Samstag, 3. Februar 2007

Geschlossen 18-10 Uhr

Leere StrasseEinkaufen ist eins meiner Lieblingsthemen. Zwar nicht etwa deshalb, weil ich nicht weiß wohin mit meiner Kohle, sondern eher deshalb, weil "Konsum" in unserer modernen und aufgeklärten Gesellschaft eine Schlüsselkomponente des Lebens geworden ist. "Du bist was Du konsumierst - und zeigst."

In Deutschland galt es lange Zeit als unumstößliche Tatsache, dass Geschäfte frühestens morgens um 9:00 Uhr öffnen und spätestens um 18:30 oder 19:00 Uhr wieder schließen, Samstags sogar schon um 14:30 Uhr. "Neulich" kam es zu einer dramatischen Wende: Der Ladenschluß wurde "reformiert" und Geschäfte drften plötzlich früher öffnen und später schließen. Von 8:00 Uhr bis 20:00 Uhr durfte man plötzlich einkaufen, Samstags gar bis 18:00 Uhr. Theoretisch jedenfalls.

Theoretisch deshalb, weil sich zumindest hier kaum ein Laden fand, der sich dieser neuen Öffnungszeiten angenommen hätte. Stattdessen ging der Einzelhandel dazu über noch später zu öffnen - so ab 10:00 Uhr oder so und spätestens um 18:30 Uhr die Luken wieder dicht zu machen. In den lokalen Medien hieß es denn dann auch, dass die veränderten Ladenschlußzeiten vom Publikum nicht angenommen würden - Ach was? Wenn der Laden nicht offen ist, kann auch kein Kunde hingehen!

Interessant ist anzumerken, dass diejenigen Läden, die denn tatsächlich bis 20 Uhr offen haben, auch tatsächlich mehr als nur "den einen oder anderen Kunden" haben. In der Innenstadt, die hier eine Fußgängerzone ist, gibt es da natürlich ein kleines Problem: Wer fährt schon mit dem Wagen ins Parkhaus, wenn er etwa in die eine Botique in der City will, die bis 20 Uhr auf hat? Wohl keiner. Entsprechend stirbt die City aus, sobald die Läden zu machen. Der Zusammenhang ist klar erkennbar: Nicht die Läden machen zu, weil die Leute nach Hause gehen, sondern die Leute gehen nach Hause, weil sie aus den Läden rausgeworfen werden. Einkaufen würden sie auch länger.

Außerhalb der City in den Kaufhäusern mit breiter Angebotspalette zeigt sich das in aller Deutlichkeit. Aldi, Lidl, Aktiv und wie sie alle heißen haben bis 20 Uhr deutlich genug Kundschaft, die massiv für Umsatz sorgt. "Das Angebot nicht angenommen" kann da wohl nicht wirklich gelten.

Als dann kurz vor Weihnachten letztes Jahr die Debatte losging, den Ladenschluß endgültig zu kippen, war die Panik groß. Plötzlich stand nicht mehr nur im Raum, dass man ein oder zwei Stunden länger öffnen könnte, sondern sogar rund um die Uhr! Oh mein Gott! Kunde droht mit Umsatz! Aus reiner Neugierde fragte ich bei verschiedenen Geschäften nach, wann denn damit zu rechnen sei, dass auch dieser Laden seine Öffnungszeiten zum Beispiel bis 22 Uhr erweitern wird. Die Reaktionen waren erschreckend.

In fast allen Läden verkündete das Personal im Brustton der Überzeugung, dass das ja völliger Quatsch sei. "Wir machen sowas nicht mit" "Da streiken wir!" "22 Uhr? Ohne uns! Der Tag ist lang genug, sollen die doch morgens einkaufen!" - Feindbild Kunde? Ich hakte nach. Ob es denn nicht letztenendes um mehr Dienstleistung, mehr Service für den Kunden ginge und auch darum mehr Arbeitsplätze schaffen zu können? Immerhin bedeuten längere Öffnungszeiten auch zwangsläufig mehr Arbeitsstunden, die mit Personal abgedeckt werden müssen.

Die Reaktionen darauf waren - gelinde gesagt - entsetzlich. Von "Was interessieren mich die Arbeitslosen? Ich hab einen Job!" über "Service? Ich verkaufe hier, Service ist nicht unser Job!" bis hin zu "Wo sollen die Arbeitskräfte denn herkommen?" war alles an mehr oder weniger abenteuerlichen Antworten zu hören.

Einige Geschäftsführer und Filialleiter, die ich privat näher kenne, sprachen "hinter vorgehaltener Hand" völlig anders über das Thema: "Wenn es nach mir ginge hätte ich 24 Stunden am Tag auf. Kunden hätten wir mehr als genug, das sehen wir ja an den Städten, wo die Geschäfte lange offen haben. Aber die Mitarbeiter sperren sich." In der City kommen noch ganz andere Themen dazu: "Ich würde das machen, sofort, aber die anderen Geschäfte hier in der Innenstadt würden mir die Bude abfackeln, wenn ich aus der Linie der 'gewollten Geschäftspolitik' ausbreche. Die sehen alle nur ihre kurzfristigen Personalkosten. Längere Öffnungszeiten in der City? Nicht in dieser Stadt, bis das durch übermächtige Konkurrenten erzwungen wird."

Und einer dieser "übermächtigen Konkurrenten" war wohl das ECE, das hier errichtet werden sollte, wogegen massiv Druck aufgebaut wurde. "Das verschandelt die ganze Innenstadt." Aber auch: "Das ist Verschwendung von Steuergeldern." Bis hin zu: "Die Innenstadt verödet!" Die ersten beiden Argumente lasse ich mal unbewertet, aber der Punkt der Verödung ist mir gerade jetzt völlig klar.

Das ECE hätte genug politischen Druck erzeugen können, um längere Öffnungszeiten zu erzwingen. Das wiederum hätte die Belegschaft des Einzelhandels nicht mitmachen wollen und die Geschäftsführer hätten das Risiko der zusätzlichen Personalkosten etc. nicht tragen wollen. Im Resultat wären das ECE und ein paar große Läden noch lange nach Geschäftsschluß der kleinen Krauter offen gewesen, was für die kleinen Geschäfte natürlich langfristig das Ende wäre: Wer geht schon zu Läden, die eh ständig zu haben, während die Konkurrenz...?

So gesehen erstaunt mich die heutige Meldung von n-tv gar nicht, dass die längeren Öffnungszeiten auf wenig bis keine Resonanz stoßen. Ich bin mir sicher, dass es in vielen Städten hinter den Kulissen nicht sehr viel anders aussieht als hier: Eine etablierte Lobby sturer Kleinkrämer und unflexible Arbeitskräfte mit einem völlig gestörten Verständnis von "Service" und "Dienstleistung" blockieren die Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes Deutschland.

Ich kann sehr gut verstehen, warum unsere Wirtschaft nicht in Schwung kommt. Bei solchen kleingeistigen und kurzsichtigen Denkmustern kann das alles hier nichts werden. Oder warum wohl floriert der "rund um die Uhr" mögliche Versandhandel im Internet, während die "Brick and Mortar Stores" über alles gesehen immer mehr unter Umsatzrückgängen leiden?

1 Kommentar:

  1. Interessant wird es wenn man sich dann Ketten wie den Metro Konzern anguckt die zwar dann rund um die Uhr mitziehen würden, aber dafür vermutlich nur einen Mitarbeiter einstellen würden, wenn denn überhaupt.
    Die Angestellten reissen Überstunden ohne Ende und sollen dann auchnoch nachts? Da kann ich meine Mutter gut verstehen dass die DARAUF keine Lust hat.
    Ich würde mich allerdings persönlich sehr freuen nachts zu arbeiten an so einem neuen Arbeitsplatz. Oder einkaufen ... dann bräuchte ich tagsüber wenigstens nicht mehr wach sein.

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