Samstag, 19. Januar 2008

Prüde sind immer andere

FilmWir Deutsche sind ein seltsames Völkchen. Einerseits machen wir uns darüber lustig, wie prüde andere, unserer Meinung nach besonders fortschrittliche Nationen sind. Vorne weg natürlich die US-Amerikaner, bei denen wir nicht müde werden, nach Macken und Unzulänglichkeiten zu suchen, über die wir uns dann lustig machen können. Das Land mit der höchsten Anzahl an Pornographischen Produktionen und der höchsten Dichte Konsumenten solcher Produkte ist gleichzeitig auch das Land, in dem das Thema Verhütung in vielen Regionen ein echtes Fremdwort ist.

Natürlich gibt es in solch einem Land auch strenge Gesetze zum Schutz der Jugend und natürlich werden hier besonders strenge Maßstäbe angelegt. Die Liste der weggepiepsten Wörter in den US-Medien ist so lang, dass sogar in immer mehr Songs der Hitparaden Lücken klaffen, damit die Jugend geschützt wird. Da wundert es doch kaum, wenn sich Eltern lautstark darüber beschweren, dass eine Altersfreigabe falsch erteilt worden ist, weil in dem Film bestimmte, den Eltern unangenehme Themen angesprochen werden. Oralsex zum Beispiel.

Da gehen also erwachsene Leute mit ihrem gut sechs Jahre alten Nachwuchs ins Kino und sehen sich einen Film an, der schon in der Beschreibung und Werbung deutlich erkennen lässt, dass er nicht für Kinder gemacht ist, sondern für Erwachsene. Oh Wunder: In dem Film, der sich - wie zu erwarten war - ausschließlich an Erwachsene richtet und Kinder im Alter von sechs Jahren mit ziemlicher Sicherheit tödlich langweilt, wird über Themen gesprochen, die Erwachsene verstehen, in einer Sprache, mit der Erwachsene etwas anfangen können, Kinder jedoch eher nicht. Und was passiert? Es geht, wie in nicht wenigen Filmen für Erwachsene, um Liebe. Liebe hat mit Sex zu tun und erfolgreicher Sex setzt nun mal voraus, dass man darüber spricht.

Und zack: Alarm! Die Kinder hören ein Wort und stellen zum Entsetzen der Eltern Fragen. Plötzlich müssen sich die Eltern mit ihren Kindern auseinandersetzen, müssen über Themen sprechen, von denen sie selber keine Ahnung haben, bei denen sie zugeben müssen, dermaßen verklemmt und prüde zu sein, dass es eine Wonne wäre, sie nur dabei zu beobachten. Und was machen diese Eltern? Sie tun das, was sie am besten können. Sie motzen.

Und nun kommts. Wir reden gar nicht von Amerikanern. Wir reden von Deutschen. Es geht tatsächlich um deutsche Eltern, die ihre sechsjährigen Blagen mit in einen deutschen Kinofilm schleppen. In "Keinohrhasen", um genau zu sein. Ein Film, in dem es um Liebe und Beziehungen und um Sex geht. Um nicht viel mehr, aber auch nicht viel weniger. Der Film ist gut, wirklich sehenswert, lustig und rundum gelungen. Ich habe ihn gesehen und kann ihn wirklich empfehlen, denn es macht Spaß diesen Film zu sehen. Aber für Kinder ist der wirklich nicht gemacht, auch wenn verblüffend viele Kinder darin vorkommen. Aber: Er hat die Altersfreigabe "ab 6". Und da manche Eltern eben nicht von 12 bis mittags denken können...

Jedenfalls haben die USK und der Macher des Films, Til Schweiger, jetzt derbe Stress am Hals, weil etlichen pädagogisch total verschatteten Laien-Eltern mal wieder langweilig ist. Die fragen allen ernstes, wie man einen Film für Kinder ab sechs Jahren freigeben kann, in dem der Hauptdarsteller von "einen Blasen" spricht. Über Oralverkehr sprechen! Und das auch noch öffentlich im Kino und auch noch mehrfach! Das geht doch so nicht und da müssen doch die Gerichte was tun, sowas gehört verboten!

Liebe Eltern. Bei allem Respekt für die von Euch erbrachte Leistung Nachwuchs in die Welt zu setzen: Ihr dürft und müsst Eure Gehirne auch nach der Geburt selber benutzen. Kinder haben in einer Romanze im Kino nichts verloren. Das war 1950 so, das war 1980 so und das ist auch 2008 nicht anders. Wenn Ihr Eure Blagen trotzdem mit ins Kino schleppt, obwohl ihr ganz genau wisst, dass Ihr nicht in einen Kinderfilm geht, weil ihr für den Babysitter zu geizig seid oder zu blöd dazu, die Beschreibung des Filmes zu lesen, dann beschwert Euch nicht bei anderen darüber, dass ihr zu dämlich dazu seid, alleine aus einem Busch zu winken, okay? So, und nun packt Eure Beschwerdezettelchen wieder ein, kauft Euch und Euren Kindern ein altersgerechtes Buch über das Thema Sexuelle Aufklärung und tut etwas Sinnvolles. Mehr Nachwuchs produzieren zum Beispiel.

Aber ich vermute, daran habt ihr gar keinen Spaß, weil Ihr vor lauter Prüderie ganz vergessen habt, dass Sex in erster Linie Spaß macht und nicht nur aus 38,4 Sekunden "rein-raus" besteht...

(Quelle: Süddeutsche Zeitung)

1 Kommentar:

  1. 38,4 Sekunden? Das hört sich erstmal nach "Aus den Fingern gesogen" an. Aber wie ich Dich kenne, steckt da irgend eine Studie hinter, von der Du den geneigten Lesern sogleich einen Link präsentieren wirst, oder? ;-)

    Zum Thema...

    Die Eltern, die sich darüber aufregen, gehören mit einer Sammlung aufklärender Bücher und Videos vom Ausmaß einer Enceclopedia Britannica geschlagen.

    Wenn ich als Kind Fragen gestellt habe, bekam ich passende, aber vor allem richtige Antworten. Ich wusste also sehr früh schon, woher die Babies wirklich kommen und dass das nichts mit Bienen und Blumen zu tun hatte. Dieses Wissen führte wiederum dazu, dass die Grundschullehrerin beim Elternabend zu wissen begehrte, ob meine Eltern mir Zugang zu "pornografischen Schriften" gewähren würden. Wohl weil es ja nun für ein Kind in meinem Alter (9 Jahre) nun absolut nicht angemessen gewesen sein konnte, darüber damals (1981) schon bescheid zu wissen. So viel zum Thema Prüderie.

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