Montag, 1. März 2010

Drei Euro für die guten Sitten

Die Frage, wie viel Geld für geleistete Arbeit gezahlt werden muss, soll, kann oder darf, beschäftigt Menschen spätestens mit der Entdeckung der Aufgabenteilung und des Tauschhandels ("Deine 15 Nüsse sind nicht so viel Wert, wie meine 2 Kilo Hirschfleisch"). Irgendwann entdeckte die Menschheit die Sklaverei und bemerkte recht bald, dass das so irgendwie nicht ganz korrekt sein könnte. Leibeigenschaft und Sklaverei wurden verboten. Der Streit um die Frage, wie viel für eine geleistete Arbeit gezahlt wird, blieb bestehen. Bei uns in Deutschland entwickelte sich daraus in den letzten Jahren die Diskussion um einen gesetzlich verankerten Mindestlohn.

Der Frage nach dem Mindestlohn liegt vereinfacht formuliert die Überlegung zugrunde, dass es einem Menschen möglich sein muss, von seiner Arbeit zu (über-)leben. Ein nicht zu unterschätzender Streitpunkt ist dabei die Frage, welche Summe zum Leben notwendig ist und ob das Leben mit oder ohne Hilfe der Solidargemeinschaft gewährleistet werden müsste. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Leben für einen Arbeitnehmer ohne Hilfestellung dieser Solidargemeinschaft möglich sein muss.

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es Wirtschaftsbereiche gibt, in denen ein gesetzlicher Mindestlohn notwendig ist und hat daher entsprechende Grundlagen geschaffen. Über die Umsetzung dieser Grundlagen und deren Gestaltung darf man streiten, jedoch ist es bemerkenswert, wie weit die Ansichten über den Wert von Arbeit auseinander gehen. Natürlich sollte niemand erwarten, dass Vertreter der Wirtschaft in irgendeiner Form einem Mindestlohn begeistert zustimmen werden, denn Lohnkosten und Lohnnebenkosten machen einen hohen Teil der Kosten für Produktion und Vertrieb aus und Kosten zu senken und dadurch Gewinn zu steigern ist Kern wirtschaftlicher Tätigkeit. Was aber von Behördenvertretern, letztendlich also von Seiten des Staates zu dem Thema verbreitet wird, lässt aufhorchen.

Da nicht für jeden Wirtschaftssektor ein gesetzlicher Mindestlohn verankert wurde, wird die Zulässigkeit von gezahlten Löhnen über den Umweg der Sittenwidrigkeit geprüft. Die Bundesagentur für Arbeit (BA), Nürnberg, hatte bislang keine allgemeingültige Grenze dafür und führte deshalb eine ein. Grundsätzlich ist das eine gute Idee. Erstaunlich ist jedoch, welche Grenze eingeführt wurde und wie diese argumentiert wird. Eine Dienstanweisung der BA an die Arbeitsgemeinschaften (ARGE) besagt, dass diese gegen sittenwidrige Löhne für Hartz IV-Empfänger erst dann vorgehen sollen, wenn die Löhne "im Regelfall deutlich unter 3 Euro pro Stunde" liegen.
"Drei Euro wäre für mich immer die Grenze, wo ich sagen würde, hier fängt zumindest eine harte Prüfung an, ist das ein sittenwidriger Lohn oder ist es keiner."

Vorstand der BA, Heinrich Alt
Natürlich kann man dieser Ansicht sein, aber die BA ist eigentlich an geltendes Recht gebunden. Geltendes Recht ist gerade in diesem Bereich auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und das hat entschieden, dass ein immer dann Lohn sittenwidrig ist, wenn der Stundenlohn um ein Drittel unter dem Tariflohn bzw. unter dem ortsüblichen Lohn liegt. Oft ist diese Grenze schon bei Stundenlöhnen zwischen drei und sieben Euro erreicht. Darüber hinaus ist es bemerkenswert, dass der Vorstand der BA behauptet, dass bei einem Stundenlohn von drei Euro "geprüft" werden sollte, ob hier eine überhaupt Sittenwidrigkeit vorliegt.

Die BA setzt mit dieser Dienstanweisung ein Signal, das ich für sehr bedenklich halte. Nicht nur, dass die BA im Prinzip sagt "egal was in Tarifverträgen steht oder Gerichte urteilen, wir entscheiden das selbst", nein, die BA setzt die Grenze für Sittenwidrigkeit pauschal auf drei Euro. Das bedeutet für Arbeitgeber, dass sie sich mit dem Segen der BA an den Löhnen und Gehältern gütlich tun können, denn solange sie über diesen drei Euro bleiben, sind die Löhne ja hochoffiziell nicht sittenwidrig...

3 Kommentare:

  1. Mit stellen sich zwei einfache Fragen:

    1. Sind Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage, sich einer Gewerkschaft anzuschließen oder eine zu Gründen?

    2. Wieso macht keiner von seinem Recht Gebrauch, gerichtlich gegen sittenwidrige Löhne vorzugehen?


    Es kann doch wohl kaum allein daran festzumachen sein, dass ebendiese Leute, die von solchen sittenwidrigen Löhnen betroffen sind, so wenig Geld haben, dass sie sich nicht mal den Mindestbeitragssatz für eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft (und damit Anspruch auf Rechtsbeistand!) leisten können, oder?

    Davon abgesehen kann ich mir gut vorstellen, dass ein Betroffener angesichts solcher Äußerungen gerne mal das damit bedruckte Papier nehmen und Heinrich Alt ins Maul stopfen würde. Wer wie Alt so dermaßen abseits jeder Realität zu leben scheint, kann nicht ernstgenommen werden.

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  2. Zu 1. Sven, selbst Arbeitnehmer nehmen Gewerkschaften inzwischen als eher hinderlich, nervig und überwiegend störend wahr. Die für mich zuständigen Gewerkschaften fielen bisher insbesondere mir durch drei Aspekte auf: 1. Forderungen, die von profunder Ahnungslosigkeit und Fachfremde zeugen 2. Käuflichkeit und 3. "Von Euren Beiträgen finanzieren wir unserem Vorstand einen schönen Urlaub".

    Zu 2. Klag Dich als HartzIV-Empfänger mal durch arbeitsrechtliche Instanzen. Wünsche viel Vergnügen.

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  3. Vor allem weil man froh sein kann überhaupt einen Job zu bekommen ganz zu schweigen von echter Arbeit.
    Mein Tarif liegt auch bei 11 und ich bekomme 9 die Stunde. Von Familie ernähren kann da nicht die Rede sein.

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