Samstag, 8. April 2006

Wortklauberei

NeukoellnWir wissen von den Medien, dass es da eine Gegend Namens "Neukölln" gibt. Mit zwei "l". Das ist ein Stadtteil in Berlin, und nicht etwa irgendwo in Nordrhein-Westfalen oder gar in Köln. Seit ein paar Tagen ist Neukölln in aller Munde, ganz besonders bei den Politikern und in den Medien ist Neukölln gerade ganz arg doll beliebt.

Wolfgang Schaeuble, CDU, BundesinnenministerUnd so kam es, dass Herr Schäuble von der CDU (er ist unser Innenminister des Bundes) nach der ganzen langen und unheimlich ergebnisorientierten Diskussion meinte, dass es in Großstädten besondere Probleme gibt.
"Es gibt bereits Slums in deutschen Großstädten",
so Schäuble. Zwar noch nicht ganze Stadtteile, aber doch schon Teile davon,
"etwa in Berlin-Neukölln oder in Hamburg-Billbrook".
Er schlußfolgert denn auch:
"Öffentliche Verwahrlosung ist der erste Schritt in eine Abwärtsspirale"
So, nachdem also zuerst die Schulen Schuld waren, dann die Politiker, dann die Eltern, die Medien, die Lehrer, die Gesellschaft und schließlich irgendwann sogar die Einwanderer selbst, sind jetzt also wohl für die nächste Runde die Städte Schuld.

Buschkowsky, SPDZumindest meint der Herr Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD) das so aus Herrn Schäubles Aussage herausgehört zu haben. Und das geht ja nun mal gar nicht! Entsprechend eloquent fällt seine Erwiderung aus:
"Das ist niveauloser Quatsch"
Er räumt zwar ein, dass es in Nord-Neukölln Tendenzen zur Bildung von Ghettos gäbe, aber Ghetto und Slum ist dann doch wohl ein himmelweiter Unterschied! Deshalb ist Schäubles Aussage in Bezug auf Neukölln ein
"Schlag ins Gesicht all derer, die in Nord-Neukölln leben und die sich darum bemühen, die Probleme des Viertels in den Griff zu bekommen".
So! Jetzt wissen wir Bescheid!

Ghetto in BerlinIm Lexikon steht übrigens, dass ein "Ghetto" (oder "Getto") ein Stadtviertel ist, in dem eine bestimmte Bevölkerungs- oder kulturell geprägte Gruppe in einer mehr oder weniger strengen Isolation zu leben gezwungen ist. Aber da steht auch, dass der Begriff "Ghetto" auch in einem nicht unumstrittenen übertragenen Sinne im Zusammenhang mit sozial desolaten Vierteln mit einem hohen Anteil afroamerikanischer oder hispanischer Bevölkerung in Städten der USA verwendet wird.

Slum in Sao PauloUnter "Slum" hingegen steht zu lesen, dass ein Slum ein verwahrloster, verfallener Teil einer Stadt ist. Im ursprünglichen Sinne des Wortes beschreibt der Begriff heruntergekommene Kernstadtgebiete, die oft vor dem Verfall von der Mittel- oder Oberschicht bewohnt wurden. Umgangssprachlich werden heute jedoch generell übervölkerte und verwahrloste Teile von Städten, die gewöhnlich von sehr armen Leuten bzw. städtischen Zuwanderern bewohnt werden, als Slum bezeichnet und damit die informellen Siedlungen, d.h. randstädtische Elendsviertel eingeschlossen. Charakteristisch sind eine heruntergekommene Bausubstanz und schlecht ausgebaute Infrastruktureinrichtungen.

Wenn man es ganz genau nimmt, streiten sich hier die Politiker darum, ob die Betroffenen unter Pest oder Cholera leiden. Unabhängig davon, welche Betrachtung im Detail nun wirklich "exakt" zutrifft: Ich für meinen Teil möchte weder in dem einen noch in dem anderen leben. Wenn man es ganz genau auslegt, dann hat Herr Schäuble vielleicht sogar noch den "besseren" Begriff gewählt, denn der ermöglicht immerhin noch den Anschein einer gewissen "Freiwilligkeit", während Herr Buschkowsky die Zwangsansiedlung im Elend zu bevorzugen scheint.

Was lernen wir daraus? Erstens: Es ist völlig egal was für ein Thema. Sobald man die Chance dazu hat, kloppt man sich am Besten um Begrifflichkeiten. Das hilft zwar nicht bei der Lösung des Problems, aber es verschafft Zeit, in der sich das Problem von selber lösen kann. Zweitens: Auch wenn es noch so zutreffend ist und wenn es auch noch so offenkundig ist: Man selber hat keine Probleme. Die haben immer nur "die anderen". Erst recht dann, wenn man zur Verantwortung gezogen werden könnte.

Ich bin gespannt, wann sich der erste Politiker aus Hamburg meldet.

(Quelle: AFP, N24, Freiepresse)

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