Mittwoch, 16. Mai 2018

Was uns Trump über die EU lehrt

In der phoenix Runde gestern Abend, zum Thema Iran-Abkommen, brachte Cerstin Gammelin (SZ) einen interessanten Aspekt zur Sprache. Der Austritt aus dem Abkommen seitens der USA manövriert die EU ungewollt in ein Interessenbündnis mit Russland und China - mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Für das transatlantische Bündnis ist das sicher nicht die ideale Ausgangslage. Aber viel bemerkenswerter war ein Gedanke, den sie gegen Ende der Sendung äußerte.

Im Prinzip herrscht zurzeit in Europa Einigkeit darüber, dass das Abkommen mit dem Iran aufrechterhalten werden soll. Auch bei etlichen anderen Themen besteht EU-weit Konsens. Ja, einige Themen sind umstritten, aber im Großen und Ganzen ist sich Europe einig, was man so insgesamt will.

"Aber de facto reist trotzdem jeder alleine ins Weiße Haus und verhandelt dort. Und das ist ja auch so ne Sache, wo der Trump wahrscheinlich zu Hause sitzt und dann kommt der Franzose, dann kommt der Brite, dann kommt Frau Merkel und alle sagen 'Wir wollen mal mit Dir reden über den Handel, aber eigentlich macht das die EU.' Und dann sitzt Herr Trump dann da und denkt 'Ja wie? Wenn die EU das macht, warum kommt dann nicht der Kommissionspräsident?" "Wir sind das gewohnt zu sagen: 'Die Europäische Union ist der große Handelspartner für die USA', aber wenn man das mal praktisch, die reale Politik betrachtet, fährt niemals die Europäische Kommission ins Weiße Haus und sagt 'so, 27, 28 Mitgliedsstaaten stehen hinter uns und wir wollen jetzt mal verhandeln', sondern jeder geht da einzeln hin."
(Cerstin Gremmelin in Phoenix-Runde, 15.05.2018)

Da ist viel Wahres dran und es wurde schon häufig kritisiert, wo denn der Ansprechpartner sei für die Interessen Europas und wie man den oder die erreichen könnte. Angeblich ist das Problem formal gelöst, aber... So gibt es auch den Kommissar für Handel bei der EU, der ganz offiziell für die Außenhandelspolitik der EU zuständig ist und auch "sehr weitreichende" Kompetenzen innerhalb der EU hat. Aber stellvertretend für die EU darf dieser Kommissar - aktuell Kommissarin Cecilia Malmström, Schweden, Liberalerna / ALDE - nicht in jedem Fall und schon gar nicht aus eigenem Antrieb sprechen.

Warum ist das so? Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) legt in Teil fünf fest, wie bestimmte Bereiche der Außenpolitik in der EU funktionieren. In Titel II des fünften Teils steht sogar explizit, dass die "Gemeinsame Handelspolitik" ausschließliche Zuständigkeit der EU ist und weitgehend von der Kommission ausgeübt wird. Was jetzt aber nach "den Handel macht die EU" klingt, ist in der Praxis etwas anders.

Die Folge ist, dass die EU zwar nach internationalem Recht als Vertragspartner anerkannt ist und auch auftreten darf. Auch ist ihre juristische Verhandlungsautorität nach internationalem Recht unumstritten. Allerdings wird der Kommission die im internationalen Recht notwendige Verhandlungsautonomie seitens der Mitgliedsstaaten der EU nicht zugestanden, weil die Mitgliedsstaaten auf Vertragsautonomie bestehen. Die Folge ist die völlig hirnrissige Situation, dass die EU zwar theoretisch dürfte und könnte und eigentlich auch sollte und müsste, praktisch aber von den eigenen Mitgliedern nicht gelassen wird.

Es ist genau diese paradoxe Haltung, die Präsident Trump sich jetzt zunutze macht und gegen "uns", gegen die einzelnen Mitglieder der EU, ausspielt. Zusammen wären wir tatsächlich eine ernstzunehmende Größe und könnten Trump zu vielen seiner Ideen einen Vogel zeigen. Da aber jeder meint "ich bin der Geilste hier und ich weiß eh besser, was gut für mich ist", tritt nicht "die EU" auf, sondern 27 - bzw. 26, dank Brexit - einzelne Staaten, die jeder für sich gegenüber den USA nicht gerade die Macht in Eimern präsentieren.

Nun könnte man ja glauben, dass diese Situation bei den Mitgliedsstaaten der EU mal zu einem Nachdenken führen würde. Tut es aber offenbar nicht, wie sich gerade wundervoll beobachten lässt. Macron macht hinreißend viele und ambitionierte Vorschläge und ist zu verblüffenden Zugeständnissen bereit. Gleichzeitig zeigt er auch eine Art Vision von Europa auf, eine Zukunft, über die nicht nur ernsthaft nachgedacht werden sollte, sondern muss.

Die stärkste Wirtschaftsmacht in der EU ist Deutschland. Auf wen schielen alle? Genau. Auf Deutschland. Und was macht Deutschland? Erfindet ein Heimatministerium, verabschiedet regional verfassungsrechtlich mindestens bedenkliche Eingriffsbefugnisse, Errichtet Sammellager für Einwanderer und tut insgesamt sehr viel dafür, sich als Nationalstaat zu etablieren und zu positionieren, sagt aber zu den Ideen aus Frankreich eher nichts. Und wenn doch, dann bremsend, beschwichtigend, ausweichend und auf Zeit spielend. Die Signalwirkung ist dementsprechend: Keiner mag sich so richtig auf die Seite von Macron stellen und am Ende bleibt im Idealfall alles wie gehabt.

Irgendwie erinnert mich das an die Situation der Bundeswehr: Die Politik weiß zwar, dass man sie braucht und so weiter und so fort, aber so richtig Bock hat man darauf nicht. Mal Nägel mit Köpfen machen und sich zu einer klaren Aussage durchzuringen, traut man sich aber auch nicht - man könnte ja Wähler erschrecken. Zwar ist die EU noch nicht soweit heruntergewirtschaftet, wie die Bundeswehr, aber letztere ist ein schönes Exempel dafür, was aus der EU werden kann: Ein teures und peinliches Wrack, das realistisch wohl nur noch durch einen radikalen Neuanfang zu sanieren ist.

Der Haken ist nur, dass es bei der Bundeswehr um "nur" ein paar hunderttausend Menschen, ein paar Milliarden Euro und vielleicht fünf oder zehn Jahre geht. Bei der EU geht es um mehr als 500 Millionen Menschen, viele Billiarden Euro und wahrscheinlich die Erkenntnis, dass es eine zweite Chance wie die EU wahrscheinlich niemals wieder geben wird und ein "weiter so" ist angesichts der Entwicklungen in der internationalen Politik auch eher nicht zu erwarten.

Schade drum, dass wir mal wieder zu feige sind und lieber abwarten und aussitzen, als zu handeln. Aber darin sind wir ja offenbar auch Weltmeister.

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