Dienstag, 23. Januar 2007

Unschuldig?

Reichstag in BerlinEs geht ziemlich heiß her in Berlin, trotz der plötzlich stark gefallenen Temperaturen draußen. Es geht um Murat Kurnaz, um dessen Haft in Guantanamo und die Rolle der Regierung, speziell die des heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeiner. Kurnaz wurde im November 2001 in Pakistan festgenommen, Januar 2002 von den USA als "Feindlicher Kämpfer" eingestuft und von einem US-Häftlingslager in Afghanistan nach Guantanamo Bay gebracht.

Am 24. August 2006 kam er nach seiner Freilassung wieder nach Deutschland. Keiner der gegen Kurnaz erhobenen Vorwürfe konnte bewiesen werden und alle angestrengten Verfahren gegen ihn wurden eingestellt. Ein US-amerikanisches Bundesgericht stellte am 31. Januar 2005 fest, dass die Einstufung Murat Kurnaz' als ungesetzlicher Kombattant unbegründet und seine Inhaftierung rechtswidrig sei. Der deutsche Generalbundesanwalt stellte im Frühjahr 2002 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Kurnaz ein. Die Staatsanwaltschaft Bremen hatte das Ermittlungsverfahren Ende August 2006 nach der Rückkehr Kurnaz zunächst wieder aufgenommen und es mangels hinreichenden Tatverdachts wieder eingestellt. Kurnaz ist deshalb als unschuldig anzusehen.

Für berechtigte Verwirrung sorgt seit einigen Tagen die Aussage, dass die USA Kurnaz bereits 2002 wieder freilassen wollte, die Bundesregierung das jedoch irgendwie nicht so toll fand und vielmehr verhindern wollte, dass Kurnaz wieder nach Deutschland einreisen kann. Stattdessen sollte er in die Türkei abgeschoben werden, da er die türkische Staatsbürgerschaft hat. Um diese Vorgänge und die Rolle der Regierung gibt es jetzt ziemlichen Stress.

Die Regierungsvertreter um Steinmeier herum beharren auf der Feststellung, dass es kein offizielles Freilassungsangebot aus den USA gegeben hätte, sondern lediglich auf "geheimdienstlicher Arbeitsebene" entsprechende Überlegungen diskutiert worden seien. Das brisante daran ist, dass die Feststellung darüber, dass die Bundesregierung die Freilassung abgelehnt hat, vom CIA-Sonderausschuss des Europäischen Parlaments kommt.

Nun ist es ziemlich egal, was da im Detail für ein Hickhack abläuft, wer an wen welche Forderungen stellt und welche Namen und Einzelpersonen ins Rampenlicht gezerrt werden. Viel wichtiger ist, dass die Bundesregierung überhaupt einen juristisch erwiesenermaßen Unschuldigen wider besseren Wissens in der Haft eines anderen Staates belassen hat. Noch dazu in einer Haftanstalt, die aus Sicht der Menschenrechte mehr als umstritten ist.

Zwar werden sich die meisten sagen "der Kurnaz wird schon irgendwas ausgefressen haben" und deshalb unterstellen, dass dessen Haft "irgendwie seine Richtigkeit haben wird", aber so, wie es zur Zeit aussieht, hat er genau das eben nicht. Mit welcher Berechtigung blockiert dann die Bundesregierung dessen Freilassung? Angesichts der Routine, mit der das geschah, darf man sich durchaus fragen, ob der Fall Kurnaz der erste und einzige seiner Art ist, oder ob es da vielleicht doch eine längere Liste gibt, die unter dem Deckmantel der "nachrichtendienstlichen Geheimhaltung" vor der Öffentlichkeit versteckt wird.

Welches Interesse die Bundesregierung auch immer daran haben könnte, dass Menschen wie Kurnaz im Ausland inhaftiert bleiben: Es kann nicht rechtfertigen, dass die Regeln des Rechtsstaates umgangen werden, bloss weil jemand "unbequem" ist. Und genau das ist hier scheinbar geschehen. Die Zusammenarbeit mit der US-Regierung ging nicht nur weiter, als "Überflugrechte" zu gestatten, sondern man kann schon fast von einer aktiven Beteiligung sprechen. Viele Indizien weisen darauf hin und sogar US Geheimdienste hatten bereits darauf hingewiesen, dass auch Deutschland von den international umstrittenen Vorgängen im "Kampf gegen den Terror" profitiere.

In diesem Zusammenhang sollte man sich schon ein paar Gedanken darum machen, was gerade die Bundespolitiker mit den in der Verfassung garantierten Grundrechten so alles anstellen und ob man sich wirklich mit dem Mäntelchen des politischen Desinteresses in die Ecke setzen darf, oder ob es nicht vielleicht doch langsam mal an der Zeit wäre aufzuwachen und ein paar Fragen zu stellen. Zum Beispiel die, ob man als unschuldig gilt, weil man juristisch unschuldig ist oder ob man unschuldig ist, weil das politisch gewollt ist - oder eben nicht.

(Quelle: Tagesschau, N24, Wikipedia)

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