Donnerstag, 23. März 2006

Eine Frage der Überzeugung

Was unterscheidet diese Bilder:
Smash Svastika Recycle Fascism Blumentoepfe gegen Neonazi

Faust gegen Hakenkreuz antifa demo koeln
von diesem:
Verbot Hakenkreuz


Ist doch klar: Letzteres kann ein Verfahren wegen Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen (§86a Strafgesetzbuch) in Tübingen (Baden-Würtemberg) nach sich ziehen. Es kann auch dazu führen, dass Firmen durchsucht werden und Material beschlagnahmt wird. Die Verwendung dieses Symbols ist - kurz gesagt - riskant.

Worum geht es? Die Verwendung von Symbolen des NS-Regimes zu Propagandazwecken ist völlig zu Recht verboten. Eine Debatte darüber ist überflüssig. Die umgangssprachlich "Neo-Faschos" / "Neo-Nazis" genannten Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts sehen das anders und suchen nach Kräften Wege, dieses Verbot zu umgehen ("Victory mit 'W' - sowas bescheuertes!"). Als Gegenpol zur "rechten" gibt eine "linke" Bewegung, die sogenannte "Antifa".

Man mag sich über das Vorgehen der Antifa streiten, man kann auch ohne Zweifel einige der Ziele sehr fragwürdig nennen. Das Bestreben jedoch aktiv etwas gegen das Wiedererstarken der nationalsozialistischen Kräfte zu tun, kann nicht hoch genug angerechnet werden. Und so genießt die Antifa mehr oder wenige große Popularität und die Anhänger benutzen bestimmte Symbole, um ihre Überzeugung nach Außen zu zeigen. Siehe oben. Machen die Rechten ja auch.

Das empfindet man in Baden-Würtemberg wohl völlig anders, denn dort zog sich über zehn Monate ein Prozeß hin. Einem 22jährigen wurde wegen eines knapp drei Zentimeter großen Ansteckers mit dem durchgestrichenen Hakenkreuz, den er am 1. Mai 2005 an seinem Rucksack hatte, wegen Verstoßes gegen §82a StGB der Prozeß gemacht. Zunächst wurde gegen den jungen Mann ein Strafbefehl in Höhe von 200 Euro erlassen. Gegen diesen ging der Mann vor Gericht. In erster Instanz wurde entschieden, dass 200 Euro zu viel sei, das Symbol als solches aber nicht eindeutig als Symbol des Antifaschismus zu erkennen sei. Das Amtsgericht Tübingen schloß sich der Argumentation der Staatsanwaltschaft Tübingen an und schlußfolgerte, dass ein japanischer Tourist in diesem Symbol ausschließlich das NS-Zeichen wahrnehmen würde.

Ja nee, is klar. Ist ja offensichtlich. Springt einen quasi an diese Erkenntnis. Jetzt mal im Ernst: Nicht nur ich bin der Meinung, dass das etwas an den Haaren herbei gezogen ist, denn im asiatischen Raum und damit auch in Japan hat die Swastika nicht zwangsläufig dieselbe Bedeutung wie wir sie in Deutschland meinen international diktieren zu können.

Das Verfahren gegen den 22jährigen ging in die nächste Instanz, weil dieser nicht einsah, dass er ein Faschistisches Symbol verbotswidrig benutzt habe. Das Landgerich Tübingen sprach den Mann dann auch von dem Vorwurf frei:
"Wir waren der Auffassung, dass der Kläger mit dem Symbol eindeutig seine antifaschistische Gesinnung zum Ausdruck gebracht hat. Gerade der rote Balken im roten Kreis ist international als Verbotszeichen bekannt und würde folglich auch von jedem Touristen verstanden."
Darüber hinaus gibt es aber noch etwas, was den Leser dann doch sehr sehr nachdenklich stimmen sollte: Der Richter räumte einen möglichen Verbotsirrtum ein, der den Mann (aus juristischer Sicht) von seiner möglichen Schuld freigesprochen hätte:
"Die Träger von solchen Anti-Hakenkreuz-Symbolen können über ein mögliches Verbot irren, denn bei Polizeistellen und Behörden im Lande existieren völlig unterschiedliche Auffassungen darüber, was nach Paragraf 86a erlaubt ist und was nicht."
So, und das jetzt mal langsam auf der Zunge zergehen lassen. Was verboten ist und was nicht und wofür man nach StGB bestraft (und damit "vorbestraft") werden kann, das entscheiden "örtliche Polizeidienststellen"? War die Polizei nicht Teil der Exekutive? War Das nicht etwas Anderes als Legislative und Judikative? Gabs da nicht sowas wie Gewaltenteilung? Besonders zwischen Legislative und Exekutive? Wie war das noch mit Freiheitlich Demokratischer Grundordnung (FDGO)?

Ich möchte nicht soweit gehen zu unterstellen, dass hier eher rechts angelehnte Gebietsherren eine Devise zum Schutz vor unbequemen Querulanten herausgegeben haben, damit Gesinnungsgenossen ungestört durchs Land flanieren und ihre bedenkliche Saat ausstreuen können. Aber ich frage mich doch was sich in den letzten 15 Jahren alles bei der Polizei geändert hat, dass man das Urteil des BGH(!) aus dem Jahr 1973 so offensichtlich ignoriert.

Obwohl das Urteil des Landgerichts Tübingen bereits im Januar 2006 erfolgte und sich auf das Urteil des BGH aus 1973 stützt, scheint das die Behörden in Baden-Würtemberg nicht sonderlich zu beeindrucken. Darum erstattete jetzt Claudia Roth, Chefin der Grünen, Selbstanzeige wegen Verstoß gegen §86a StGB bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart: Sie selbst hatte das umstrittene Symbol benutzt.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart prüft allen Ernstes, ob ein Verfahren eröffnet wird...

Merken die eigentlich noch irgendetwas?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bedingt durch die DSGVO müssen Kommentare zu Beiträgen der Tapirherde manuell freigeschaltet werden, um um der Veröffentlichung von Spam-, Hass- oder sonstiger unerwünschten Kommentaren vorbeugen zu können. Die Veröffentlichung eines Kommentars kann deshalb ein wenig dauern. Sorry dafür.
Wenn Sie Beiträge auf Tapireherde kommentieren, werden die von Ihnen eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. die IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Weitere Infos dazu finden Sie in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.