur Decke. Wieder ein Nicken. Mit aufmunterndem Lächeln. Ich ging zur Rolltreppe. Oben steht man dann nicht weniger hilflos vor nur unwesentlich anders verteilten Regalen mit ganz bestimmt nicht weniger Spielzeug und fragt sich, warum man den Scheiss nicht einfach im Internet bestellt hat.
Das ist der Augenblick, in dem Angestellter zwei (diesesmal eine Frau) völlig überrascht und nur für Sekundenbruchteile hinter einem in Regalfarbe getarnten Tresen auftaucht. Ich war fast versucht an eine optische Täuschung zu denken. Ich ging hin und fiel - nur wenige Meter vor dem Ziel - voll auf die Fresse. Ein strategisch astrein geparktes Go-Kart verhinderte meinen erfolgreichen Auftritt und ermöglichte ihr die Flucht. Zwar war weder mir noch dem Inventar irgendwas passiert, aber das Personal war weg.
Also weiter herumirren. Für Kinder gibt es Kompasse und Ferngläser und "Insektenaufbewahrungskäfige"? Ist das Zufall, dass sowas unmittelbar an der Information gelagert wird? Ich stehe in der Legoabteilung und rätsle noch darüber, ob die Spielzeuge eventuell irgendwie alphabetisch sortiert sein könnten, als ich Zeuge der ersten "Elterndebatte" werde. Er, sportlicher spät Mittzwanziger, trabt völlig entnervt neben ihr, einer deutlich genervten, aber attraktiven Sie, Anfang zwanzig, her. Er: "Das kann er doch noch gar nicht." Sie: "Darum will ich ihm das ja auch kaufen. Damit er das lernt." Er: "Das ist Lego." Sie: "Und? Nur weil das für Dich zu hoch ist, heißt das nicht, dass mein Sohn das nicht kann." Der Rest der Debatte verliert sich im Gewirr der Regale.
Ich streife weiter. Ein anderes Pärchen hat die Vielfalt der Kinderwagen für sich entdeckt und kann sich nicht so recht entscheiden zwischen dem Modell "Superkomfort" mit vierfach Stoßdämpfung, umlaufend innenbelüfteter Scheibenbremse vorne, dreifach veredelter Transparentabdeckung, Auslaufschutz und Wegfahrsperre für den Spottpreis von nur noch 632 Euro oder dem Modell "es geht auch billiger" für rund 150 Glocken. Während ich seinen Argumenten sofort folgen kann - eine gute Bremse ist kriegsentscheidend wichtig im Einkaufsgewühl moderner Innenstädte - fehlt es ihrer Argumentation irgendwie an Nachhaltigkeit: "Ja aber der ist so teuer..." Ja und?! Er muss meine Gedanken irgendwie gelesen haben, aber die Kelle, die er auspackt, macht selbst mich sprachlos. Nonchalant holt er verbal aus: "Du trägst jetzt gerade Klamotten für fast drei mal so viel Zaster und du pisst dich an wegen 600 Euro? Spinnst Du jetzt komplett?" Ich mache auf dem Absatz kehrt und verdrücke mich lieber.
Da! Personal! Den Boden nach Stolperfallen absuchend, steuere ich einen bombensicheren Abfangkurs. Kaum auf Rufweite heran lasse ich meinem Charme freien Lauf. Ein galantes "Hey sie da! Ja, genau sie! Sie arbeiten hier!" scheint alle Fluchtinstinkte in ihr auf einmal zu wecken. Ich bin schneller. "Wo finde ich denn dieses Spiel?" und nenne ihr den Herzenswunsch meines Stammhalters. Sie braucht ein paar Augenblicke, dann antwortet sie klar und unmissverständlich: "Unten." Ich runzle die Stirn: "Unten?" Die Antwort lässt wenig Raum für Missverständnisse: "Ja, solche Spiele haben wir unten." Also zurück auf Los und von vorne.
Unten lande ich direkt in der Abteilung mit den Autos. Meine Güte gibt es viele Spielzeugautos. Laut fluchend kommt mir ein Typ entgegen: "...und überall diese Scheiss Kindermusik! Kackladen!" und latscht fluchend an mir vorbei. Wenn er in seinem rosa-weiß-karierten Flanellhemd und mit seiner eigenartigen Hornbrille nicht den Eindruck einer stark benachteiligten Randgruppe gemacht hätte, wäre jetzt der richtige Moment, um eine Menge Witze über sein Aussehen zu machen, aber ich lasse es mal dabei bewenden, denn die beiden Kinder, die plötzlich vor ihm stehen, ihn mit offenem Mund anglotzen, um dann laut(!) "Maaaaamiiiiiii!" kreischend panisch in unterschiedliche Richtungen wegzurennen, sprechen schon irgendwie für sich.
Ich steuere die Kasse an. Ich starre den Kassierer an. Der starrt zurück. "Ich suche dieses Spiel..." beginne ich. "Ja, oben." fällt er mir ins Wort. "Nein, von da komme ich gerade. Die Dame hat mich runter geschickt. Solche Spiele gibt es unten, sagte sie." entgegne ich. Seinem "Das war bis vor einer Woche auch so. Jetzt sind die oben." habe ich irgendwie nichts entgegenzusetzen. Also wieder rauf. Wieder oben zerrt eine pädagogisch fortschrittliche Mutter ihren lamentierenden Nachwuchs hinter sich her und teilt der Welt mit, welche Familienprobleme jetzt zu lösen sind: "Es ist mir völlig egal, was Onkel Herbert gesagt hat." "In meiner Wohnung dulde ich so etwas nicht, Jonas-Alexander! Das weißt Du ganz genau!"
Der heulende Junge kann einem nur leid tun. Egal, welches grauenhafte, gegen alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens verstoßende, Gewaltspielzeug er anschleppen wollte: Wer einen solchen Doppelnamen tragen muss, verdient Mitleid und darf quasi jederzeit heulen - bis er alt genug ist, dagegen etwas auf dem Standesamt zu unternehmen, oder Schußwaffen zu benutzen, oder beides.
Wieder suche ich das Personal. Vorbei an dem Millionärspärchen, das inzwischen zwar die Entscheidung hinsichtlich des Kinderwagens getroffen hat, sich aber nun irgendwie nicht so recht zwischen dem Winterstrampler für Nordpolarexpeditionen und der Variante "Sibirischer Winter" entscheiden konnte. Angesichts von Außentemperaturen um die 17°C natürlich ein absolut verständliches Problem.
Ein paar Tausend sich mir entgegenstürzende Plüschtiere aus dem Weg tretend und ohne Angriffe von Go-Karts oder anderer lebensgefährlicher Geräte, erreiche ich die schwer gesicherte Stellung der Chefin des ersten Stocks. In ihrer Stellung im Innern der Tresen-Schanze vermute ich Mörser, Stacheldraht und schweres MG, darum bleibe ich vorsichtig auf Abstand und versuche mich in höherer Diplomatie.
"Der Mann von der Kasse unten schickt mich wieder hoch, weil diese Spiele seit einer Woche hier oben sein sollen." Schweigen. "Können sie mir bitte sagen, wo ich die ungefähr suchen muss?" Hartnäckiges Schweigen. "Hallo?" Noch immer keine Reaktion. Ich werde mutiger. Ich gehe an den Tresen heran und frage erneut: "Hallo?" Nichts. Keine Regung. Der Mut steigt mir zu Kopf und ich versuche hinter den Tresen zu schauen. Ein ängstliches Wimmern entrinnt der Verkäuferin als ich sie, die sich verzweifelt unter dem Tresen zu verstecken versucht, direkt anspreche: "Äh, 'tschuldigung..."
Sie versucht sich zwischen ihren Knien zu verstecken "HHmmmmmmmiiiiwwwwiiiwwwiii...." Mit Worten lässt sich ein solches Geräusch einfach nicht wiedergeben. "Wo finde ich dieses Spiel?" Sie deutet in eine ungefähre Richtung. "Ok, bei den Regalen links. Welches?" Sie hebt drei Finger, ohne mich anzusehen. "Das dritte?" Sie nickt. "Links oder rechts?" ihr Zeigefinger deutet nach rechts. "Vorne oder hinten?" Der Zeigefinger zuckt energisch weg. Also hinten. "Also drittes Regal, rechts, hinten?" Nicken. "Danke."
Ich frage mich, was für Drogen solche Leute wohl nehmen und stapfe los, das Ziel vor Augen, als zwei Gänge vor mir ein Karton Bauklötze in einem malerischen Bogen - mir kommt es vor wie in Zeitlupe - einzelne Klötzchen einem Kometenschweif gleich hinter sich zurücklassend, aus dem einen Gang geflogen kommt, um kurz darauf mit dem zu erwartenden Scheppern im gegenüberliegenden Ganz aufzuschlagen. Neugierig, aber vorsichtig, linse ich erst in den einen, dann in den anderen Gang: Kein Mensch zu sehen, dafür aber eine pitoreske Spur bunter Bauklötze und ein geplatzer Karton inmitten noch sehr viel mehr Bauklötze. Ich beschließe, ein wenig Gas zu geben. Ich hetze in den Gang, den dritten. Im hinteren Bereich, rechts finde ich das gesuchte Spiel. "Nichts wie weg!" ist die Idee des Tages und ich wende mich zur Flucht.
Als ich mich umdrehe, kann ich gerade noch sehen, wie ein Kind kreischend vor einem anderen Kind wegläuft, beide Arme schützend über dem Kopf haltend. Das andere Kind stürmt johlend hinterher, eine Spielzeugstreitaxt wirbelnd. Ich trete vorsichtig, aber entschlossen, den Rückzug an. Fast an der Rolltreppe, kommt mir eine Frau entgegen, deren Outfit irgendwo zwischen geplatzter Altkleidersammlung und rosa Ballerina einzusortieren ist. Mit einem fröhlich geträllertem "Ein Männlein steht im Walde..." hüpft sie an mir vorbei. Ich beschließe mich jetzt wirklich zu beeilen.
An der Kasse unten unterhält sich der Kassierer mit einer offenbar kinderlosen Frau über Autos. Über Modellautos. Einen Ford irgendwas, den sie ja unbedingt ihrem Vater zum Geburtstag schenken wollte. Und ich wollte unbedingt bezahlen. Ich schiebe das Spiel über den Tresen. Warum trägt dieser Verkäufer weiße, fingerlose Handschuhe? Sein nächster Satz macht mich misstrauisch. Zu der Frau sagt er: "Ach, das mit Beziehungen ist alles nicht so das Wahre. Da sind Autos doch viel besser." Ok, das kann ich nachvollziehen. Aus ähnlichen Gründen habe ich eine Kamera. Er ergänzt: "Ich hab jetzt dreihundertachtundsechzig Matchboxautos und fast die komplette Serie von Bruder." Die Frau und ich starren erst uns verwundert, dann ihn verständnislos an. "Das sind diese Trecker und so". Ah ja. Ich will nur noch bezahlen und raus hier. Mein Wunsch wird erfüllt.
Draußen atme ich tief durch und frage mich, ob das gerade alles wirklich passiert ist, als ein Mann in transparentem Regenmantel für Kinder mit einem blauen Plastikregenschirm in der Hand, selig lächelnd an mir vorbei in den Laden tingelt...
Ich habe beschlossen vorläufig nicht wieder einen Fuß in ein Spielzeuggeschäft zu setzen.
Freitag, 2. Februar 2007
5 Kommentare:
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lustig zu lesen ^^
AntwortenLöschenich rätsel noch die ganze zeit, was das wohl für ein spiel gewesen ist :P
Irgendwie scheinen in Oldenburg nur Freaks zu leben *duck*
AntwortenLöschenErst die Geschichte vom versuchten Rucksackkauf und jetzt das...
>> ich rätsel noch die ganze zeit, was das wohl für ein spiel gewesen ist :P
AntwortenLöschenDas Spiel nennt sich "Uno" und ist irgendein Kartenspiel.
>> Irgendwie scheinen in Oldenburg nur Freaks zu leben *duck*
Der Verdacht ist nich völlig von der Hand zu weisen.
>> Erst die Geschichte vom versuchten Rucksackkauf und jetzt das...
Nicht zu vergessen "Einkaufen" und "Bus fahren"
und jetzt noch das große schwedische möbelhaus bitte
AntwortenLöschenHast du schonmal drüber nach gedacht Kolumnen für eine Zeitung zu schreiben? Ist ja zum schreien komisch was du so erlebst :)
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