Freitag, 19. März 2010

Gute und schlechte Erfolge

Als vor einiger Zeit eine Reihe hochrangiger Funktionäre der Taliban verhaftet wurden, zwang sich die Frage auf, welches Ziel Pakistan dabei verfolgt. Inzwischen wurde offiziell bestätigt, dass die Führung in Afghanistan über eben genau jene Festgenommenen geheime Verhandlungen mit den Taliban führte. Ein Sprecher der Regierung Karzai bestätigte, dass solche Verhandlungen geführt worden sind. Präsident Karzai sei über die Festnahme "außer sich" gewesen. Die Vermutung, dass es Pakistan nicht um das Ausschalten der Taliban insgesamt geht, sondern darum, die eher moderaten und verhandlungsbereiten Kräfte gegen dem ISI loyale zu ersetzen, ist nicht von der Hand zu weisen. Es fällt auf, dass die US Regierung bislang sorgsam vermieden hat, von einem "Strategiewechsel" zu sprechen.

Richard Holbroke kommentierte die Entwicklung sehr nüchtern:
"Everyone has asked the same question. How do you know? Have we turned a corner? I'm not prepared to make those judgments, and you'll have to ask the Pakistanis that," he said. "I'm an agnostic at this point (...) as to whether this was a policy change [by Islamabad] or a serendipitous collection of discreet events."
Abu Walid al-Masri, langjähriges Mitglied der Taliban, beurteilte die Auswirkungen der Festnahme von Baradar auch eher skeptisch. Nach seiner Einschätzung wird es kaum militärische Auswirkungen geben. Stattdessen entsteht jedoch ein Machtvakuum, das seiner Ansicht nach deutliche Veränderungen in der politischen Struktur innerhalb der Taliban haben wird, weil eine jüngere, militantere Generation diese Lücken füllen wird. In jener jüngeren Generation ist die revolutionäre Grundhaltung bei militärischen und politischen Themen sehr viel stärker verankert.

Auffällig ist, dass Karzai die Information über geheime Verhandlungen mit den Taliban ausgerechnet unmittelbar nach seinem Besuch in Islamabad verbreiten ließ, wo er gezwungen wurde, Pakistan öffentlich eine Rolle in den Verhandlungen mit den Taliban zu versprechen. Dieser Besuch fiel zusammen mit der Aufforderung des britischen Außenministers David Miliband, dass die Regierung Karazai ihre Anstrengungen zur Aussöhnung mit den Aufständischen vorantreiben müsse. In diesem Kontext könnte die jüngste Bekanntgabe der Generalamnestie zu verstehen sein. Die Implikationen in Richtung Pakistan und Nato sind offensichtlich.

Auffällig ist auch, dass weitgehend unbekannt ist, wie viele Taliban Pakistan eigentlich im Gewahrsam hat. Den westlichen Alliierten wird längst nicht zu allen und lange nicht im vollen Umfang Zugang zu den Festgenommenen und den Informationen gewährt. Eine echte Zusammenarbeit sieht anders aus. Allerdings lässt die reine Anzahl der Festnahmen hochgestellter Taliban reine Glücksfälle als sehr unwahrscheinlich erscheinen. Stattdessen muss es sich um größere und sorgfältig geplante Aktionen gehandelt haben. Gerade in diesem Zusammenhang fällt wieder auf, dass Pakistan besonders jene Taliban schont, die dem ISI verbunden sind.

Dazu kommt, dass in Pakistan unmittelbar ein Generationswechsel in der militärischen Führung bevorsteht. Die meisten der 29 top Generäle der pakistanischen Armee müssen bald in den Ruhestand gehen. Dazu gehört auch der Stabschef General Kayani. Bedeutsam wird dieser an sich normale Vorgang dadurch, dass die nachrückenden Befehlshaber nicht mehr vom Westen ausgebildet wurden und selber nicht im Indisch-Pakistanischen Krieg von 1971 gedient haben. Der Kontakt dieser nachrückenden Offiziere mit westlichen Armeen war sehr viel geringer, nicht nur was die persönlichen Kontakte angeht. Ihre Ausbildung war sehr viel enger verbunden mit chinesischem Militär, deren Doktrinen, Traditionen und Ausrüstungen. In der Folge sind diese Militärs gegenüber dem Westen sehr viel skeptischer und verschlossener, achten gleichzeitig aber sehr viel stärker auf das Einhalten islamischer Religionsvorschriften.

Es scheint, dass die Ideen der nachwachsenden Generationen in den Führungen der Taliban und der pakistanischen Armee sehr viel besser zueinander passen als es bei den bisherigen Befehlshabern der Fall war. Es ist nur zu wahrscheinlich, dass gerade die neuen Offiziere persönliche Erfahrungen und Kontakte zu den in ihrem Land operierenden Taliban haben. Das Interesse an einem starken Einfluss Pakistans in Afghanistan ist unverändert und die Situation zu Indien auch nicht so viel besser. Gerade erst wurde Pakistan durch den indischen Verteidigungsminister A. K. Antony beschuldigt, 42 Camps militanter Aufständischer auf indischem Boden nicht abbauen zu wollen. Seine Aussage, dass sich die Situation im Kaschmir wieder "beruhige" er aber erwarte, dass diejenigen, die gegen Indien eingestellt sind, das nicht tolerieren werden - mit anderen Worten: Pakistan wird Ausschreitungen provozieren.

Zwar zeigen sich gleichzeitig leichte Verbesserungen des Verhältnisses zwischen Pakistan und den USA, wie zum Beispiel eine Verbesserung bei der Bearbeitung der Reisevisa, aber das sind verhältnismäßig kleine Schritte, die nicht unbedingt auf eine groß angelegte Annäherung hindeuten. Auch sind die Interessen der USA in diesem Bereich Asiens nicht unbedingt dieselben wie die Pakistans, insbesondere da die USA Indien als Verbündeten ansehen, Pakistan jedoch nicht, was sich auch an den Forderungen in Richtung der USA zeigt.

Hamid Gul, früherer Direktor des ISI, ist bekannt für seine Kritik an der Rolle der USA in Pakistan. In einem Interview sagte er kürzlich, dass die Widerstandskämpfer von den USA das Erfüllen von drei Forderungen verlangen, bevor sie zu Verhandlungen bereit sind: Einen verbindlichen Zeitplan für den Truppenabzug (der den Aufständischen einen gewaltigen strategischen Vorteil geben würde), die USA müssten aufhören, sie als "Terroristen" zu bezeichnen (was einen riesigen PR-Sieg bedeuten würde, denn der Westen würde damit die Richtigkeit ihrer Sache und ihrer Methoden anerkennen) und die Freilassung aller in Afghanistan und Pakistan inhaftierten Kämpfer. Er unterstützt damit Hakim Mujahed, den früheren Botschafter der Taliban bei der UN. Der sagte, dass viele Führer der Taliban zu Gesprächen bereit sind, das Problem jedoch auf der Seite der Taliban läge:
"The problem is not from the Taliban side." "There is no interest of negotiations from the side of the foreign forces."
Die weitestgehend erfolgreiche militärische Operation in Marjah und die unmittelbar bevorstehende Großoffensive in Kandahar zusammen mit der noch für dieses Jahr angekündigten Operation im Norden Afghanistans dürfte in Pakistan die Sorge aufkommen lassen, ob sich der gewünschte Einfluss auf Afghanistan so umsetzen lässt, wie man sich das dort vorstellt. Es ist deshalb naheliegend, dass man in Pakistan nach einem "Plan B" sucht und diesen offenbar dort gefunden zu haben glaubt, wo die Alliierten keinen direkten Zugriff haben: In der politischen Führung der Taliban.

Insofern sind die Erfolge hinsichtlich der Festnahmen der jüngeren Vergangenheit zwar tatsächliche Erfolge, denn sie haben unmittelbar nachteilige Auswirkungen auf die Führungsstruktur. Fraglich ist jedoch, ob diese Erfolge nicht nur kurzfristig positive Auswirkungen haben und ob sie langfristig nicht zu einer sehr viel schwierigeren Situation führen könnten.

In den USA scheint man das ähnlich zu sehen. General David Petraeus sagte in einer Anhörung des Senats kürzlich:
"The going is likely to get harder before it gets easy... the enemy will fight back." "[the FATA is] al-Qaeda's principal sanctuary." "We are going to be a steadfast partner. We are not going to do to Pakistan what we've done before, such as Charlie Wilson's War."
[Update]:

Der frühere UN Sondergesandte für Afghanistan, Kai Eide, sagte auf die Frage hin, ob Pakistan die Gespräche mit den Taliban beenden wolle, um selbst die Kontrolle über den Prozess zu haben
"Ich denke, diese Interpretation ist wahrscheinlich richtig."

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