Mittwoch, 14. März 2018

Kleines Ding - Großer Schatten

Alles, was wir täglich benutzen, wird irgendwo produziert. An dieser Produktion sind Menschen beteiligt, die davon leben. In den Wirtschaftswissenschaften ist es ein offenes Geheimnis, dass die Kosten für Arbeitnehmer ein Posten sind, der große Auswirkungen auf Gewinn und Verlust hat, weil Personalkosten tendenziell über die Zeit hinweg steigen. Kosten verringern den Gewinn. Das Ziel von Unternehmen ist das Vergrößern von Gewinn. Der Konflikt ist klar und führte in der Geschichte der Menschheit zu Leibeigentum, Sklaverei, Tagelöhnern, Minijobs, Leiharbeit und ähnlichen, eher unschönen Beschäftigungsverhältnissen.

Aus Sicht der Industrie ist es naheliegend zu versuchen, den Faktor Mensch im Betrieb auf ein unumgängliches Maß zu reduzieren. Früher war das Schlagwort "Rationalisierung". Mit ihm wurde umschrieben, dass durch Eingriffe in den Arbeitsprozess die Effektivität und die Effizienz des einzelnen Arbeitsschrittes gesteigert wurden. Dadurch wurde die notwendige Anzahl an Mitarbeitern gesenkt. Fords Einführung der Fließbandproduktion ist das Bilderbuchbeispiel für Rationalisierung.

In den letzten Jahrzehnten kam ein weiterer Faktor hinzu: Die Automatisierung. Maschinen sind zunehmend in der Lage, die Arbeit von Menschen nicht nur zu unterstützen, sondern komplett zu übernehmen und den Arbeiter zu ersetzen. Lange Zeit wurde dies eher mit der Massenproduktion in der industriellen Fertigung gesehen, aber über diesen Punkt sind wir längst hinaus. Wie weit wir darüber bereits hinaus sind?

Neulich wurde berichtet, dass eine Burgerbräterei in Pasadena, Los Angeles, sich einen Roboter angeschafft hat, der den Menschen am Grill ersetzt. Was zuerst nach einem lustigen Marketing-Gag klingt, wirft bei näherer Betrachtung eine Menge Fragen auf.

Dieser Roboter kostet in der Anschaffung 60.000 US$. Der Betrieb verursacht weitere 12.000US$ pro Jahr. Die wirtschaftliche Nutzungsdauer ("Abschreibung") von solchen Produktionsmitteln dürfte realistisch bei fünf bis sieben Jahre liegen. Gehe ich von fünf Jahren aus, kostet das Gerät in der Zeit 120.000US$.

Das ist erst einmal eine Menge Geld. Aber. Der Roboter kann 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr nahezu ununterbrochen arbeiten. zurückgerechnet auf die einzelne Stunde kostet der Roboter plötzlich nur noch 2,74US$. Ein Koch am Grill in einer bekannten Burger Kette erhält ein Gehalt in Höhe von etwas mehr als 8,30US$ pro Stunde. Man braucht jetzt kein Mathegenie zu sein, um zu erkennen, dass sich ein Unterschied von mehr als 5US$ pro Stunde im Laufe von fünf Jahren zu einer erheblichen Summe addiert.

Der Einsatz dieses Gerätes und die Erfahrungen dieser speziellen Burgerbräterei dürfte in der Fast Food Industrie mit großer Aufmerksamkeit beobachtet werden. Obwohl sich dieser Roboter dieses Herstellers erst einmal nicht bewährt hat: Er ist ein "Proof Of Concept", ein Beweis, dass es prinzipiell machbar ist - und sich wirtschaftlich lohnt. In dieselbe Ecke gehören die noch etwas seltsam anmutenden Gastro-Roboter, die Cocktails mixen, an Hotelrezeptionen Gäste abfertigen oder etwas sehr überfordert durch Supermärkte irren und den Kunden auf die Nerven gehen. Auch die von Amazon gezeigten Warenhäuser ohne Kassenpersonal oder Paketauslieferung per Drohne weisen eindeutig in dieselbe Richtung: Ersetze Mensch durch Maschine.

All das wirkt noch sehr experimentell. Serienreife und Akzeptanz durch die breite Masse lassen noch auf sich warten und das führt gemeinhin zu der Meinung: "jaja, irgendwann mal, aber bis das meinen Job betrifft..." Auch in meinem unmittelbaren Umfeld ist diese Sichtweise weit verbreitet und tief verwurzelt. Frühestens in 10-15 Jahren sei das vielleicht spruchreif und würde erste Folgen zeigen, so die Kritik an meiner Beobachtung. Wie nah allerdings neben all diesen oben gezeigten, eher possierlich anmutenden Beispielen der Wandel ist, zeigt eine anscheinend völlig aus dem Zusammenhang gerissene Entwicklung an anderer Stelle, nämlich dem US Marine Corps.

Wer hat noch nicht vor der Situation gestanden, dass ein winziges Teilchen kaputt ging, dessen Kosten vielleicht wenige Cent betrugen, das aber als Ersatzteil nicht zu bekommen war? Das Beispiel aus meinem Leben, das mir dabei immer sofort einfällt, ist ein Joystick, von dem plötzlich eine Tastkappe weg war. Ein Teilchen, das vielleicht 10 Cent kostet, aber für die Benutzbarkeit des Gerätes maßgeblich war. Der Hersteller sah sich nicht in der Lage, dieses Teil als Ersatzteil zu liefern und so blieb letztendlich nur der Komplettaustausch, der mit mehr als 50 Euro zu Buche geschlagen hätte.

Im Militär wird Ausrüstung "robust" behandelt. Entsprechend ist der Verschleiß auch höher. In den Hubschraubern des Marine Corps gibt es Kommunikationspanele mit Knöpfen. Diese Knöpfe sind aus Plastik und gehen gerne kaputt. Sie zerbrechen. Diese Knöpfe zu ersetzen wäre eigentlich trivial. Allerdings: Das Pentagon beschafft diese Knöpfe nicht als Einzelteil.

Stattdessen muss die komplette Konsole ausgetauscht werden, die im Austausch mit 11.000 US$ in Rechnung gestellt wird. Das Marine Corps ging dazu über, diese Knöpfe selber herzustellen. Mit 3D Druckern. Kosten pro Knopf rund 2 Cent. Der Umstand, dass diese selbstgebauten Knöpfe nicht für die Verwendung in Fluggeräten zertifiziert sind, beeindruckte General Robert Neller, Kommandant des US Marine Corps, herzlich wenig. Stattdessen lässt er diese Knöpfe jetzt in Massen produzieren und spart seinem Budget viele zehntausend Dollar pro Jahr.

Das mag ebenfalls als "Anekdote" erscheinen, zeigt aber, wie weit wir in der Praxis inzwischen sind. Eigentlich muss ein Hersteller bei solchen Ersatzteilen weder das Ersatzteil vorrätig halten, noch muss er sich um Logistik, Herstellung, Vertrieb oder sonst etwas kümmern. Es reicht aus, das Bauteil zu entwickeln, es im fertigen Produkt zu verwenden. Für solche Ersatzteile braucht er nur noch die digitale Bauanleitung zur Verfügung zu stellen. Ein Download einer Datei. Der Komplette Sektor des Ersatzteilhandels trocknet mit einem Schlag aus und ist obsolet.

Warum ausgerechnet die Story des Marine Corps von so herausragender Bedeutung ist? Das Militär ist nicht irgendein Auftraggeber und Kunde. Die Stückzahlen, die das Militär benötigt, sind so groß, dass ganze Unternehmen einzig davon leben, dass das Militär ihre Produkte kauft. Davon wiederum leben eine Menge Menschen, deren Job es ist, dieses Verhältnis Kunde - Hersteller am Leben zu halten, vom Arbeiter an der Maschine, über das Personal, das das Teil verpackt, die Leute im Logistikunternehmen, und so weiter und so fort. Da das Marine Corps innerhalb der US Armee als Pioniereinheit, als Vorreiter, gilt, dürfte es nicht lange dauern, bis auch andere Zweige des US Militärs dieses Prozedere übernehmen.

Wenn die US Armee etwas so macht, dauert es selten besonders lange, bevor auch andere Armeen anfangen, das nachzumachen und die Büchse der Pandora ist geöffnet. Die Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb bereits 1995:

Die Rüstungsindustrie mit derzeit rund 180.000 Beschäftigten gehört bei 27 Millionen Arbeitsverhältnissen in Deutschland zwar nicht zu den beschäftigungspolitischen Schlüsselsektoren. Dennoch sind die wirtschaftlichen Folgen des Arbeitsplatzabbaus für einzelne Bundesländer, insbesondere aber für strukturschwache Regionen und Kommunen eklatant. Nicht nur die Zahl der unmittelbar in der wehrtechnischen Industrie Beschäftigten ist rückläufig. Vielmehr schrumpft auch das Personal bei den Zulieferern, die inzwischen nicht mehr über 800.000, sondern nur noch 300.000 Mitarbeiter haben. [ Fn 9: "Nächste Front", in: "Wirtschaftswoche" vom 3.8.1995, S. 33]

Der Bundesverband der Deutschen Industrie beziffert die Kosten für Entlassungen von Beschäftigten und für die Stillegung wehrtechnischer Kapazitäten auf mehr als 25 Mrd. DM. [ Fn 10: Wolfgang Hoffmann: "Rückzug mit Verlusten", in: Die Zeit vom 21.7.1995]

Starke regionale Arbeitsmarkteffekte verursacht der Abbau von Soldaten und Zivilpersonal bei den deutschen und alliierten Streitkräften. Allein bei den deutschen Militärbeschäftigten wird mit einem Verlust von etwa 420.000 von bisher knapp 1 Mio. Arbeitsplätzen gerechnet. Hinzu kommt noch eine nicht bekannte Anzahl von Erwerbstätigen, die indirekt von Kasernen und anderen militärischen Einrichtungen abhängen. Die nachfolgende Übersicht enthält eine differenzierte Schätzung für die 1,2 Mio. Arbeitsplätze, die in der Bundesrepublik für von deutschen und ausländischen Streitkräften abhängige Personen verloren gehen werden. Dabei wurden Soldaten und ziviles Personal der Nationalen Volksarmee der DDR zum Teil von der Bundeswehr übernommen.

(Konversionsmanagement : Abrüstungsfolgen und Bewältigungsstrategien ; Tagungen der Friedrich-Ebert-Stiftung am 01. September 1994 in Kaiserslautern und am 06. April 1995 in Potsdam / [... von Ingo Zander erstellt]. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - 91 S. = 284 Kb, Text . - (Reihe "Wirtschaftspolitische Diskurse" ; 76). - ISBN 3-86077-412-3 Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2000)

Die Folgen, die alleine für den Bereich der Volkswirtschaft entstehen, die vom Militär abhängig sind, sind bereits immens. Denkt man das auf die gesamte Wirtschaft, haben wir ein Problem. Ja, es heißt, dass die "Industrielle Revolution 4.0" (oder 5.0, je nach dem, wen man fragt) Arbeitskräfte freistellt, die an anderer Stelle benötigt werden. Gerne wird auch darauf verwiesen, dass alle bisherigen industriellen Revolutionen zum Wegfall von ganzen Berufszweigen geführt haben, diese Arbeitskräfte aber immer durch andere Sektoren "aufgefangen" wurden, insbesondere durch den Sektor Dienstleistung.

Allerdings sind wir jetzt an einem Punkt angelangt, in dem auch die Dienstleistung automatisiert wird, in Japan, Deutschland, England, USA. kurz: Überall auf der Welt und in allen Bereichen. Auch im ganz privaten Bereich ist die Automatisierung inzwischen angekommen. Man denke nur an Staubsaugen, Wischen, Fensterputzen und Rasenmähen, was bislang häufig von Haushaltshilfen übernommen wird, oder bald auch das Autofahren. Es betrifft eben nicht nur den sehr einseitig qualifizierten und eher gering bezahlten Arbeiter am Band, sondern auch hochqualifizierte Fachkräfte mit oft ebenso hoch dotierten Jobs.

Es geht ja nicht um einen Berufszweig, der "plötzlich" einige hundert oder tausend Arbeitskräfte freisetzt. Es geht um einen Dammbruch, der sich quer durch alle Bereiche zieht und innerhalb kürzester Zeit Millionen Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt spülen wird, der seinerseits diesen Arbeitnehmern aber gar keine Angebote mehr machen kann, weil es einfach keine Arbeitsplätze gibt.

Allen Menschen schon in der Schule beizubringen zu programmieren, wie es Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) fordert, kann auch deshalb keine Lösung sein, denn: der Bedarf an Programmierern ist begrenzt und eben nicht unendlich. Ganz abgesehen davon, dass es auch dort massive Entwicklungen hin zur Automatisierung gibt (über die man sich übrigens an höherer Stelle durchaus im Klaren ist) und längst nicht jeder zum Programmierer taugt.

Hinter dem offensichtlichen Problem des Arbeitsplatzes und der drohenden Arbeitslosigkeit stehen aber noch viel weitreichendere Probleme. Ohne Arbeitsplatz kein Einkommen. Ohne Einkommen keine Einkommenssteuer, die immerhin "nur" rund 32% der Bundessteuereinnahmen ausmacht. Wie will der Staat das kompensieren? Roboter zahlen keine Steuern, weder im privaten Haushalt, noch in der Industrie oder im Handel. Wie will diese Gesellschaft das selbst übergangsweise auffangen? Wo ist die Diskussion darüber, wo denn diese Jobs herkommen sollen, die all jene Arbeitnehmer auffangen werden? Gäbe es diese Jobs bereits in der Form, dass sie in Menge und Bezahlung eine praktikable Lösung wären, die Arbeitslosigkeit läge bei null. Zwar werden Fachkräfte gesucht, aber um eine solche Fachkraft zu sein, braucht es eine langwierige und komplexe Ausbildung. Wer bezahlt das? Wer übernimmt Kosten der Existenzsicherung, von der man nach Ansicht unseres Bundesministers für Gesundheit ja gut leben kann?

Was mir fehlt, ist die ernsthafte und dem zunehmenden Zeitdruck angemessene öffentliche Debatte darüber, wie die Folgen dieser Entwicklungen aufgefangen werden sollen. Wie soll unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen und funktionieren? Wo ist die Debatte, die geprägt ist von Gestaltungswillen und Aufrichtigkeit in Bezug auf den fundamentalen Paradigmenwechsel, der unmittelbar bevorsteht und alle betreffen wird, im Großen, wie im Kleinen?

[Update]

Meine Meinung, der Dienstleistungssektor könnte Schwierigkeiten haben, die sich abzeichnende Bewerberschwemme aufzunehmen, findet heute (15.03.18) zufällig Bestätigung in der Antwort der Regierung (19/1129) auf eine kleine Anfrage der Grünen (19/745). Dort teilt die Regierung mit:

Im Bundesbereich sank die Zahl der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes den Angaben zufolge insgesamt von 584.700 Mitte des Jahres 2000 auf 489.500 Mitte 2016. Dabei ging sie im früheren Bundesgebiet einschließlich Berlin-Ost von 513.200 auf 424.200 zurück und in den neuen Ländern (ohne Berlin-Ost) von 71.500 auf 65.300.

Wenns im Dientleistungssektor so dringend und viel Bedarf gäbe, dann würde ich das besonders in der Verwaltung zeigen, denn die neigt eher nicht dazu, sich personell gegen den Trend zu verschlanken.

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