Wir erinnern uns? Da war neulich so ein armer Irrer in Emsdetten, der von irgendwo Schusswaffen her hatte, sich Bomben bastelte und dann seine ehemalige Schule heimsuchte, um Rache zu nehmen für das, was ihm dort angetan worden war. Das ganze ging groß durch die Presse und noch größer war die Erleichterung unter den Politikern, dass man auch hier die Schuld am "Amoklauf" gottseidank auf die "Killerspiele" abwälzen konnte.
Entsprechend entwickelte sich die Diskussion innerhalb kürzester Zeit, von den Medien auch wohl nicht ganz unbeabsichtigt so lanciert, weg von einer Diskussion darum, was Schule und Verantwortliche falsch gemacht hätten, warum die massenhaften Warnzeichen nicht beachtet worden waren. Weg von den systemischen Fehleren der Schule und des Bildungssystems hin zu der alles entscheidenden Frage: "Wie kann man Killerspiele aus dem Verkehr ziehen?"
Die These derer, die das Verbot fordern, lautet wie folgt: Weil diese Spiele Gewalt darstellen und als Mittel und Methode zur Lösung von Konflikten anbieten, schaffen sie eine Art Konditionierung. Diese Konditionierung wird von manchen nicht bewußt erkannt und führt so in bestimmten Situationen zum Amoklauf. Das Problem an dieser These: Sie ist weder bewiesen, noch ist sie unumstritten.
Sowohl in der Wissenschaft als auch unter den sogenannten "Normalbürgern" wird die Frage kontrovers diskutiert. Die einen sagen: "Wer solche Spiele spielt, ist ein potentieller Killer" und verweisen auf zwei oder drei Fälle aus Deutschland, in denen Amokläufer auch solche Spiele gespielt haben. Die anderen sagen das Gegenteil genaue Gegenteil und führen die schiere Masse an Spielern an, die nicht Amok laufen, obwohl sie sich zum Teil sehr exessiv mit solchen Spielen befassen.
Die Diskussion dreht sich schon lange nicht mehr um "Fakten" oder "Tatsachen". Es geht nicht darum, ob solche Spiele wirklich Auslöser oder Katalysator sind. Die Politik ist hilf- und ratlos, steht unter dem Druck der Wähler und muss handeln. Die Lobby dieser Spiele ist vermeintlich klein, der wirtschaftliche Einfluß scheinbar gering - ein Ideales Bauernopfer, mit dem sich ganz viel Aufmerksamkeit erreichen lässt: "Schaut her, wir haben uns in diesem umstrittenen Thema durchgesetzt und wir haben der Welt etwas Gutes getan! Wählt uns!"
Deshalb darf man auch nicht glauben, dass es Leuten wie Günther Beckstein, Bayerns Innenminister von der CSU, tatsächlich um das Lösen von Problemen ginge, wenn er fordert, den Paragraphen 131 StGB "leicht" zu verändern und auf solche Spiele anzuwenden. Es geht ihm nicht darum, dass das Problem als solches gelöst wird, weil das Problem nicht die Spiele und deren Spieler sind. Das Problem sind diejenigen, die vom System ignoriert werden, die sich selber als Opfer des Systems verstehen und irgendwann gegen das System rebellieren.
Warum wohl wird die Frage ignoriert, wieso die Amokläufer Waffen hatten? Wo hatten sie diese her? Warum wurden die deutlich erkennbaren Warnsignale über Jahre hinweg ignoriert, heruntergespielt? Warum konnte es überhaupt dazu kommen, dass die Amokläufer aus Erfurt und Emsdetten anfingen, ihre Gewaltfantasien in reale Pläne umzusetzen? Warum hat das System an der Stelle versagt? Diese Fragen zu stellen wäre richtig, nur die Antworten darauf zeigen in eine Richtung, vor der alle Politiker Angst haben.
Die Antwort lautet, dass unser System aus Erziehung und Bildung, Schule und Eltern, im Kern fehlerhaft ist. Dieses System, etabliert in einer anderen Zeit mit völlig anderen Eckdaten, passt nicht mehr auf die heutige Zeit und wohl auch nicht auf die Zukunft. Die Fehler mögen, jeder für sich, klein, unscheinbar und vielleicht auch unbedeutend sein, aber die Resultate sind gravierend. Es wird sich aber kein Politiker an dieses Thema herantrauen und das System Schule und den Zusammenhang mit den Arbeitswelt, der Familie und so weiter öffentlich hinterfragen, denn das wäre karrieretechnischer Selbstmord.
Also werden wir auch weiterhin fassungslos staunend beobachten, wie Politiker fern jeder Sachkenntnis an Symptomen herumlaborieren, die sie nicht verstehen, die nicht in ihre Welt passen und sich dann wundern, warum das am Ende alles nichts bringt. Schuld sind dann aber selbstverständlich "die Anderen", die "mutige Schritte" aus gänzlich eigensüchtigen Motiven verhindert hätten.
Ich frage mich, wie lange dieses Possenspiel noch funktionieren wird, denn dass der Kahn Wasser nimmt - und zwar im großen Stil - fällt immer mehr Leuten auf.
Dienstag, 5. Dezember 2006
1 Kommentar:
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ich fänds toll wenn du die alten artikel von dir zum thema des fehlerhaften schulsystems irgendwie da unterbringst. der artikel ist gut aber braucht weiterleitende infos:)
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