Mittwoch, 11. Oktober 2006

Bundeswehr, Politik und der Schutz des Innern

BundeswehrWir erinnern uns? Neulich war Fußball-WM. Und da haben wir zwar nicht den Titel geholt, aber wir haben was ganz anderes geschafft, nämlich ohne formaljuristisch eindeutige Absicherung und verfassungsrechtlich einwandfreie Erlaubnis die Bundeswehr im Inland eingesetzt. Da gab es schon das eine oder andere Streitgespräch drüber, aber "es ging ja alles gut" und darum wurde das Thema wieder zu den Akten gelegt. Sehr zur Freude der Politiker, denn eine Debatte um dieses Thema ist in Deutschland nicht ganz unproblematisch. Wir sind an der Stelle halt noch etwas sehr berührungsempfindlich.

Anfang des Jahres hieß es aus Richtung der Bundesregierung, dass wir uns hier in Deutschland auf Terroranschläge einstellen müssen, die mit kriegerischen Angriffen der Vergangenheit vergleichbar wären. Das jedenfalls sagte der Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am 12. Mai 2006 in Rostock. Bei einem Terrorangriff sollte es deshalb möglich sein, den Verteidigungsfall auszurufen, denn in Deutschland kann man nicht mehr zwischen "innerer" und "äußerer" Sicherheit unterscheiden.

Im klartext bedeutet das, dass die Bundeswehr in bestimmten Situationen den Auftrag bekommen soll, die Sicherheit im Innern der Bundesrepublik zu sichern. Das wiederum ist aber ausdrücklich das, was vom Grundgesetz ausgeschlossen wird. Der "Verteidigungsfall" (Artikel 115a bis 115l Grundgesetz) ist nämlich nicht nur irgendeine Maßnahme auf dem Papier, sondern hat sehr weitreichende Konsequenzen für jeden einzelnen.

Zu diesen Konsequenzen gehört u.a.: Die Befehlsgewalt über die Armee geht vom Verteidigungsminister auf den Bundeskanzler über. Der Bund erhält das Recht Gesetze für Belange zu erlassen, in denen sonst ausschließlich die Länder Gesetze erlassen dürfen. Enteignungen und Freiheitsentziehende Maßnahmen zuungunsten der Bürger können "vorläufig" geregelt und die Rechte des Bürgers eingeschränkt werden. Gesetze können vereinfacht beschlossen und verkündet werden und auch die Regelungen des Staatshaushalts und seiner Finanzen ist vollkommen anders. Die Wahlperioden von Landtagen, Bundestag, Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht verlängern sich unter Umständen.

Was genau die Bundeswehr wo wie tun soll und darf und was wie geregelt ist und so weiter, wird im sogenannten "Weißbuch" festgehalten. Die Bundesregierung wollte das neue und überarbeitete Weißbuch im Oktober oder November dieses Jahres veröffentlichen. Allerdings scheint es da doch noch ein paar Probleme zu geben.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, verkündete:
"Die SPD wird einem uneingeschränkten Einsatz der Bundeswehr im Inneren nicht zustimmen"
Damit widersprach er direkt der Aussage des Verteidigungsministers, wonach der Streit über diesen Punkt in der Regierungskoalition beigelegt worden sei. In der "Rheinischen Post" hatte der nämlich angekündigt, dass das neue Weißbuch über die deutsche Sicherheitspolitik auch den Einsatz der Streitkräfte im Innern enthalten werde, was in der Regierungskoalition abgestimmt worden sei.

Jung sagte auf Nachfrage:
"Dieses Weißbuch ist selbstverständlich innerhalb der Bundesregierung abgestimmt."
Nach seiner Meinung gibt es Situationen,
"in denen die Polizei nicht die Mittel hat, die Bevölkerung zu schützen, etwa bei Angriffen aus der Luft oder von See"
Nach seiner Aussage sei es Konsens innerhalb der Regierung, dass In solchen Fällen die Bundeswehr eingesetzt werden müsse. Genau diese Aussage weist die SPD jetzt allerdings zurück: Im begrenzten Bereich der Luft- und Seesicherheit sieht die SPD unter bestimmten Bedingungen Handlungsbedarf durch den Gesetzgeber, so Arnold. Allerdings gilt das nicht für Einsätze, die darüber hinausgehen, wie zum Beispiel der Schutz von Bahnhöfen und Flughäfen.
"Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei"
Wo stehen wir damit? Ganz am Anfang. Einerseits ist klar, dass der Terrorismus inzwischen zu Maßnahmen und Mitteln greift, die "früher" nicht denkbar waren. Es ist unbestritten, dass der Terrorismus inzwischen eine ausgeprägte, internationale, Dimension angenommen hat, die weit über das hinausgeht, was wir zum Beispiel mit Bader-Meinhoff und der RAF erfahren haben. Rechtfertigt aber ein Terroristischer Akt das Ausrufen des Verteidigungsfalles und damit die umfassende Einschränkung der Gültigkeit der durch die Verfassung garantierten Rechte? Ist es richtig der Bundeswehr, dem Militär, den Weg zu öffnen als Sicherheitsorgan im Innern zu fungieren? Ist es abwegig zu befürchten, dass diese Option mißbraucht werden könnte?

Wenn es einer Regierung nicht in den Kram passt durch Verfassung und andere Regelungen "eingeengt" zu werden oder wenn der Machtverlust durch bevorstehende Wahlen verhindert werden soll, wie unwahrscheinlich ist es da, dass entsprechend skrupellose Machtinhaber einen solchen Anschlag inszenieren, um dann den Verteidigungsfall auszurufen, um so an der Macht zu bleiben?

Angesichts der gerade laufenden Debatten um zum Beispiel die Politik von Tante Angie, der es nur noch um den eigenen Machterhalt gehen soll, oder der Diskussionen um die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik, aber auch die immer wieder aufkommenden Diskussionen um die vergrößerung der Handlungsmöglichkeiten der Politik gegenüber dem Unwissenden Bürger (Terroristendatei, Kameraüberwachung etc) stelle ich mir da doch einige Fragen. Unter anderem die, ob es nicht sinnvoll wäre, alles so zu lassen, wie es ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bedingt durch die DSGVO müssen Kommentare zu Beiträgen der Tapirherde manuell freigeschaltet werden, um um der Veröffentlichung von Spam-, Hass- oder sonstiger unerwünschten Kommentaren vorbeugen zu können. Die Veröffentlichung eines Kommentars kann deshalb ein wenig dauern. Sorry dafür.
Wenn Sie Beiträge auf Tapireherde kommentieren, werden die von Ihnen eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. die IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Weitere Infos dazu finden Sie in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.