Dienstag, 22. August 2006

Gaming (2)

JoystickWoran merkt man, dass mal wieder eine große Verkaufsfördernde Werbeveranstaltung einer sich selbst sehr wichtig nehmenden Industrie unmittelbar bevorsteht? An der Artikeldichte in den Medien natürlich! Oft genug artet die selbstinszenierte Beweihräucherung in eine Groteske aus, die in diesem Fall ganz besondere Qualitäten erreicht. Die Gamesconvention steht vor der Tür. Messe der Spieleindustrie, jenes viel diskutierten Zweigs der Medien, der uns immer wieder Anreiz für neue Debatten, aber auch manchmal das Kaufen immer neuer Gimicks und Gadgets liefert.

Selbstinszeniert ist der Hype meistens deshalb, weil in vielen Fällen die "Berichterstattung" schlicht und ergreifend gekauft wurde. Oder hat sich noch niemand gefragt, wie sich die vielen Webseiten, die sich einzig und allein mit der "Bewertung" von Computer- und Consolenspielen beschäftigen, finanziell über Wasser halten? Egal wie, die Industrie steht zunehmend vor Problemen und davon soll diese Messe ablenken.

Die Industrie möchte verschiedene Ziele umsetzen. Zu denen gehört, dass der Kunde alle seine Daten und Informationen preisgibt und die Industrie diese nach eigenem Gusto benutzen kann. Electronic Arts geriet damit jüngst in die Schlagzeilen, dass der Konzern sich per EULA vom Kunden den Freifahrtsschein dafür holt, alle Daten des Kundens zusammenzutragen und diese personalisiert auszuwerten. Besonders kritisch ist, dass sich EA von Microsoft auch die Kreditkarteninformationen übermitteln lässt. Nicht etwa nur Gültigkeit und Aussteller, sondern auch alle Finanz- und Zahlungsdaten. Bislang weigerte sich der Konzern beharrlich auf entsprechende Fragen zu antworten. Man spielt auf Zeit und hofft, dass der Kunde schon vergessen wird, was er da unterschrieben hat.

Zusätzlich möchte die Industrie, dass der Kunde alle Produkte im Pay-Per-Use Verfahren bezahlt. Dem Kunden soll - bestenfalls - noch die Hardware "gehören", auf der er spielt. Was er da spielt soll aber auf gar keinen Fall in seinen Besitz übergehen. Denn: Was er Besitzt, was sein Eigentum ist, das kann er benutzen wann und wie er es will, nur daran kann man nichts mehr verdienen. Und zu allem Überfluß kann er das auch verkaufen. Und daran verdienen die Konzerne zu deren allergrößten Bedauern auch nicht einen Cent. Entsprechend groß sind die Bemühungen, hier einen Riegel vorzuschieben und die Hand aufzuhalten.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine gerade veröffentlichte Untersuchung von MSN Money. In dieser Untersuchung über Sachen, die man sich unter keinen Umständen neu kaufen sollte, wird über Software und Computerspiele gesagt:
"Software and console games. Buy used, and you'll pay half or less what the software cost new. Console games like those for the Xbox and Sony PS2 that list for $50 new, for instance, can often be purchased used for $20 or less a year after release.

But it's more than just a matter of economy. Letting someone else be the early adopter also allows you to benefit from their experience. You'll find more reviews and information on software that's been out a year or more (and you won't be that far behind the leading edge). The bugs will have been identified along with any workarounds, although you may have to live with some problems that are fixed in later versions.

Exception: If you do a lot of work with graphics, multimedia or image editing and you have a newer, more powerful computer, you'll probably want the state-of-the-art version. Finally, some software restricts the number of computers on which it can be installed, which can make it difficult (but not impossible) to transfer the product license to a new owner."
Die Erfahrungen mit vielen aktuellen Computerspielen zeigen, dass die Software häufig in einem Zustand in den Handel gerät, der schon alleine aus medizinischen Gründen vom Kauf unmittelbar nach Veröffentlichung abraten lässt. Zu viele Titel sind bei Veröffentlichung eher öffentliche Beta Tests und selbst Monate nach Erscheinen sind zu oft längts nicht alle technischen Unzulänglichkeiten des Produkts behoben.

Oft genug artet schon die Installation eines neuen Titels in nervenaufreibende und abendfüllende Hasstriaden aus, nur weil der Hersteller mal wieder den Kopf in den Wolken hat und sich für die Wirklichkeit der Spieler keinen Meter interessiert. Auch Patches, die solche Probleme eigentlich beheben sollen, sind zu gerne mal weder leicht zu finden noch problemlos zu installieren. Der Wunsch der Fehlerbereinigung wird manchmal sogar erfüllt - zum Preis des Einführens völlig anderer, dafür aber neuer Probleme. Von den spielerischen Macken und Pleiten mancher Titel ganz zu schweigen.

Solche Probleme wiederum werden allerdings in den meisten Fällen als "Geschmackssache" verkauft, selbst wenn die Entwickler selber von "mißlungen" sprechen. Es ist eben schwer zuzugeben, dass man Coder bzw. Marketingfuzzi ist und vom Gaming eigentlich nicht die Spur einer Ahnung hat - weder vom Gaming noch vom Gamer.

Ganz neu ist hier die Masche, diese Fehler nicht etwa schlampigem Design oder gar nachlässiger Programmierung zuzuschreiben, sondern dem Spieler - dem zahlenden Kunden - die Schuld daran zu geben. Die Frage, wieso der Spieler schuld am Vorhandensein von Fehlern hat, die er entdeckt, wird mit großer Leidenschaft nicht beantwortet.

Die Kunden wiederum sind von den ständigen Fortsetzungen alter Spiele zunehmend angeödet. Sportspiel Teil 248, Kriegsspiel Teil 96, PacMan Teil 9.377... Fortsetzungen, Wiederholungen, Neuauflagen. Same Old, same old. Wohin man auch schaut, überall nur "dasselbe wie neulich". Die Forderung nach Kreativität und echter Neuerung wird nicht ohne Grund immer lauter und deutlicher.

Gefordert wird - sehr zum Leidwesen der Firmen - sinnhafte Handlung statt Grafik. Ein Konzept, dass gerade World of Warcraft so erfolgreich machte und die Industrie völlig überraschte. Die Grafik bei WoW ist - bei allem Respekt - nicht das, was man heute erwartet. Aber die Vielfalt der Handlungsoptionen und die Masse an Alternativen ist es, die zusammen mit der Möglichkeit der sozialen Interaktion für viele einen unglaublichen Reiz ausübt. Die Spieleindustrie war bis dato immer davon ausgegangen, dass man fehlende Inhalte und fehlende Story einfach durch bombastische Grafik ersetzen könnte. Nebenbei bemerkt, die Kunden weisen auf diesen Irrglauben nicht erst seit gestern hin, wie auch die Süddeutsche treffend anmerkt.

Gleichzeitig wird die Angst der Industrie etwas Neues auszuprobieren immer größer. Etwas Neues auszuprobieren wird immer mehr zu einem finanziellen Wagnis besonderer Güte. Inzwischen kostet die Produktion eines herausragenden Computerspiels fast soviel, wie die Produktion eines Films. Die Anzahl der gescheiterten Spiele ist dabei im Vergleich genau so groß, wie die Anzahl der gefloppten Filme. Fazit der Industrie: Es gibt zu viele Spiele!

Das die Ansicht der Kunden dem völlig diametral gegenübersteht, geht den Verantwortlichen dabei gerne nicht in den Schädel: "Es gibt zu wenig gute Spiele!" verstehen die Entscheider nicht. Ein gutes Spiel ist in deren Augen eins, das sich gut verkauft. Spielspaß und so weiter haben damit absolut nichts zu tun. Deshalb reden Kunden und Macher in diesem Punkt gerne und mit inbrunst weit aneinander vorbei.

Trotzdem: Die Spieleindustrie wird nicht daran zugrunde gehen, dass die Kunden immer häufiger die Produkte einfach nur schlecht finden. Die Spieleindustrie wird auch nicht daran zugrunde gehen, dass immer weniger Titel wirkliche "Evergreens" werden und auch nach Jahren noch Spaß machen. Im Gegenteil. Die zwei oder drei erfolgreichen Titel eines Jahres werden - siehe Musik und Film - die vielen gescheiterten Versuche mitfinanzieren. Außerdem ist es einfacher die Preise anzuheben um den Umsatz zu steigern, ansatt durch qualitativ herausragende Produkte den Absatz zu steigern.

Wetten, dass Spiele bald im Regelfall 80 bis 100 Euro kosten, sei es durch die Anschaffung oder durch "Abo-Lizenzmodelle"?

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