Freitag, 23. März 2018

Trau, Schau, Wem

Es ist eine zwingende Notwendigkeit, dass der Staat den Bürger schützt. Das ist eine seiner Kernaufgaben und letztendlich Rechtfertigung für seine Existenz. Um diesen Schutz gewährleisten zu können, gibt es Einrichtungen wie die Polizei. Es liegt in der Natur der Sache, dass auch vor der Polizei der Fortschritt nicht Halt macht, sogar nicht halt machen darf. Es kann nicht sein, dass die Polizei beispielsweise Straftaten im digitalen Raum nicht verfolgt, weil sie diese nicht verfolgen kann. Darüber dürften wir uns einig sein. Worüber es allerdings der Debatte bedarf, ist die Frage nach dem wie und wieviel.

Im südöstlichen Gebirgskönigreich (vulgo "Bayern") herrscht eine teils bemerkenswerte Einstellung in Bezug auf genau diese Fragen. Im bayerischen Landtag wurde die Tage mit Experten über Ideen und Vorstellungen diskutiert, was die Polizei dort in Zukunft alles dürfen solle. Soweit - so unspektakulär.

Hellhörig werden sollte man allerdings, wenn ausgewiesene Fachleute für Strafrecht wie Hartmut Wächtler sich dazu äußern. Der hatte 1973 den Unterstützer der RAF Ralf Pohle mitverteidigt, lehrt an Polizeischulen, war 30 Jahre lang Vorstandsmitglied der Initiative Bayerischer Strafverteidiger und gilt als kämpferischer "Spitzenanwalt". Über die geplanten Änderungen in Bayern sagte er, dass damit "die größte und umfassendste Kontrollkompetenz für eine Polizei in Deutschland seit dem Ende des Nationalsozialismus" geschaffen werden würde.

Nun kann man ja argumentieren, dass Herr Wächtler eh politisch links und dem Staat immer eher widerspenstig gegenübersteht. Aber es lohnt sich, genauer hinzusehen, was sich die im Odeonsplatz 3 in München residierenden Damen und Herren ausgedacht haben. Ich empfehle einen starken Drink.

Fangen wir ganz klein an. Bisher muss die Polizei bei ihrem Eingreifen gegen den Bürger eine "konkrete Gefahr" nachweisen. Das ist, obwohl ein juristischer Begriff, tatsächlich ziemlich genau das, was man vermutet. Irgendetwas droht sich konkret an. Egal wie groß oder klein die Folgen der Gefährdung, eine konkrete Gefahr ist Handlungsgrundlage. Das soll in Zukunft wegfallen, speziell bei solchen Bagatellen wie dem Post- und Telekommunikationsgeheimnis.

Konkret soll es in Bayern der Polizei erlaubt werden, bereits bei einer abstrakten Gefahr (vereinfacht: "es ist denkbar, dass eine ein Schaden eintritt", siehe zB. hier) sich über speziell dieses in Artikel 10 unserer Verfassung hinwegsetzen zu dürfen. Der Polizei sollen in solchen Fällen Zugriff auf Emails, Chatprotokolle, Facebookprofil, Computer, Handy, und Cloud gestattet werden. Große Datenbestände wie die bei Google oder Facebook oder Apple sollen für Rasterfahndungen genutzt werden.

Und jetzt kommts. Solche "Daten" dürfen durchsucht, gespeichert (kopiert), gelöscht und verändert (sic!) werden. Was nicht passt, wir passend gemacht, hm? Wem hier hin noch nicht der Helm brennt: Check mal Puls und Atmung.

Die Polizei soll bei Demonstrationen routinemäßig Systeme zur automatischen Gesichtserkennung einsetzen dürfen und die so gewonnenen Daten mit dem Bund und anderen Bundesländern "abgleichen". Mit anderen Worten: darf alles weitergeben, egal ob das nun zu einer Straftat gehört oder nicht. Ach ja: Natürlich ohne Richtervorbehalt und Informationspflicht oder gar Löschfristen oder sowas Nervigem.

Der Polizei in Bayern soll es zukünftig freistehen, Menschen präventiv als "Gefährder" zu kategorisieren. "Gefährder" ist ein juristischer Begriff, mit dem jemand beschrieben wird, von dem eine Gefahr (siehe "konkrete Gefahr") ausgeht. Solche "Gefährder" darf die Polizei zukünftig dazu zwingen, einen Wohnort nicht zu verlassen. Okay, das kennen wir im Prinzip. Neu ist aber, dass die Polizei anordnen darf, dass man den Wohnort zu wechseln hat. Ohne Richtervorbehalt. Ohne Verteidiger. Ohne Prozess.

"Sie ziehen jetzt um!" und zack, plötzlich wohnt man nicht mehr im von Investoren begehrten und pittoresken Häuschen im Münchener Szeneviertel, sondern irgendwo am Arsch der Welt. Dagegen kann man dann hinterher zwar klagen, aber bis das Gericht darüber urteilt gilt das, was die Polizei sagt. Und unsere Gerichte haben ja nichts zu tun, da ist mit entsprechenden Urteilen zügig zu rechnen...

Die Polizei darf in Bayern zukünftig heimlich Gespräche aufzeichnen oder Personen filmen und diese Daten auch mit anderen "Sicherheitsbehörden" austauschen dürfen. Zu "Sicherheitsbehörden" gehören übrigens auch Geheimdienste wie Verfassungsschutz, MAD, BND...

Der Einsatz verdeckter Ermittler soll ausgeweitet und die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz vereinfacht werden. Ausgeweitet werden soll der Einsatz "verdeckter Ermittler" auch auf das Netz. Der Polizei soll das Verwenden bewusst falscher bzw. erfundener Anwenderprofile gestattet werden. Auch hier: Ohne Richtervorbehalt. Ohne Kontrollinstanz. Ohne Prozess.

Die Auswertung von Erbgut ("DNA") soll erweitert werden. Bisher dürfen Forensiker in Deutschland nur das Geschlecht herauslesen und einen "genetischen Fingerabdruck" erstellen. Zukünftig soll die Polizei auch biologisches Alter, Haarfarbe, Hautfarbe und andere Merkmale auslesen. Dass diese Zuverlässigkeit der ausgelesenen Merkmale wissenschaftlich höchst umstritten ist, interessiert am Odeonsplatz allerdings niemanden. Es wundert dann kaum noch, dass DNA Spuren zeitlich unbefristet gespeichert werden dürfen. Auch wenn diese Spuren niemandem zugeordnet werden können.

Der Einsatz von Drohnen zur Ortung von Handys oder zum Auffinden vermisster Personen soll erlaubt werden. Oder anders: Drohnen sollen jeden suchen dürfen. Virtuelle Währungen sollen zukünftig wie "echtes" Geld sichergestellt oder beschlagnahmt werden dürfen, um "den wahren Eigentümer" zu ermitteln.

Übrigens: Der Bundesminister des Inneren, der für solcherlei Gesetzgebungen auf Bundesebene zuständig ist, kommt aus Bayern. Nur falls Du jetzt gerade dachtest "ach... Bayern... mir egal."

Noch 'n Drink?

Quelle: Heise, Nordbayern, SZ

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bedingt durch die DSGVO müssen Kommentare zu Beiträgen der Tapirherde manuell freigeschaltet werden, um um der Veröffentlichung von Spam-, Hass- oder sonstiger unerwünschten Kommentaren vorbeugen zu können. Die Veröffentlichung eines Kommentars kann deshalb ein wenig dauern. Sorry dafür.
Wenn Sie Beiträge auf Tapireherde kommentieren, werden die von Ihnen eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. die IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Weitere Infos dazu finden Sie in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.