Mittwoch, 6. Juni 2007

Objektiv einkaufen (1)

Manchmal ist es so, dass man einen Entschluss fasst und sich sagt "so, nu isses so", nur um ganz kurz darauf festzustellen, dass es wohl doch nur zum Teil so ist. In meinem Fall bedeutet das: Der angekündigte Urlaub und die Schreibpause wurden mir gründlich versaut - durch mehrere Umstände.

Erstens rückten mir mehrere Leser und Leserinnen derart liebevoll hartnäckig auf die Pelle, dass ich mich allen Ernstes zu fragen begann, ob es dort draußen vielleicht doch so eine Art Fanclub von mir gibt. Zweitens fand der gestrige Tag statt, der - die geschätzte Leserschaft wird es am Ende des folgenden Textes nachvollziehen können - für mich als einer der bedeutsameren in meine Geschichte einging und eindeutig für die Nachwelt festgehalten gehört.

Heiligendamm und Rostock sind zwar Themen, die die Republik zur Zeit im Kern berühren, deren Tragweite auch mir zu kommentieren nahegelegt wird, die jedoch mit Leichtigkeit überschattet werden von der Grausamkeit des deutschen Einzelhandels. Meine Leidensfähigkeit und Geduld wurden ja schon verschiedentlich auf die Probe gestellt und es gibt in der Tat inzwischen Läden, in denen ich nicht nur von Detektiven, sondern auch von anderem Personal neugierig beobachtet und verfolgt werde. Nicht etwa, weil ich potentiell alles klaue, was nicht niet- und nagelfest ist, sondern weil in meiner Umgebung gerne sehr eigenartige Dinge passieren.

Um den gestrigen Tag in seiner ganzen, schon fast epischen, Pracht verstehen zu können, muss ich etwas ausholen und vor einigen Wochen beginnen. Ich kam "damals" auf gleich zwei von den Göttern des Konsums gestiftete Ideen: Einerseits deuchte es mir, dass, in Anbetracht der sich auf meinen Festplatten in atemberaubender Geschwindigkeit ansammelnden Bildermassen, ich mir doch mal langsam einen DVD-Brenner zulegen sollte, der nicht etwa eine Scheibe pro Tag mit Daten befüllt, sondern diese Aufgabe mit etwas mehr Elan und Geschwindigkeit zu bewältigen in der Lage wäre. Auch hörte ich davon, dass es unterdessen möglich sein sollte, mithilfe diverser eigenartiger magischer Utensilien die schier unglaubliche Menge von grob geschätzt acht Gigabyte oder auch 14 Lkw-Ladungen Enzyklopädien aus dem Hause Brockhaus auf den schimmernden Datenträger zu bannen.

Muss ich haben. Nicht etwa nur, weil ich es haben muss, nein, es ist tatsächlich eine echte Notwendigkeit. Ich bin nahezu täglich mit meiner Kamera unterwegs. Jedes Mal, wenn mich die Fotolust überfällt, komme ich mit rund anderthalb Gigabyte Daten zurück. Wie für Fotografen üblich, neigt man nun nicht gerade dazu, alles zu behalten, aber wegwerfen? Bilder?! Eher zieht man in Erwägung, das eigene Erstgeborene zu verhökern, um für den Erlös größere Mengen anderer Datenspeicher einzukaufen. Inzwischen tummelt sich bei mir die Kleinigkeit von rund dreiunddreißigtausend Bildern auf der Festplatte. Diese sind zwar nicht alle brilliant oder genial oder auch nur annähernd toll, aber man weiß ja nie und man lernt ja auch an seinen misslungenen Schnappschüssen.

Ergo bestellte ich mir ein solches technisches Wunderwerk und sah damit potenziell alle meine BackUp Probleme gelöst (ja, ich weiß, mehrfache Datenspeicherung, Außer-Haus-Strategien und so weiter blah-blah und Raid ist doch soooo billig.) Zu dieser Anschaffung parallel schlich sich bei mir die Erkenntnis ein, dass manch höchst fotogenes Objekt sich leider am Arsch der Welt befindet und begierlicher Blick des Fotografen zwar in der Lage ist, die Schönheit und die romantischen Details zweier kopulierender Fischreiher zu erhaschen, die Kamera aber ums Verrecken nicht mehr auf den Sensor bringt, als zwei winzige Kleckse in grau auf einer grünen Fläche.

Weitwinkel haben wir ja, darum muss jetzt ein Tele her! Männlicher Zoom ist gefordert, und zwar pronto! So beschäftigte ich mich eingehend mit der Frage, welche technische Errungenschaft sich der aufstrebende Hobbyfotograf denn so zulegen will. Um eine lange Suche kurz zu machen: Unterhalb der Preisklasse "Kleinwagen, Einfamilienhäuser und kleinere mittelständische Unternehmen" gibt es nicht so besonders viel. Da ich nun mal irgendwann die bislang nicht bereute Entscheidung traf, mich mit Canon zu verheiraten, war die Auswahl sogar noch geringer. Im Endeffekt lief es nach vielen Vergleichen und noch sehr viel mehr Lesen auf ein Objektiv hinaus: Canon EF 70-300 IS USM.

Diese handliche, mit Glas wahrscheinlich lückenlos ausgefüllte Metallröhre, verspricht an meiner Kamera (Canon EOS 400d) eine Brennweite von bis zu 480 Millimetern (APSC-Sensor sei Dank), was einer theoretischen Vergrößerung von (über den Daumen gepeilt) Faktor 4-5 entspricht. Muss ich haben! Unbedingt! Das denkt sich sehr zu meinem Leidwesen aber wohl im Augenblick auch der Rest der Welt, darum ist dieses ca. 540 Euro teure Stück Technik zurzeit ums Verrecken nicht zu bekommen. Klar, dutzende Versandhändler preisen es an, werben mit Lieferzeiten von "wenigen Tagen", aber alles Humbug. Das Glas ist nicht lieferbar. Also suchte ich einen ortsansässigen Fachhändler auf und bat ihn, mich doch bitte zu informieren, sobald der Gegenstand meiner Begierde lieferbar sein sollte.

Gestern nun war eben jener denkwürdige Tag, den ich bereits zu unüblich früher Stunde mit einer ungewohnten Unruhe begann. Bereits um sechs Uhr hatte ich die dritte Tasse Kaffee hinter mir und die ersten 200 Monster (am Computer) erschlagen. Gegen neun Uhr spähte ich dem Lieferservice mit den gelben Autos hinterher, die um diese Uhrzeit die Expresslieferungen verteilten. Leider überall in der Nachbarschaft, aber nicht bei mir. Gegen 12 Uhr, inzwischen alle Webseiten der westlichen Welt abgesurft, starrte ich erneut dem Lieferanten mit dem gelben Auto hinterher, der mich wieder nicht mit meinem Konsumgut beglückt hatte.

Das Telefon klingelte just zu dieser Zeit und eine freundliche Dame am anderen Ende der Leitung gab sich als Mitarbeiterin der Zentrale des vorhin erwähnten Fotofachgeschäfts zu erkennen und freute sich überschwänglich mir mitteilen zu dürfen, dass mein Objektiv in einer der beiden Filialen in der Innenstadt lagere und meines Eintreffens harre. Freude! Freude! Ich beschloss, dass es doch nun so langsam an der Zeit sein könnte, sich anzuziehen, den Müll raus- und die Post rein zu bringen, damit man danach erfolgreich und unbelastet den Weg in die Stadt antreten könnte.

Nicht etwa, dass mein Briefkasten unter einer wahren Flut aus allerlei Werbemüll geradezu explodierte. Nicht nur, dass meine Tageszeitung, die abzubestellen ich seit Monaten hartnäckig vergesse, völlig zerfleddert halb aus dem Schacht hing, nein! Obenauf prangte die in anklagendem orange gehaltene Mitteilung des Lieferdienstes, dass man versucht hätte, mir ein Paket zuzustellen, ich aber mal wieder nicht zu Hause gewesen sei!

Bitte wo hat der geklingelt? Bei mir jedenfalls nicht. Vermutlich hatte die faule Sau einfach keinen Bock und hat nur die Karte in den Schacht gestopft und sich dann mit seiner Beute und unter Absingen obszöner Schandlieder wieder in seinen Kastenwagen verpisst, um so seinen Frust loszuwerden, oder was weiß ich. "Abholung: Heute, jedoch nicht vor 13 Uhr." Na wenigstens etwas, allerdings macht die hier ansässige Hausfrauenpost zu ziemlich exakt dieser Zeit zu und erlaubt erst wieder ab 14:30 Uhr Kundenverkehr - sofern denn irgendjemand so verzweifelt oder wahnsinnig genug ist, sich in selbige hineinzutrauen.

So wartete ich und suchte die Filiale mit den bezaubernden Mitarbeiterinnen auf, deren unvergleichliches Arbeitstempo und deren unbeschreibliche Gemütsruhe sich nur schwer anschaulich darstellen lassen. Den Lesern sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass man in der Zeit, in der dieses Personal einen Karton aus dem Lager heran holt, wahrscheinlich bequem ein Rind zeugen, großziehen, schlachten und häuten kann, um aus dem Leder diejenigen Schuhe zu fertigen, die man diesen Damen während ihres rasanten Umhereilens dann an den Fuß anpassen kann - ohne Gefahr zu laufen, dass Finger oder Werkzeug ernstlich Gefahr liefen, getreten zu werden.

Jedenfalls war ich der erste Kunde nach der Mittagspause und deshalb dauerte es vom Abgeben der Karte an die Mitarbeiterin bis zur Aushändigung des Kartons an mich "nur" knapp 15 Minuten, was für sich bereits einen neuen Geschwindigkeitsrekord darstellt. Allerdings werde ich nie verstehen, wieso zwei DVD-Laufwerke (eins für mich, eins für einen Bekannten) in einem Paket versendet werden, in einem Schiffscontainer großen Karton, mit den Kantenlängen 60 mal 80 mal 100 Zentimeter. Ich werde auch nie verstehen, warum in Innern dieses Kartons, umgeben von sehr viel Packpapier, ein weiterer Karton ruhte, in dessen Inneren wahre Unmengen Noppenfolie einen DRITTEN(!) Karton umgaben, in dem schließlich die beiden Laufwerke, sorgfältig eingehüllt in noch mehr Noppenfolie, ruhten.

Sei es drum. Ich eilte schließlich in die Stadt und meinem Objektiv und dem damit verbundenen Vergnügen entgegen - glaubte ich wenigstens. Mein Eintreffen in der City war entgegen aller Wahrscheinlichkeit völlig ereignislos. Keine dunklen Wolken, kein Krähenschwarm, der mich begleitete, keine Sonnenfinsternis und auch keine anderen bösen Omen. Es war sonnig, warm und eigentlich ein schöner Tag. So erreichte und betrat ich die mir genannte Filiale.

Wenn ich etwas aufmerksamer gewesen wäre, hätte ich an dieser Stelle etwas misstrauisch sein müssen und die Flucht ergriffen. Ich war nämlich völlig alleine in diesem Laden. Mit einer Verkäuferin, deren geschätztes Alter jenseits meiner Vorstellungskraft zu liegen schien. Jene bebrillte ältere Dame und ich sollten an diesem Nachmittag das wohl eigenartigste Verkaufsgespräch meines Lebens führen.

Freudig um Aufmerksamkeit heischend baute ich mich auf der dem Kunden zugedachten Seite des Tresens vor ihr auf und begrüßte sie mit einem freudigen "Guten Tag, sie haben mein Objektiv". Entgegen aller Wahrscheinlichkeit bestand ihre Reaktion nicht etwa darin, mich streng zu mustern und zur Ordnung zu rufen oder gar nach zu fragen, was ich denn wohl meinen könnte, nein. Ihre Reaktion bestand darin, mich überhaupt nicht zu bemerken und stattdessen weiter in irgendeinem Katalog zu blättern.

Ich versuchte es noch mal. "Hallo? Guten Tag? Ich hätte da mal eine Frage? ... Falls es ihnen gerade nichts ausmacht? Äh..." Ich wurde bemerkt. Ein Blick, der mich an alles erinnerte, nur nicht unbedingt an Intelligenz, suchte mich durch zwei Brillengläser zu fokussieren, was denn wohl auch irgendwann gelang. Ich teilte der Dame mit, dass ich angerufen worden sei und dass ich mein Objektiv hier abholen solle, gegen Bezahlung, selbstverständlich, und das ich eben deshalb jetzt hier sei. Es war der Dame deutlich anzusehen, dass sie das von mir eben Gesagte sorgfältig sortierte und in einen Kontext zu stellen versuchte, der irgendetwas mit ihr und ihrer Anwesenheit an diesem Ort zu tun haben mochte. Entsprechend war ihre Antwort: "Und?"

Ich schaltete zwei Gänge zurück und versuchte es erneut. "Es gibt von der Firma Canon Objektive, wissen sie?" Sie wusste. "Und da gibt es so ein 70 - 300 mm Telezoom." Ein recht sicheres "Ja" machte mich mutiger. "Und ihre Zentrale sagte mir, dass sie ein solches hier im Laden hätten. Das hätte ich jetzt gerne gekauft." Ich lächelte sie strahlend an. Meine Geduld mit der Menschheit wurde auf eine harte Probe gestellt, als mir die Dame antwortete: "Woher wissen die das?"

Innerlich platzte mir gerade der Kragen. Ich wollte sie anschreien und würgen und ihr Worte wie "zentrale Lagerhaltung", "EDV", "Warenwirtschaftssysteme" und so weiter an den Kopf werfen, besann mich aber anders und sagte stattdessen mit engelsgleicher Miene: "Das ist doch jetzt völlig egal, verkaufen sie mir doch bitte dieses Objektiv." Oma sah mich zweifelnd an. "Das würde ich ja gerne tun, aber ich weiß nicht, ob wir ein solches Objektiv haben."

Wäre ich in diesem Augenblick bewaffnet gewesen, ich hätte ohne zu zögern mit dem Morden und Brandschatzen begonnen. Die Vorsehung hielt es aber für Weise, mich auch an diesem Tage ohne Waffen und ohne Brandsätze unter die Menschheit zu schicken und so blieb der Lokalpresse ein Bericht über einen grausigen Ritualmord erspart. Inzwischen waren allerdings auch andere Kunden in den Laden gekommen und beobachteten unsere Unterhaltung mit zunehmend unverhohlenem Interesse.

Ich starrte die Verkäuferin an. Sie starrte zurück. Meine langsam anschwellenden Halsschlagadern und die deutlich hervortretenden Kaumuskeln gaben ihr offensichtlich den für ihr eigenes Überleben entscheidenden Hinweis, dass sie doch jetzt mal eben bitte in Schwung kommen möge. Sie informierte mich über ihr Vorhaben: "Ich... äh... werde mal nachschauen, ob wir das hier irgendwo haben" und so stoffelte sie von hinnen.

Nun ist diese Filiale nicht so endlos riesig und die Anzahl der Regale mit Canon-Artikeln ist auch einigermaßen überschaubar. Entsprechend zügig wanderte die Dame selbige Regale ab, warf hier und da einen oberflächlichen Blick auf eben jene Artikel und kehrte nach der erschöpfend intensiven Suche, die bestimmt ganze drei Minuten in Anspruch genommen hatte, wieder zu mir zurück. "Ja also das haben wir nicht." Mein Blick verschwamm und bekam einen deutlichen Rotstich. Ein gestammeltes "Ich... äh... kann aber auch noch mal eben im ...äh... Schaufenster nachschauen..." rettete sie über die nächsten Sekunden und ermöglichte ihr so die Flucht aus meinem unmittelbaren Explosionsradius.

Sie kehrte zurück. Sie hatte kein Objektiv dabei. Sie klärte mich auf: "Also im Schaufenster ist es auch nicht." Und dann tat sie, was mich mit absoluter Fassungslosigkeit völlig aus der Bahn warf: Sie drehte sich um und ging zu den anderen Kunden. Inzwischen ergötzten sich sieben zufällig zusammengetroffene Passantinnen und Passanten an dem sich zwischen mir und der Oma abwickelnden Schauspiel. Das waren ihr wahrscheinlich zu viele Zeugen, was ich durchaus verstand und deshalb auch meine Zustimmung fand, allerdings war ich es doch eher nicht gewohnt als Kunde, der mit beinahe 600 Euro Umsatz droht, kommentarlos zugunsten einer handvoll Leute stehen gelassen zu werden, die für zweifuffzig irgendwelche Bilder abholen wollen. Wahrscheinlich habe ich von Marktwirtschaft einfach keine Ahnung.

Jedenfalls befasste sich Oma mit den anderen Kunden. Sieben Stück harrten des sich androhenden Service. Der Leser kann jetzt raten, wie viele Kunden in einem Rutsch bedient wurden. Genau: Es waren exakt drei. Danach ließ Oma die verbleibenden Kunden, wie zuvor mich, kommentarlos stehen und kam zu mir zurück. "Kann ich ihnen denn sonst noch helfen?" Ein verräterisches Zucken meiner Gesichtsmuskulatur musste ihr verraten haben, dass die richtige Antwort "ja" lautete und dass sie besser sehr schnell selber auf die richtige Option kommen sollte.

Leider war ihr das nicht vergönnt und so gab ich ihr den entscheidenden Hinweis: "Rufen Sie in der Zentrale an." Die Idee fand sie gut. Begeistert angelte sie sich das Telefon und eine Zettelwirtschaft und aus dieser Kombination erzeugte sie, dicht über das Telefon gebeugt, im dritten Anlauf eine Verbindung mit einem Gesprächspartner. Das Telefonat verlief in etwa so:

"Guten Tage Herr X, hier Frau Y aus der Filiale Blahfasel. Können sie mir helfen, ich suche etwas?" kurze Pause "Ach sie sind unterwegs? Ja dann... aber wissen sie zufällig, ob wir ein bestimmtes Canon-Objektiv in irgendeiner Filiale...? Nicht? Ok, schade. Frau Schultz anrufen? Ja, mache ich, danke." Sie legte auf und begann mit dem intensiven Studium einer Namensliste, die auf einer DinA4 Seite exakt drei Spalten zu jeweils fünf Einträgen umfasste.

In diesen 15 Einträgen gelang es ihr in einer gefühlten halben Ewigkeit den seltenen und dort tatsächlich nur einmal vorhandenen Namen "Schultz" aufzufinden und die dazugehörige Telefonnummer abzulesen und in das Telefon einzutippen. Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, als Oma nach der zweiten Hälfte der gefühlten Ewigkeit auflegte und mich wissen ließ, dass dort gerade niemand ran ginge. Wie denn dieses Objektiv genau hieße, sie könne sich das ja schon mal notieren.

Ich sammelte mich. "Canon. EF 70-300 IS USM." Sie fing an zu schreiben: "70-300 IF U...." ich korrigierte sie: "IS. Mit ‚S' wie Siegfried. Das steht für 'stabilisiert'." Sie korrigierte und schrieb weiter "...SM" Ich wagte eine weitere Korrektur: "Vorne vor gehört ein ‚EF'." Sie quetschte davor ein "IF" "'E'! Wie Emil!" Sie sah mich hilflos an. "E?" Der Blick meiner blutunterlaufenen Augen, in denen Feuerräder tanzten schien sie misstrauisch zu machen. "JA! EF! Ehh-Eff! Emil-Friedrich. E! Wie Esstisch! Und danach ein Eff." Sie kritzelte. Irgendwie fand dann sogar die richtige Bezeichnung den Weg auf den Zettel.

Sie griff zum Telefon. Wählen, auflegen, neu wählen, wieder auflegen, Null für Amt vorweg wählen und schließlich doch tatsächlich die richtige Telefonnummer eingeben dauerte gar nicht so lange. Und was soll ich sagen, Frau Schultz ging sogar ans Telefon. Auch das nun folgende Gespräch artete in ein besonderes Erlebnis aus: "Hallo Frau Schultz. Ich suche ein Objektiv von Canon und zwar ein IF..." "EHHH!" schrie ich sie an. "EHH - EFF! Von Canon gibt ein kein Ih-Eff!!!" Sie blickte verwirrt auf. "Oh, EF höre ich gerade. Ja genau. Ein Objektiv von Canon. Und zwar ein 70-300 mm Objektiv mit IS USM. Ja genau. Ja. Ach das sehen sie im Rechner, dass es das gibt? Und das haben wir auch in verschiedenen Filialen? Das ist ja toll. Wer hat das denn noch alles? WIR? Nein, also WIR haben das nicht, ich habe da gerade schon ganz intensiv nach gesucht" - "Ja, 30 Sekunden lang" wollte ich hinzufügen - "das haben wir hier ganz bestimmt nicht. Ok, also Rostock, Schwerin und Hannover. Alles klar, vielen Dank."

Sie suchte die Nummern der entsprechenden Filialen heraus und - oh Wunder der Technik - schaffte es sogar, mit den entsprechenden Filialen Kontakt aufzunehmen. Um es kurz zu machen: Rostock hatte zwar ein solches Objektiv, hatte das aber nur Minuten vorher der Filiale in Hamburg zugesagt, wo ein Kunde ebenfalls dieses Objektiv haben wollte und deshalb jetzt keins mehr verfügbar. Ich begann Hamburg intensiv zu hassen. Hannover hatte auch keins und in Schwerin hatte man zwar eins, jedoch war das auf "unbestimmte Zeit" für einen Kunden "zurückgelegt". Wozu brauchen wir eigentlich den Osten?! ZUMACHEN und DICHTSCHEIßEN!! Ich war stinksauer.

Oma hatte erfolglos, oder auch erfolgreich, je nach Sichtweise, ihre Telefonliste abtelefoniert und sah mich fragend an. Ich beschloss, dass es jetzt an der Zeit wäre, eine Pause einzulegen, bevor ich dieses Geschäft der Liste der internationalen Kriegsschauplätze hinzufüge. Ich sagte zu ihr: "Finden sie doch mal bitte heraus, wie man an dieses Objektiv herankommt, ich gehe derweil ihre Mitbewerber besuchen und frage dort mal nach, ob die mir vielleicht solch ein Gerät verkaufen möchten." Ihre Antwort machte mich fassungslos: "Ja, das ist eine gute Idee, tun sie das mal."

So verließ ich den Laden. Ich wusste bereits, dass der Preis dieser Fachgeschäftskette nahe des günstigsten auch über das Internet recherchierbaren Preises rangierte. Ich wusste auch, dass man Objektive immer im Laden kaufen sollte, da es leider zu oft irgendwelche Probleme mit Objektiven gibt, die im Versandhandel zu einer dramatischen Verkürzung der Lebensspanne der Beteiligten führen können. Trotzdem suchte ich alle mir einfallenden Geschäfte auf, die irgendetwas mit Fotografieren zu tun hatten und versuchte dort mein Glück. Der nächste, noch halbwegs akzeptable Preis, der mir bei einem Fachgeschäft angeboten wurde, lag bei "nur noch" 570 Euro - bei ungewisser Lieferzeit.

So pilgerte ich denn eine gute Stunde später erneut zu oben erwähnter Filiale und begab mich in die zweite Runde - mit dem festen Vorhaben, dieses Stück Technik, wenn schon nicht jetzt mit nach Hause zu nehmen, so doch wenigstens verbindlich zu bestellen. Gesagt, getan. Oma wartete dort noch immer auf Kunden. Ich baute mich vor ihr auf und mit den freundlichen Worten "Da bin ich wieder..." und einem unschlagbaren Lächeln versuchte ich ihre Lethargie zu durchdringen, was denn auch scheinbar gelang: "Guten Tag, sie wünschen?" war ihre durchaus passende, ob der Vorgeschichte aber irgendwie seltsame Erwiderung.

Ich begnügte mich mit kurzen Hauptsätzen: "Das Objektiv. Vorhin. Wir hatten darüber gesprochen. Ist das aufgetaucht?" Mühsam versuchte sie sich zu erinnern: "Ach ja, sie waren ja schon mal da heute." In der Tat. "Ja, war ich. Wir sprachen über ein Objektiv. Von Canon. Erinnern sie sich?" "Ja, irgendwas sollten wir hier vorrätig haben." "Genau. Dieses Objektiv will ich bestellen." "Was denn? Jetzt?" "JA!" Oma begann mit einer hektischen Suche. Schließlich legte sie einen Block mit Bestellformularen vor sich, nahm einen Kugelschreiber und rückte sich die Brille zurecht.

Das Bestellformular war einfach aufgebaut und selbst mir, als nicht der Firma zugehörigem, war sofort klar, welche Teile des Formulars für was gedacht waren: Oben die Kundendaten (Name, Anschrift), in der Mitte die zu bestellenden Artikel und unten dann Unterschrift und Quittungsbeleg. Ich gab ihr meinen Personalausweis, in dem Wissen, das Abschreiben leichter ist, als etwas diktiert zu bekommen. Sie malte die Felder mit Buchstaben aus, die meinen Namen und meine Anschrift wiedergaben. Als es dann an den Artikel ging, wurde es kritisch. Vier Spalten wollten gefüllt werden. Zuerst die Anzahl, dann die Bestellnummer, dann die Artikelbezeichnung und schlussendlich der Preis.

Die Anzahl war leicht: Eins. Die Artikelnummer ließ sich dem Kassensystem entlocken, wenn man denn die Bezeichnung des Artikels kennt. Sie sah mich an: "Wie hieß das doch gleich?" "EF 70-300 IS USM. Canon." Sie tippte herum. Sie sah mich an. "Ich finde das nicht." Ich atmete tief durch. "E. Emil." Sie stutzte. "E?" "Ja. Eh-Eff." "Ach so...." Sie tippte weiter. "Ach da ist es ja." Sie schrieb sich die Bestellnummer ab. "Das ist ja was. Die Kasse meint, wir hätten so ein Objektiv hier im Laden...." Ich beschloss darauf nicht weiter einzugehen. "Ja, das kann schon sein. Ich möchte den Artikel gleich ganz bezahlen, damit ich das Objektiv dann nur noch abzuholen brauche."

Die Dame schrieb auf dem Bestellbogen weiter. Artikelbezeichnung: "Canon IF...." Ich schrie sie an. "EH EFF VERDAMMT NOCH MAL! MIT EH! Ich will ein Objektiv, keinen Drucker!" Das schien zu wirken. Plötzlich kam Leben in die Gestalt und die korrekte Artikelbezeichnung fand ihren Weg auf den Bestellbogen. Den Dritten inzwischen. Sie notierte den Preis: "5,39 Euro" Ich sah sie an. Sie sah mich an. Sie sah auf den Bogen. "Oh... haha. Da hab ich mich wohl etwas vertan. Haha." Bogen Nummer vier. Sie meisterte die Klippe mit dem "E" und auch der korrekte Preis fand seinen Weg auf den Bestellbogen. Auch meine Kundendaten blieben richtig und vollständig.

Die letzte Hürde: Das Bezahlen. Plastikgeld. Karte. Oma hantierte mit der Nummer des Quittungsbeleges, der Bestellnummer und meiner Karte herum und brauchte gestoppte acht Minuten, um alle drei so in die Kasse zu verfüttern, dass die wiederum verlangte, den Bestellbogen einzuführen, damit der Quittungsaufdruck erfolgen könne. Natürlich hatte Oma auch damit ihre liebe Not und natürlich landete der Aufdruck nicht nur an einer Stelle, an der er völlig unleserlich blieb, sondern auch auf dem Kopf stehend und auf der falschen Seite. Immerhin: Sie tackerte die Belege des Kartendruckers und der Kasse mit an den Durchschlag des Bestellbogens. Das dürfte bei der bald folgenden Abholung dieses Objektivs einige Diskussionen vermeiden helfen.

Ach ja: Nach diesem denkwürdigen Erlebnis ging ich mir ein Bügeleisen kaufen - mein altes war verreckt. Wisst ihr, nach welchen Kriterien ich das ausgesucht habe? Genau! Nach der Farbe. Wenigstens etwas, was auch Anhieb klappte und das, obwohl der Verkäufer vom Wäsche bügeln noch weniger Ahnung hatte als ich - und das will was heißen. Das Bügeleisen ist übrigens apricot-orangefarben und funktioniert tadellos.

14 Kommentare:

  1. Wie schon öfter macht mich die Freakshow, bei der du offenbar einzukaufen pflegst, fast sprachlos...aber damit du nicht wieder auf die Idee kommst, mit dem Schreiben aufzuhören, erwähne ich es hier mal.

    "Zumachen und Dichtscheissen" ist übrigens nen Quote wert :)

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  2. Und so einem Laden traust du dein Geld an? Bei deren Kompetenz bzw. der kompetenz der Frau hätte ich nicht im vorraus bezahlt.

    Aber schrecklich ging mir genau so als ich mich in einem HiFi geschäft nach einem SACD-Player erkundigte schaute mich der Verkäufer auch nur blöd an und meinte direkt das sie sowas nicht haben. Pech das die Player genau hinter ihm standen. :-/

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  3. wie kann man was gegen zuviel noppenfolie haben...

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  4. Geile Story. Aber ich finds krass, dass Du das Objektiv da trotzdem bestellt hast. Ich hätte auf die 30 EUR Preisunterschied gegenüber Mitbewerbern geschissen (und ich habs auch nie dicke) und hätte nie wieder nen Fuß in den Laden gesetzt - und das hätte ich die nette Fachverkaufskraft auch wissen lassen.

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  5. Komische Gegend in der du da wohnst. Zumindest was den Einzelhandel angeht. Kunden wie Verkäufer(!)

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  6. Juhu, der in Worte gefasste Altagswahnsinn ist zurück.
    Hab übrigens Bauschmerzen jetzt.

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  7. Selten so gelacht. Ich musste zwischendurch aufhören um mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen die mir das Weiterlesen deutlich erschwerten^^

    danke an ede fürs posten dieses links im u19-chan, hier schau ich jetzt öfter vorbei. Auch die Einkaufsgeschichten rul0rn wie s0w^^

    nur geil - auch wenn die Geschichte an sich eher erschreckend ist^^

    MfG

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  8. Ich gehe offensichtlich bei den falschen Läden einkaufen, ich weiss auch nicht.

    Sehr sehr gut und sehr schön geschrieben wie ich finde.

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  9. *hachja* Danke adger :-)

    1. "You made my day"
    2. Meine Gebete wurden erhört
    3. Sowieso das einzig wahre Blog hier :-)

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  10. Sehr amüsant! Sowas in der Art ist mir auch schon passiert. Aber beim Laptopkauf *g* Du hast mein Beileid! Gut erzählt :)

    Kleine Bitte.. Wäre super wenn du die Cirque-Bilder hochladen würdest. War ewig nicht da und gab sehr lustige Bilder mit mir, hätte die gerne mal gesehen! (Bin die Blonde mit den "engen" Lackklamotten, die heute noch Aua im Gesäß hat *ggg*)

    Grüßeli!

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  11. ROFL (Sorry) Hab mich verdammt gut amüsiert! Hut ab, daß Du Dich überhaupt noch in die Stadt traust ;)

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  12. frank scheint ein echter magnet für solches fachpersonal zu sein :)

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  13. juhu! "es schreibt wieder" :D
    ich muss mich jetzt auch mal als bekennender Tapirherde-Fan outen.
    Du machst mir jeden Arbeitstag erträglicher, und Dein "Urlaub" bescherte mir solche Entzugserscheinungen, daß ich Jhary angerufen hab, um zu fragen "was da denn los sei". ;) :P (Glückwunsch btw - mir war es nicht vergönnt)

    Ich bin jedenfalls extrem froh, daß Du wieder schreibst, auch wenn ich - zugegebenermaßen - ein wenig zu kommentarfaul bin, was aber daran liegt, daß ich erstmal ein bissel brauch, um Deine Texte zu verarbeiten und meine eigene Meinung dazu in Worte zu fassen. Dafür werden sie ausgiebig auf Arbeit diskutiert. ^^

    Nunja, schließlich konnte ich mich ja doch zu einem Post hinreißen und werde auch versuchen, weiterhin ordnungsgemäß zu kommentieren.
    Auf jeden Fall aber hast Du meinen vollen Respekt für den Blog und die entsprechenden Meinungsäußerungen.

    In diesem Sinne und auf baldige Kommentare (meinerseits),
    Gruß, ich
    (die K_me_Katze)

    :D

    PS: *jubel* endlich wieder vernüftigen Lesestoff

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  14. Jaja, die Service-Wüste Deutschland. Manchmal weiß man wirklich nicht, wieso manche Verkäufer/innen einem das Geldausgeben so schwer machen.

    Ich muss mich auch als ein Tapirherde-Leser outen. Da dein Schreibstyl göttlich ist und deine Weltanschauung fast immer mit meiner zusammenpasst, habe ich immer nur das Lesen genossen, aber nie einen Kommentar abgegeben.

    Also bitte weiterschreiben und falls Kommentare bei einem Blog erwünscht werden, sowas wie "Was hält meine Leserschaft davon?" oder so schreiben. Ansonsten will man den Leuten mit seinen (unqualifizierten?) Kommentaren nicht auf den Nerv gehen.

    P.S. Kennst Du die Mythen-Post? (Internetzeitung www.mythen-post.ch)

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