Dienstag, 9. Februar 2010

Ansichtssache

Bei uns in Deutschland regt sich gerade wieder Unmut über die Armee. "Erniedrigende und herabwürdigende" Aufgaben würden Soldaten abverlangt, so der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe. Die Süddeutsche berichtet:
"Laut der Eingabe gibt es bei den Gebirgsjägern unter den Mannschaftsdienstgraden einen sogenannten "Hochzugkult". In diesen könne man erst nach drei Monaten als "Fux" und nach Absolvieren verschiedener Aufnahmerituale aufsteigen.

Dabei würden Soldaten gezwungen, erhebliche Mengen Alkohol zu trinken sowie rohe Schweineleber und Rollmöpse mit Frischhefe zu essen. Die Frischhefe bewirke, dass sich die Betroffenen innerhalb kürzester Zeit heftig übergeben müssten. Auch würden Soldaten gezwungen, sich vor Kletterübungen vor den versammelten Kameraden zu entkleiden."
Ein Soldat hatte sich über diese Praktiken beim Wehrbeauftragten beschwert und der erkannte eine "Angelegenheit von offenbar größerer Dimension". Die Sache müsse deshalb mit Nachdruck und Priorität verfolgt werden.

Zwar wird nicht so ganz klar, wieso die Süddeutsche von einem "neuen Fall von Missbrauch von Untergebenen" spricht, gleichzeitig aber einräumt "Vorgesetzte hätten davon Kenntnis gehabt, seien aber nicht eingeschritten", aber wahrscheinlich ist das, was Soldaten so anstellen, automatisch entweder Missbrauch von Untergebenen oder Kriegsverbrechen.

Ohne diese Vorgänge bei jener Einheit bewerten zu wollen: Intellektuell kann ich nachvollziehen, warum es solche "Rituale" gibt und welchem Zweck sie dienen. Rituale sind sogar unumgänglich und notwendig und jeder einzelne von uns hat ganz eigene Rituale im Alltag und Gruppen haben sie erstrecht. Wahrscheinlich werden sie aber doch meistens eine etwas andere Form haben als in der Eingabe beim Wehrbeauftragten beschrieben, wobei ich jetzt aber nicht darüber streiten möchte, ob ich die angeblich "harmlosen" Rituale mancher Karnevalsvereinigung denen jener Einheit der Gebirgsjäger vorziehen würde...

Egal wie. Ob man als Normalsterblicher die zugegebenermaßen rohe Form der hier in Rede stehenden Rituale beim Militär gutheißen kann oder darf oder muss, steht auf einem anderen Blatt und ist wohl auch sehr stark Ansichtssache. Wie unterschiedlich diese Ansicht ausfallen sein kann, sollen an dieser Stelle zwei heute mit Genehmigung der US Streitkräfte durch Reuters veröffentlichte Fotos zeigen (Hinweis: "explicit content"):

Reuters schreibt dazu:
A U.S. Marine drinks the blood of a cobra during a jungle survival exercise with the Thai Navy as part of the "Cobra Gold 2010" (CG10) joint military exercise at a military base in Chon Buri Province February 9, 2010. About 14,073 soldiers from six countries, Thailand, U.S. , Singapore Indonesia, Japan and South Korea are participating in the three-week military exercise.
Es mag uns erstaunen, aber die US-Bevölkerung regt sich über solche Bilder keinen Meter auf - von Tierschützern mal abgesehen.

Ob sich diese Einheit und deren Vorgesetzte jetzt auch dem Vorwurf des "entwürdigenden Verhaltens" und des "Missbrauchs Untergebener" ausgesetzt sehen?

6 Kommentare:

  1. Vielleicht sollte man sich auch in Sachen der Führung des Militärs nicht unbedingt die US Amerikaner als Vorbild nehmen. Dennoch hat es unsere Streitmacht nicht umsonst zu dem Ruf gebracht, dass sie eigentlich keine Armee in dem Sinne ist, sondern nur einen etwaigigen Feind an der Grenze aufhalten soll, bis richtiges Militär ankommt.
    Auch dieser Skandal (der oben erwähnte über die Misshandlung von Soldaten) ist nur als solcher Möglich, weil die bundesdeutsche Presse und ihre Leser für soetwas empfänglich ist. Man findet bestätigung in seiner ständigen Kritik und wie jeder weiß, brauchen wir (die Deutschen) in dieser Form ja eigentlich auch garkein Militär...Denn: Es gibt niemanden der Deutschland feindlich gesinnt sei...*Ironie aus*
    Uns fehlt da so einiges an Verständnis für Notwendigkeiten und kausale Zusammenhänge. Das liegt natürlich nicht daran, dass der Deutsche gegenüber anderen weniger intelligent ist, jedoch vielmehr daran, dass wir über Jahre immer mehr selbstständigkeit an unsere Regierenden abgegeben haben. Dabei auch die Bürde, uns eine Meinung zu bilden. Wer eine Meinung nötig hat bekommt diese für 60ct beim Springerverlag. Ferner haben wir es auch nichtmehr nötig zu differenzieren. In England ist man sehrwohl auch gegen den Krieg in Afghanistan. ABER man ist sehr stolz auf seine Soldaten, welche als Helden gefeiert werden. Merke: Die Soldaten führen jene Befehle aus, die sie geschworen haben zum Wohle des Vaterlandes (in unserem Fall Deutschland) auszuführen. Die Geschichten von SOldaten die in Afghanistan völlig berechtig (den Umständen nach) Menschen erschossen habe, dürften hinlänglich bekannt sein. Gerade auch die kleinen Details, wie zum Beispiel das ihnen bei der Verteidigung vor einem deutschen (Zivil-)Gericht teilweise nichteinmal ein Anwalt von Seiten der Bundeswehr gestellt wird. Ob das nun (fähige) junge Leute dazu motiviert ihr Leben einem Dienst für das Vaterland zu witmen mag ich an dieser Stelle gerne bezweifeln...

    PS: Bei McDonald läuft im Restaurant eigenen Fernsehprogramm, Werbung für die deutsche Polizei, nicht das dies etwas damit zutun haben würde...

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  2. Saufen bis zum erbrechen und Rollmops essen als Ritual?
    Die sollten mal an die Nordsee fahren...

    Spaß beiseite, strenge Rangordnungen in militärischen Einheiten, gerade in den Jägerverbänden haben auch meiner Meinung nach Ihre Daseinsberechtigung ob die Rekruten tatsächlich dazu gezwungen wurden wage ich zu bezweifeln.
    Bis auf die Nummer mit dem Entkleiden ne ziemlich harmlose Angelegenheit.

    Das aussenstehende mit sowas nichts anfangen können ist natürlich klar, wer nie in einer mil. Einheit gedient hat kann auch nur schwer
    nachvollziehen was "richtiger" Zusammenhalt bedeutet/ausmacht und welche "Methoden" Zusammenhalt fördern.

    Nichts desto trotz sollte man das nicht mit dem US.militär relativieren denn im Gegensatz zu denen kann sich ein Wehrdienstleistender
    nicht aussuchen in welcher Einheit er landet und was ihn dort erwartet, beim US Militär würde ich das als Berufsrisiko bezeichnen sich solchen
    Prozeduren unterziehen zu müssen.

    Freu mich schon auf den nächsten Skandal. Ich tippe auf überraschende rechte Tendenzen in militärischen Eliteeinheiten *lach*

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  3. Ich sage nicht, dass das Verhalten der US-Soldaten in diesem speziellen Aspekt ein Vorbild ist. Vielmehr ziehe ich das US-Militär in diesem Fall zum Vergleich von nahezu identischen Vorgängen und der Reaktion des Umfeldes darauf heran. Ich hätte auch Beispiele aus nahezu jeder anderen Armee der Welt suchen und finden können, jedoch waren die Bilder von Reuters halt gerade aktuell und verfügbar und zeigen deutlich, wie groß die Unterschiede in der Wahrnehmung und im Verständnis sind.

    Eine Bewertung der Rituale unterlasse ich mit voller Absicht, denn es geht mir nicht um das, was da passiert, sondern um die Reaktionen darauf und die Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen in der Öffentlichkeit. Gerade aus den Reaktionen und Darstellungen wird deutlich, wie groß die Diskrepanz in der Bewertung und Wahrnehmung der Soldaten in den eigenen Medien und in der eigenen Bevölkerung ist und über diese gravierend unterschiedlichen Aspekte sollte man nachdenken.

    @Basti: "(...) kann sich ein Wehrdienstleistender nicht aussuchen in welcher Einheit er landet und was ihn dort erwartet (...)"

    Im US-Militär kann man sich zwar durch seine Bewerbung weitestgehend aussuchen, ob man seinen Dienst beim Heer, der Marine oder der Luftwaffe leistet. In welcher Einheit man sich jedoch anfangs wiederfindet, das funktioniert im Prinzip genau so, wie bei uns: man kann sich auf freie Stellen bewerben etc. pp. Der Dienst in solch speziellen Einheiten, zu denen in der Bundeswehr auch die Gebirgsjäger gehören, ist freiwillig. Wichtig ist zu unterscheiden, dass es hier um "Gebirgsjäger" und nicht um die "Gebirgstruppe" geht. Erstere besteht aus freiwilligen Bewerbern, letztere kann Wehrdienstleistende enthalten.

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  4. Aber selbstverständlich gehören doch solche Trinkspielchen und Initiationsriten zum guten Ton einer jeden militärischen Einheit. Die Erniedrigung eines Neuankömmlings, das Aufgeben seiner Individualität und die Unterordnung unter den Gruppengeist sind doch essentielle Bestandteile einer jeglichen hierarchischen Struktur.

    Aber halt: Was wäre, wenn der Neuzugang im Chemielabor erstmal blind aus Reagenzgläsern trinken müßte, um dazuzugehören. Was wenn der Neuzugang in der Sparkasse erstmal sich im Kasssenraum nackt über den Schreibtisch legen müßte, um dann von jedem Angestellten mit dem Lineal den Hintern versohlt zu bekommen, nur um "dazuzugehören". Gehört das dann auch dazu? Wäre das dann auch typisches Verhalten für Labormäuse oder Bänker?

    Die Bundeswehr erwartet von Ihren Soldaten den mündigen Bürger in Uniform, eine Form der internen Kontrolle durch einen Angehörigen der Streitkräfte, der darüber wacht, daß das Grundgesetz nicht nur verteidigt, sondern auch gewahrt bleibt und der im Zweifelsfall entschlossen einschreitet. Einen staatliche Organisation, die losgelöst vom moralischen Empfinden der Bevölkerung schaltet und waltet hatten wir in Deutschland (im Gegensatz zur zitierten USA) nämlich schon, und so etwas möchte man ungerne wiederholen.

    In der Bundeswehr ist kein Platz für Soldaten, die solche Rituale pflegen, einführen oder ihnen Rückendeckung geben. Solche Soldaten gehören unverzüglich aus dem Dienst entfernt und gegebenenfalls noch disziplinarisch bestraft.

    Übrigens: Ich empfehle die Lektüre des gesamten Berichtes des Wehrbeauftragten, den es hier gibt:
    http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/122/1612200.pdf
    Auf SPON sollte man sich nicht verlassen, wenn es um Informationsbeschaffung und neutrale Berichterstattung geht.

    (Und bevor sich jetzt jemand fragt, welche linke Socke hier ihre Meinung von sich gibt: Ich war in der Bundeswehr, stehe zu ihrem Auftrag, aber nicht zu den Methoden, die im täglichen Alltag angewendet werden und in der Regel vor allem Ausdruck von Machtmißbrauch und nicht vorhandenem Selbstwertgefühl sind.)

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  5. Schon bezeichnend wie in diesem unseren Lande mit mehr als nur zweierlei Maß gemessen wird. Entgleisungen in der Truppe landen in der Presse und sind sofort ein Skandal, aber über Initiationsriten manch anderen Gewerks verliert niemand ein Wort, die werden sogar noch idealisiert. Ich denke nur an Äquatortaufe, oder das Hobeln, das Schleifen oder das Beißen oder das Gautschen oder oder oder. Die Liste ist lang und das Prozedere für das Opfer weder freiwillig noch angenehm und manchmal sogar teuer.

    Ich finde es gut, dass es soetwas wie den Bundeswehrbeauftragten gibt der sich um solche Entgleisungen kümmert. Ich finde es allerdings schlecht, wie sehr die Bevölkerung auf die einen (die Soldaten) mit dem Finger zeigt und sie wie Aussätzige behandelt, die Untaten der anderen aber entweder verklärt und romantisiert oder aber einfach ignoriert.

    P. aus S.

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  6. @Anonym: In dem Bericht des Bundeswehrbeauftragten (der ist von 2008) steht nichts über den hier in Rede stehenden Vorfall (der war 2010).

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