Donnerstag, 23. Oktober 2008

Handlungszwang

Wir vermuten oder wissen - je nach Interesse und Auseinandersetzung mit dem Thema - dass es eine globale Finanzkrise gibt. Wir haben gehört, dass die Bundesrepublik und die USA enorme Geldmengen in Bewegung gesetzt haben, um Banken und damit das Finanzwesen vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Vom Ausmaß der Probleme wurden viele vollkommen überrascht. Andererseits zeigte sich, dass die Regierungen das Problem schon irgendwie in den Griff bekommen würden und so hat wohl kaum jemand ernsthaft damit gerechnet, dass es plötzlich kein Geld mehr gäbe.

Ruhe und Gelassenheit machen sich wieder breit und obwohl immer wieder Katastrophenmeldungen aus dem Finanzmarkt über die Ticker wandern, macht sich kaum noch jemand einen Kopf darum. Sollen die Banken halt bluten, sagen sich viele, die haben schließlich genug Kohle gescheffelt. So setzt einerseits ein Selbstreinigungsprozess ein, andererseits findet aber auch eine Abkehr vom unregulierten, nahezu staatsfreien Bankenwesen statt. Die (Teil-)Verstaatlichung des Bankenwesens in den USA dürfte für die Befürworter des "reinen, unregulierten Kapitalismus" eine reichlich bittere Pille gewesen sein. Weitere Medikamente dieser Art werden wahrscheinlich noch folgen.

Während wir uns dieses Szenario mehr oder weniger interessiert anschauen, sind wir doch irgendwie ziemlich sicher, dass auch diese Krise irgendwie viel dramatischer aufgebauscht wurde als sie es tatsächlich war. Immerhin ist der Sprit jetzt so billig wie zuletzt 2006. Das ist doch was. Aber wer denkt schon daran, dass es auch ganz andere Staaten gibt, die mit dem aktuellen Problem des globalen Finanzsystems konfrontiert sind? Wie mag wohl Nigeria mit dem Problem umgehen? Wie der Sudan? Was macht wohl ein so stabiler Staat wie die Republik Kongo? Ob Sri Lanka wohl genug Geld hat, um die eigenen Banken zu stützen? Was passiert eigentlich, wenn Pakistan das Geld ausgeht?

Sicher sind die Probleme der meisten ärmeren Staaten brisant und nicht eben auf die leichte Schulter zu nehmen. Dennoch ragt aus dem Meer der Staaten mit ganz wenig Geld Pakistan wie ein Leuchtturm heraus. Warum gerade Pakistan?

Man stelle sich 150 Millionen Moslems in verschiedenen Stadien zwischen Extremisierung, Radikalisierung, Balkanisierung und Annäherung an den Westen vor, die permanent miteinander und den Nachbarn im Dauerstreit liegen. Die um ihr Überleben kämpfende Regierung (das ist durchaus wörtlich zu verstehen) in Karachi ist alles andere als stabil und hat mehr als nur einen mächtigen Feind im eigenen Land. Dazu gehört neben der Armee und der verarmten Bevölkerung aus den Vorstädten besonders der eigene Geheimdienst, der ohne jeden Skrupel mit jedem Feind kooperiert, der irgendwie erfolgversprechend scheint.

Da möchte man doch auch Regierungschef sein, oder? Es kommt aber noch besser. Diese Regierung über 150 Millionen Moslems ist auf den Druck des nicht-moslemischen Auslands (namentlich der USA und deren Alliierte) dazu gezwungen, im eigenen Land Krieg zu führen und das auch noch gegen die eigenen Leute. Die, gegen die da gekämpft wird, sind zwar beinharte militante Aufständische, die auch Ausländern gerne Platz, Ausbildung und Ausrüstung für allerlei Terrorismus in der Welt zukommen lassen, aber trotzdem: Es sind und bleiben die eigenen Leute, gegen die man da kämpft.

Und diesen Krieg führt man dort ausgerechnet mit einer Armee, die niemand als "zuverlässig" oder "erfolgsgewohnt" beschreiben möchte und deren Offiziere überwiegend nicht als "regierungsfreundlich" gelten. Toll oder? Damit das jetzt aber nicht zu langweilig wird (sozusagen das Sahnehäubchen), würzen wir die Mischung noch mit einer für die überwiegend verarmte Bevölkerung mörderischen Inflationsrate (im September 2008 lag sie bei rund 25%) und einer ganz weit auseinander klaffenden Einkommenschere und oben drein noch mit einer Erbfeindschaft zum unmittelbaren Nachbarn.

Bereits vor der aktuellen Finanzkrise ist die Börse in Karachi in wenigen Monaten auf ein Fünftel ihres ursprünglichen Kapitalvolumens eingebrochen. In der Folge sind Grundnahrungsmittel für weite Teile der Bevölkerung unbezahlbar teuer geworden und elektrische Energie gibt es in Pakistan im Prinzip sowieso nicht. Die Kirsche auf der Sahne sind jedoch die (je nach Quelle) 30 bis 70 einsatzbereiten Atomwaffen in der Hand dieses Staates, die man sich zugelegt hat, um den Erbfeind in Schach zu halten. Dieser Erbfeind ist natürlich Indien und auch dort hat man Atomwaffen. Und Indien findet Pakistan auch mäßig toll (lies: eher gar nicht). Besonders wegen der Kashmir-Frage haben sich Indien und Pakistan gar nicht lieb.

Diese lustige kleine Situation, die uns ja - glaubt man der perfekt informierten Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands - so "rein gar nichts" angeht, war bisher einfach nur instabil. Dank des Geldes aus dem Militär- und Entwicklungsbudget der USA konnte die Wirtschaft Pakistans wenigstens "irgendwie" funktionieren. Jetzt allerdings gibt es da ein Problem: Die USA sind gerade mal akut pleite.

Pakistan gehörte schon vorher zu den ziemlich gut verschuldeten Staaten. Dem Bruttoinlandsprodukt von über den Daumen 107 Milliarden US-Dollar steht eine laufende Auslandsverschuldung von über 40 Milliarden US-Dollar gegenüber, Tendenz deutlich steigend. Pakistan muss deshalb alleine 40% des Staatshaushaltes für die Tigung von Schulden und Zinsen aufwenden. Die Finanzkrise hat die Situation noch weiter verschärft und deshalb muss Pakistan spontan ein paar Säcke Bargeld ausgraben. Und das pronto.

Genau da liegt aber das Problem. Es geht zwar "nur" um die Kleinigkeit von rund drei Milliarden US-Dollar, die Pakistan innerhalb eines Monats zusätzlich auftreiben muss, um die laufenden Kreditraten des Staates begleichen zu können. Dazu kommen nochmal mindestens geschätzte 10 Milliarden US-Dollar für die nächsten zwei Jahre oben drauf. Zusätzlich zu den ohnehin schon notwendigen Finanzspritzen, damit die Bude nicht allen um die Ohren fliegt. Im Prinzip braucht Pakistan diese 13 Milliarden US-Dollar geschenkt, aber egal ob geschenkt oder nicht: Pakistan bekommt diese 13 Milliarden US-Dollar ums Verrecken nicht aufgetrieben.

Nun könnte man ja sagen "die Amis machen das schon", aber wie eben schon angemerkt gibt es da Probleme. Die Amerikaner haben gerade erst ein paar hundert Milliarden in das Grab des eigenen Imobiliensektors gekippt und es winken schon weitere, große und tiefe Löcher (Stichwort: Autokredite und Kreditkarten). Zusätzlich hat es da noch dieses kleine Problem der eigenen Staatsverschuldung, die Onkel George ein ganz klein wenig auf die Spitze getrieben hat. Es ist deshalb eher nicht damit zu rechnen, dass die USA "mal eben" 13 Milliarden US-Dollar in das Fiasko namens Pakistan abschreiben können, selbst wenn sie wollten.

Auch andere Länder, die Pakistan sonst gerne mal unter die Arme greifen, tun sich gerade etwas schwer damit. Sonst sind China und Saudi Arabien gerne die Ersten, wenn es um die finanzielle Unterstützung Pakistans geht. Saudi Arabien hat allerdings gerade wegen des kontinuierlich fallenden Ölpreises kalte Füße bekommen und China hat richtig Bammel davor die eigene Wirtschaft vor die Wand fahren zu sehen, sollte der Hauptexportpartner USA ausfallen. Aus dieser Richtung ist zur Zeit einfach kein Geld zu bekommen.

Sollte diese Krise nicht bewältigt werden können, wäre das das Ende der aktuellen Regierung, für die es allerdings in Pakistan zur Zeit keine Alternative gibt, sofern man nicht wieder das Militär an die Regierung lassen will. Das aus dem Sturz der Regierung entstehende Chaos hätte unkalkulierbare Folgen. Indien, das begründete Angst vor den pakistanischen Atombomben hat, könnte sich zum Beispiel zu irgendeiner "präventiven" Intervention genötigt sehen. Aber selbst wenn die Führung in Indien Ruhe bewahrt: Der Westen macht sich ja schon regelmäßig in die Hose, bloß weil der Iran möglicherweise irgendwann mal EINE Atombombe bauen könnte. Fällt die Regierung in Karachi, könnten den militanten Moslems gleich mehrere Atombomben samt Trägersystem und Infrastruktur auf dem Silbertablett frei Haus geliefert werden.

Selbst wenn das aus welchen Gründen auch immer verhindert werden könnte: Mit dem Sturz der Regierung würde der Kampf gegen die Terroristen in Pakistans FATA sofort zum Erliegen kommen. Gleichzeitig werden mit ziemlicher Sicherheit die Versorgungskorridors durch den pakistanischen Luftraum, über die die Nato-Truppen in Afghanistan versorgt werden, quasi über Nacht unbenutzbar, was zu weiteren erheblichen Problemen in Afghanistan führen wird. Das trifft sich besonders gut, steht doch gerade der Winter vor der Tür, von dem so ziemlich jeder dieses Jahr wegen der massiven Ernteausfälle in Afghanistan eine handfeste Hungersnot erwartet.

Trotz dieser Aussichten hat Pakistan eher gar keinen Bock darauf, die politische und wirtschaftliche Zukunft aus der Hand zu geben. Die Bereitschaft, sich zum Beispiel dem Internationalen Währungsfonds anzuvertrauen, ist denkbar gering, denn Unterstützung vom IWF wird in aller Regel mit drakonischen Bedingungen verknüpft. Für die pakistanische Führung wären das mit Sicherheit drastische Einsparungen, die der IWF ultimativ einfordern könnte. Das wiederum ginge aber zu Lasten genau derjenigen Fraktionen, die diese Regierung schon heute gar nicht leiden können: Die Armen, das Militär und der Geheimdienst.

Nicht ohne Grund hofft man in Pakistan, dass die dringend benötigte Finanzhilfe von einer Gruppe Staaten geleistet wird, die sich erst kürzlich unter dem Namen "Friends of Pakistan" zusammengetan hat. Diese Gruppe besteht aus Australien, China, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Kanada, der Türkei, den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten und zusätzlich den Vereinten Nationen und der Europäischen Union (jeweils als Organisation). Angesichts der Finanzlage aller beteiligten Staaten ist diese Hoffnung aber in der aktuellen Finanzkrise aber alles andere als eine Gewissheit.

Es steht insgesamt gar nicht gut um Pakistan. Ein völliger Zusammenbruch der Wirtschaft des Landes ist selbst mit der jetzt unmittelbar notwendigen Finanzspritze alles andere als unwahrscheinlich, sondern eher eine Frage der Zeit. Welche Folgen dieser Zusammenbruch für die Region hat, kann man sich gar nicht dramatisch genug ausmalen. Vor diesem Hintergrund bleibt der Staatengemeinschaft eigentlich gar nichts anderes übrig, als das Geld irgendwie aufzutreiben und dann darauf zu hoffen, dass irgendjemand diesen Moloch von Problemen irgendwie in den Griff bekommt.

2 Kommentare:

  1. sollte es zur krise kommen und womöglich sogar afghanistan durch die fehlende unterstüzung fallen würden die ölpreise ins unermessliche steigen. das zusammen mit der schwachen wirtschaft (weshalb ja die ölpreise überhaupt gesunken sind) würde eine handfeste wirtschaftskriese in allen berreichen nach sich ziehen.
    irgentwie schent das kartenhaus ein zu stürzen. -.-

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  2. Das Problem Finanzkrise per se ist ja schon ein dicker Würger. Aber ehrlich gestanden habe ich mich zwar mal gefragt, was so in den ganzen nicht-tollen-G8-Ländern passiert - an die 'Stans habe ich auch kein Bisschen gedacht. Was adger da recherchiert/gedacht hat wird nicht nur böse, sondern verheerend ausgehen.
    [Sarkasmus]Aber einen Vorteil hats: Endlich gehts dank Globalisierung mal allen ordentlich an die Substanz.[/Sarkasmus]

    Auch wenn ich das alles nur für eine Selbsttarierung des "Marktes", wer auch immer das sei, halte - es bleibt spannendst. Weniger toll ist allerdings die Tatsache, dass es global gesehen genau die am härtesten erwischt, die den Begriff Zinsen nichtmal kennen...

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