Samstag, 17. Juni 2006

Einkaufen macht Spaß

BaeckereiIm Einzelhandel hat es das Personal nicht leicht: Immer freundlich, immer hilfsbereit, egal was für Spaten gerade ihren Frust loswerden müssen. Ich beneide die Leute wirklich nicht, die gerade an Samstagen oder vor Feiertagen der geballten Sozialkompetenz der Horden gefrusteter Konsumenten ausgesetzt sind. Trotzdem frage ich mich manchmal, ob das wirklich alles so ganz "zufällig" und "einseitig verschuldet" ist, wenn Kunde die Contenance verliert und Servicekraft sich einer verbalen Erwiderung in gehobener Lautstärke ausgesetzt sieht.

So auch gerade eben in einem Einzelhandel mit integrierten Subunternehmen gegenüber. Man will ja manchmal Brötchen und die gibts da in einem solchen "integrierten Subunternehmen": Bäckerei. Dort "arbeiten" drei Damen, die einerseits noch recht neu sind und andererseits eine... ich beschreibe es jetzt mal freundlich als "interessante motorische Gruppenkoordination" vorführen. Weniger freundliche Mitmenschen würden das vielleicht als "sich zu dritt andauernd im Weg stehen" bezeichnen. Sei es drum, denn normalerweise bekommt man was man haben will, bevor der Ladenschluß dem Variete ein vorübergehendes Ende setzt.

Ich wollte bloß vier Brötchen, aber ich war nicht der einzige mit Beschaffungswunsch. Es warteten "Karl-Heinz", Maurermeister, Anfang 40, mit dem Auftrag für seine Kolonne Brötchen ranzuschaffen, "Ingo", Grundschullehrer, Mitte 30 mit seinen putzigen Töchtern Lara-Carlotta (4) und Jessica-Sophie (5), "Horst", pensionierter Generalleutnant des Heeres (vermutlich Panzerpioniere oder sowas) und eben ich auf die Eröffnung der Vorstellung. Diese sollte beginnen, sobald Irmtraut ihre Diskussion über den mißlungenen Mürbeteigboden und die Option auf Bestellung eines industriell gefertigten Austauschproduktes zum nächsten Dienstag erfolgreich zum Abschluß gebracht hatten.

Damit die Wartezeit nicht so langweilig wird, beschäftigt sich eine Servicekraft mit dem Kampf gegen Bedienungsanleitung und Backofen, der um Aufmerksamkeit heischend vor sich hin fiept. Die zweite sortiert irgendwelche Papiertüten und Pappteller und so. Wichtige logistische Vorarbeiten eben. Die dritte kämpft gegen Stift und die nachlassende Erinnerung an die Deutsche Sprache und verbringt aufreizend viel Zeit damit, die Bestellung von Irmtraut im "Bestellbuch" (einem ca. zehnseitigen Notizblock aus abgefallenen Etiketten) festzuhalten.

Karl-Heinz fühlt sich offenbar in Stimmung auf sich und das Problem der hungrigen Kollegen aufmerksam zu machen und fragt freundlich nach:
"Entschuldigung? Hallo?"
Das ist ihm sichtlich peinlich, denn seine gut 140 Kilo tippeln verlegen hin und her. Ein unwirsches
"Momääänt!"
bremst sein hoffnungsfrohes Streben. Lara-Carlotta und Jessica-Sophie nutzen die Zeit, um Ingos Einkauf mehrfach zu sortieren und Kaufmannsladen zu spielen. Sie versuchen - erfolglos - erst mir und dann Horst ein paar Lutscher zum unschlagbar günstigen Kurs von 5 Euro anzudrehen.

Der Ofen fiept noch immer, der Block wird hektisch hin und her geblättert und die Stapel aus Papptellern und Papiertüten erinnerten an die Türme von Hanoi in Extremzeitlupe. Karl-Heinz und seine Geduld liegen in hartem Zweikampf. Sein vorwitziges "Hallo?" wird mit vollkommener Ignoranz belohnt. Horst fängt an zu brummeln:
"Damals..." "...beim Bund..." "...Zucht und Ordnung..."
Ingo nimmt das als Aufforderung, um aus dem Stand mit Horst eine Diskussion über Autorität zu beginnen, während Lara-Carlotta herausfindet, dass man die Inhalte der Einkaufswagen ja auch untereinander austauschen kann. Sofort beginnt sie damit, fleißig den Einkauf von Horst und Ingo umzuverteilen. Jessica-Sophie hält das für eine hervorragende Idee und erweitert die logistische Traumparade um den Einkauf von Karl-Heinz.

Ich ahne, dass es bald sehr lustig werden wird und stelle mich etwas abseits. Ungefähr in diesem Augenblick geben die Brötchen im Ofen die ersten etwas dunkleren Signalfahnen ab und so zu verstehen, dass es jetzt mal langsam an der Zeit wäre, den Ofen zu öffnen. Oder wenigstens abzuschalten. Aber hektisches Blättern in Band 5 der enzyklopädischen Betriebsanleitung für moderne Backöfen deutetet an, dass das wohl noch ein klein wenig dauern wird. Die Türme von Hanoi wechseln weiter ihre Plätze.

Karl-Heinz gibt den Kampf gegen seine Geduld auf und weist deutlich darauf hin:
"Haben sie es bald? Ich hab heute noch was vor!"
Empörte Blicke. Also wirklich. Wie kann er es wagen? Lara-Carlotta nutzt die Chance und tauscht den Korn von Horst gegen den Brennspiritus von Karl-Heinz aus. Horst und Ingo sind in ihrer Debatte inzwischen nahe der Bismarckschen Rentenreform angekommen und wiegen beherzt das Pro und Contra autoritärer Erziehung gegen einander ab, als Jessica-Sophie mit der Handhabung der vier Joghurtgläser Probleme bekommt und im Elfmeterschießen gegen die Schwerkraft mit vier zu null unterliegt.

Schweigen. Totenstille. Keiner sagt ein Wort. Ein laaaanger mahnender Blick von Ingo, süffisantes Grinsen von Horst. Leicht verbrannter Geruch schwelt durch den Raum. Hilfloses, schneller werdendes Fiepen eines verzweifelten Ofens. Ein Notizblock wird weggelegt.

In diese Stille hinein erschallt die strahlende Frage:
"Und wer möchte jetzt bedient werden?"
Vor Ausbruch kriegerischer Handlungen verlasse ich den Laden. Schließlich hab ich noch Toast zu Hause und Jhary will ja auch geweckt werden. Kaum auf der Straße höre ich den lieblichen Barriton von Karl-Heinz über den Geräuschpegel des Straßenverkehrs hinweg und durch die geschlossene Tür hindurch:
"Es ist mir scheiss egal ob dein Blag spielen will, ich will sofort meinen Schinken wieder haben du Kackschaft!"
Während Horst - nur unwesentlich Tonlage und Lautstärke variierend - vernehmen lässt:
"Waren sie nie beim Bund? Können Sie auf ihre Sippe nicht aufpassen? Wollen sie mich vergiften? Mit Spiritus? Das wird Konsequenzen haben, Freundchen."
Begleitet vom lieblichen Kreischen unbestimmt vieler Frauen- und Mädchenstimmen, untermalt von einer malerischen "zu spät" Sirene des Backofens, beschließe ich diesen Samstag zum offiziellen Feiertag der Verkäufer zu erklären.

6 Kommentare:

  1. vorzeitig abhauen, nene, das ist wie ein buch wo die letzte seite fehlt

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  2. Alter! CSD! Alkohol will vernichtet werden! Da muss man Prioritäten setzen!

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  3. JAAAAAAAAA !!!!!!!

    OMG, ich habe inzwischen Schwielen am Rücken, weil ich mich vor Lachen die ganze Zeit am Boden wälze !

    Bittttteeee : NICHT aufhören ( und Jhary langsam mit Kaffee wecken )

    Erbitte die Fortsetzung !

    *gröööööhlll*

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  4. Eine Fortsetzung hängt nicht von mir ab!

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  5. seeeehr schön ! :) wenn nicht sogar TRAUMHAFT !

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  6. Weltklasse! Ein wirklich schöner Wochenanfang...

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