Sonntag, 27. Februar 2011

Einkaufen (12)

Ich benötigte neues Fußkleid. So sah ich mich genötigt, hiesige Einzelhandelsniederlassungen mit entsprechendem Angebot aufzusuchen. Ansprechende Modelle zu finden war eine nicht unwesentlich herausfordernde Aufgabe. Wie so oft, die Tücke steckt im Detail: Nur weil eine Größenangabe auf dem Produkt vermerkt ist, bedeutet das nicht, dass diese irgendeinen Bezug zur Realität hat, oder sonst wie übergreifende Vergleiche innerhalb derselben Produktgruppe zulässt.

Ich fand nach kurzer Suche innerhalb nur weniger Viertelstunden tatsächlich etwas, das weder nach Bankerlatschen, noch "bei F**tlocker entliehen" aussah. Nur die Größe war ein Problem: Ich brauchte größere. Selber suchen war erfolglos und so hoffte ich auf kundigen Rat des anwesenden Verkaufspersonals. Mit den Modellen der Wahl in der Hand stiefelte ich durch die geheiligten Hallen des renommierten, alteingesessenen, deutschlandweit vertretenen Fußbekleidungsfachgeschäftes (nein, nicht Deich****) und suchte. Und suchte. Und suchte.

Schließlich gelang es mir, eine der Angestellten Einzelhandelsfachverkäuferinnen aufzuspüren und an der Flucht zu hindern. Ich konfrontierte sie mit meinem Anliegen und es begab sich folgende Mär.
Ich: "Guten Tag!"
Sie: "Guten Tag?"
Ich: "Ich suche Schuhe für mich. Haben Sie diese hier auch in meiner Größe? Diese hier sind zu klein, eine Nummer größer bräuchte ich."
Sie: "Da müssen Sie im Regal dort hinten" *deutet in den Raum hinter sich* "schauen, da stehen diese Größen."
Ich: "Dort war ich schon, aber die Regale sind völlig zerwühlt, ich finde da nichts."
Sie: "Ja dann haben wir die wohl nicht in Ihrer Größe." Dreht sich um, geht weg.
Mit dieser Information versuche ich mein Glück ein zweites Mal und suche mir kundgetane Quelle passenden Schuhwerks auf, in der Hoffnung, ein güldenes Lichtlien, oder wenigstens purer Zufall, würde mir die Objekte meiner Begierde offenbaren. Vergeblich. Statt des Gesuchten fand ich dort aber eine andere Fachverkäuferin, der ich mein Leid zu klagen gedachte.
Ich: "Guten Tag, können Sie mir helfen?"
Sie: "Was möchten Sie denn?"
Ich: "Ich suche diese Schuhe hier in meiner Größe."
Sie: "Ich mache hier nur sauber, da müssen Sie mal an der Kasse jemanden fragen." Und lässt mich stehen.
So wandere ich durch den Konsumtempel zur Kasse und warte geduldig, bis die vor mir dort Eingetroffenen die Früchte ihrer Suche und Kaufeslust erworben und an sich genommen haben. Ich bin fast an der Reihe, die Verkäuferin wendet sich mir bereits gewinnend, freundlich lächelnd zu, da spricht mich von rechts unten eine weibliche Stimme an, die aus der Gruft zu kommen scheint.
Sie: "Sie haben gefunden, was Sie suchen? Geben Sie mal her."
An den Schuhen in meiner Hand wird gezerrt.
Ich: "..äh... nein, das heißt, ja, im Prinzip schon, nur nicht in der richtigen Größe."
Ich suche nach dem Ursprung von Stimme und Zerren.
Sie: "Na, dann geben Sie mal her, ich mache das schon."
Verblüfft gebe ich dem Zerren nach und entdecke die Quelle der Stimme. Hinter mir steht eine ältere Dame, gut drei Köpfe kleiner als ich. Mit einem Blick, den ich freundlich mit "hasserfüllt" und "eiskalt" umschreibe. Sie starrt mich an. Verblüfft starre ich zurück, denn obwohl sie dort steht, durch ein lustiges blaues Plastikschildchen als eindeutig zum Fachgeschäft gehörend gekennzeichnet ist, vermisse ich vor allem eins: Meine Schuhe. Sie stemmt ihre Fäuste in die Hüften und starrt mich an. Ich starre zurück, nicht wissend, was Mann in solchen Situationen machen soll. Vielleicht füttern? Oder Stöckchen werfen? Oder auf den Boden legen und sich tot stellen? Die Stimme aus der Gruft trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn:
Sie: "Sonst noch was?"
Ich bin verblüfft, verneine und staune. Kannte ich die Dame? Sollte ich sie kennen? Aus einem früheren Leben vielleicht? Oder von einem anderen Einkauf?
Sie: "Dann machen Sie mal Platz da, die anderen müssen bezahlen."
Schiebt mich beiseite, in ein wie zufällig bereitstehendes Schuhregal. Ich lasse es geschehen, klettere wieder aus dem Regal und harre davor der Dinge, die da kommen mögen. Vor allem bin ich gespannt darauf, wo sie wohl meine Schuhe gelassen hat und wann sie sich auf die Suche nach der korrekten Größe machen will. Wie sie überhaupt die korrekte Größe in Erfahrung gebracht hat, kann ich mir nicht einmal ansatzweise erklären, aber ich vermute, sie hat "den Blick", den Fachverkäuferinnen in jahrelangen, schwierigen und schmerzhaften Trainingsstunden durch jene Geheimloge vermittelt bekommen, die zweifelsohne ihre schützende Hand über diesen überlebenswichtigen Zweig wirtschaftlichen Schaffens hält. Ich dachte an dunkle Tempelhallen, Räucherstäbchen, uralte Mönche und Mönchinnen, asiatische Kampfkunst und - zu meiner großen Überraschung - Bratkartoffeln.

So wartete ich und beobachtete jene ältere Dame, die sich mit einer rührenden Menschenverachtung um die Kundschaft kümmerte, hier anschnauzte, da herum schubste und dort aufkeimenden Protest niederstarrte. Anderen Menschen beim Einkaufen zuzusehen kann sehr erheiternd sein - wenn man ignoriert, dass man selbst ja nur auf Zeit von jener Hölle verschont bleibt.

Aus den Tiefen der heiligen Hallen des Schuhverkaufs tauchte eine andere Verkäuferin auf, deren Anblick mir die Sprache verschlägt. Jung, bildhübsch, elegant, freundlich, gut gelaunt... all das ist sie nicht. Olga, handlicher Formfaktor "T-72", rempelt sich mit der Eleganz eines wütenden Rhinozerosses durch die Kundschaft und jongliert mit drei Kartons und zwei Paar Schuhen. Mir dämmert, dass SIE es war, die an meinen Schuhen herumgezerrt haben musste. Ich stehe im Mittelpunkt der zweifelhaften Aufmerksamkeit dieses Pärchens. Olga hält mir wortlos den Stapel Kartons hin. Die Grabesstimme fauchte mich an:
"Da."
Ich griff zu. Olga klatschte zwei Paar Schuhe oben auf die Kartons und war verschwunden. Ein freundlicher Schubs beförderte mich weg vom Kassenbereich. Ich suchte mir einen Platz und begann das Gelieferte zu sichten.

Ich war mir völlig darüber im Klaren, dass ich nur mit einer nicht unbeträchtlichen Portion Glück die richtige Größe erwarten konnte. Womit ich aber nicht gerechnet hatte, war, dass ich nicht nur nicht die richtige Größe geliefert bekam, sondern auch noch völlig andere Modelle. Ich hätte mich ja nicht beschwert, wenn es statt brauner sagen wir mal schwarze Schuhe gewesen wären. Oder statt Sneaker eher andere modisch-sportliche Schnürschuhe. Auch war ich darauf vorbereitet, dass ich vielleicht mit anderen Kunden verwechselt werden würde. Immerhin war der Laden wirklich groß und es waren nicht eben wenige Kunden dort. Worauf ich aber nicht vorbereitet war, war das, was ich in Kartons verpackt in Händen hielt.

Oben auf dem Karton jene beiden Paar Schuhe, die mir zu klein waren, die mir jedoch gefielen. In den drei Kartons darunter fand ich in Reihenfolge des Öffnens: Einen einzelnen fluffigen, bunten Kinderhausschuh, zusammen mit einer albernen Damensandale Typ "girly from da hood", im nächsten eine hochhackige Damenwildlederstiefelette, in modischem kackbraun, mit 10 cm Absatz, Größe 36, zusammen mit einem groben Halbschuh Marke "Bob der Baumeister", Größe 48. Im dritten Karton schließlich fand ich außer zusammengeknülltem Papier nur gähnende Leere.

Ich war verwirrt. War dies ein Test? Oder waren mir Frau und Kind angedichtet worden, von denen ich nichts wusste? Nichts gegen Frauen, die hochhackige Schuhe tragen - ich bin auch nur Mann - aaaaber... wer um alles in der Welt trägt solche Sandalen? Und was sollte ich mit dem Elbkahn Größe 48? Ob ich meinen Sohn mit dem einzelnen Hausschuh begeistern könnte? Ein fluffiger Hausschuh wäre immerhin ein kreatives Mitbringsel, wenn auch eher nicht zu ihm passend - er steht eher nicht so sehr auf Bambi und bei der Größe war ich mir auch nicht so sicher. Fragen über Fragen.

Ich ging zurück zur Kasse und fand dort: Niemanden. Kein Aas. Weder Kunde, noch Personal. Ich kam mir irgendwie veralbert vor. Ich beschloss den Laden zu verlassen, drehte mich um und stand vor einer anderen, dritten, überraschend freundlichen Angestellten, die ihre Hilfe anbot. Ich nahm sie mit, stellte ihr das Schuh gewordene Problem vor und war gespannt. Sie ignorierte die Kartons und nahm sich die beiden nicht passenden Paare. Ich sagte ihr, dass diese Paare jeweils eine Nummer zu klein wären. Sie nickte wissend und ging wieder mit mir zur Kasse. Sie tippte ein wenig auf der Tastatur herum, bat mich um Geduld und entschwand in den Tiefen des Raumes. Gespannt auf was immer jetzt folgen sollte, harrte ich der Dinge.

In einer rekordverdächtig kurzen Zeit tauchte sie wieder auf. Mit vier Kartons. Ging mit mir zu einem anderen Stuhl, packte aus und - oh Wunder der Logistik - die richtigen Paare in größeren Größen hatten ihren Weg aus dem Lager zu mir gefunden. Die passende Größe wurde gefunden und ich entschied mich für das mir besser gefallende Paar. Bezahlen, Ware nebst Quittung in Empfang nehmen war eine Sache von wenigen - angenehmen - Augenblicken.

Ich verließ dieses Schuhgeschäft in dem Wissen, dass ich mal wieder erfolgreich Hauptdarsteller bei "Versteckte Kamera" geworden war und frage mich mal wieder, wo und wann diese Episode gesendet werden wird. Wer also was findet: Kurzer Hinweis an mich wäre toll.

9 Kommentare:

  1. Oh Gott! Wo warst du bitte?! Meine Schuhe fallen grade auseinander und ich muss mir neue kaufen! ICH WILL NICHT DA HIN WO DU WARST!!!

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  2. Wilhelmshaven, Nordseepassage... Mehr wird nicht verraten :-)

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  3. Gibt's in WHV noch was anderes für $Dinge als diese Nordseepassage? *wunder*

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  4. Habe soeben beschlossen,das ich unbedingt mal mit dir einkaufen gehen möchte.Mit Kamera und Popcorn in der Tasche!

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  5. Unmögliches Verhalten. Ganz so drastisch wie du es erlebt hast, konnte ich es noch nicht erleben. Ich meine allerdings, dass ich in deiner Situation keinesfalls so ruhig geblieben wäre und mein Problem nach der offensichtlichen "Verar******" mit den drei Kartons, mein Problem noch ein drittes Mal erklärt hätte. Ich bewundere dich für deine Ruhe.

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  6. Ich habe im Laufe der Jahre so viel Unmögliches beim Einkaufen erlebt, sowohl als Zuschauer als auch als Kunde, dass mich kaum noch irgend etwas aus der Ruhe bringt. Außerdem entstand im Laufe der Zeit auch eine gewisse Neugierde: Wie weit gehen die Leute? Was passiert noch alles? Gibt es Obergrenzen für Unfähigkeit, Unvermögen, Frechheit, Dummheit, Chaos, Arroganz im deutschen Einzelhandel? Schon diese Neugierde ist für mich genug Antrieb, hartnäckig und ruhig zu bleiben.

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  7. Das ist ja wirklich unglaublich =D!

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  8. Das kommt daher das nur noch schlecht ausgebildete 400€Kräfte eingestellt werden.
    Mein Ärgerniss als ausgebildete Einzelhandelskauffrau, denn ich kriege keinen Job, da es billigere Kräfte gibt.
    Aber wie immer sehr gut geschrieben =)

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  9. Die Schuhe haben nicht zufällig ein zum "geschwungenen Pluszeichen" stilisiertes "T" im Namen, oder? ;-)

    Herrlich - einfach nur herrlich. Das wäre Deiner Schilderung nach der perfekte Laden für den von Ed O'Neil gespielten Schuhverkäufer, glaube ich.

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