Freitag, 12. März 2010

Planlos mit System

Egal wen ich frage, die Antworten ähneln sich. Unsere Politik wirkt führungslos, ja sogar planlos. Es ist normal, dass die Regierten ihre Regierenden kritisieren und es ist auch normal, dass letztere darauf reagieren. Das gehört zu einer gesunden Demokratie dazu. Auch gelegentliche Exzesse. Besorgniserregend wird es, wenn dieselbe Kritik von außen vorgetragen wird.

Newsweek bezeichnete die Bundeskanzlerin jüngst als "Slow-Motion Merkel" und warf ihr, aber auch Deutschland insgesamt, Führungsunwillen vor:
"The problem is that neither Merkel nor her country is in much of a mood to lead. Over the two decades since its reunification, Germany has turned into a sated and inward-looking power concerned more than anything with preserving the status quo."
Der Hang, sich an den Zustand von "damals" zu klammern, sich den Blick nach vorne und nach außen zu verweigern, wird nirgends so deutlich wie in der Außenpolitik. Die deutlichste und aktivste Form außenpolitischen Handelns ist ohne Frage die Entsendung des eigenen Militärs. Von jedem Staat wird erwartet, dass er sich vorher darüber Gedanken macht, was er da tut, warum und mit welchem Ziel. Nicht so Deutschland.

Unsere Soldaten schickten wir auf Missionen der UN, der NATO, der EU in Kambodscha, Somalia, auf den Balkan, an das Horn von Afrika und nach Afghanistan. Aber was wollten "wir" da eigentlich? Die Antwort ist, dass es keine Antwort gibt. Zumindest keine gemeinsame, übergeordnete. Die Sicherheitspolitik Deutschlands ist bestenfalls rudimentär. Unsere Politiker beantworten solche Fragen nicht mit politisch formulierten Zielen, die einer Bundesdeutschen Sicherheitspolitik entspringen, sondern mit geschichtlicher Verantwortung, inneren Zwängen und dem Verlangen der Verbündeten. Unsere Sicherheitspolitik orientiert sich nicht an logischen, oder zumindest nachvollziehbaren, taktischen und strategischen Überlegungen und Zielsetzungen, sondern an Vorbehalten und Warnungen.

Die Folgen dieses Mangels an realistischer Außensicht zeigen sich im Innern. Als in Kundus entführte Tanklaster bombardiert wurden, lagen die Ursachen dafür mit einiger Sicherheit nicht im Fehlen anderer militärischer Optionen, sondern war wohl eher Folge der Hilflosigkeit der Soldaten. Einerseits verlangt die Politik von ihnen, dass sie Erfolge vorweisen, andererseits wird die Zielsetzung, an denen sich solche Erfolge bemessen lassen, nicht durch die Politik vorgegeben. Stattdessen wird es dem Militär überlassen, genau solche Ziele selber zu formulieren. Mit anderen Worten: Das Militär ist nicht Werkzeug der Politik, sondern Militärs werden als Politiker behandelt und müssen politische Zielsetzungen selber erarbeiten und an denen dann ihr tatsächliches Handeln orientieren. Es verwundert wohl niemanden, dass das schief gehen muss.

Tatsächlich existiert hat jedes führende Land eine klar formulierte, sicherheitspolitische Leitlinie. Deutschland hat ein "Weißbuch", mit dem unsere Freiheit, Sicherheit und der Frieden gewährleistet und verteidigt werden soll. Darin wird zwar blumig umschrieben, was alles getan werden soll und unter welchen abstrakten Bedingungen das notwendig sein könnte. Aber es fehlt völlig an konkreten Zielsetzungen.

Der fehlende Weitblick im politischen Handeln zeigt sich aber nicht nur dort. Aktionismus und "Symbolpolitik" bestimmen zunehmend häufig den Alltag. Man denke nur an das "Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen". Mit der heißen Nadel gestrickt, mit handwerklichen Mängeln gespickt, von kaum einem Kenner der Materie nicht kritisiert, wurde es beinahe mit Gewalt durch den Gesetzgebungsprozess geprügelt. Jetzt ist es rechtskräftig und zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik verkündet die politische Führung dieses Landes, dass sie die eigene Gesetzgebung ignorieren werde. Ähnliches lässt sich auch für das Gesundheitssystem, die Bildungspolitik und viele andere Bereiche konstatieren.

Peter Struck, inzwischen im Ruhestand, formulierte mit erschreckender Deutlichkeit, wie sehr die Politik in Deutschland auf Bestandssicherung ausgerichtet ist und wie sehr ihr die eigene Perspektive für nationale Ziele fehlt. Wenn führende Politiker erkennen, dass Teile des Systems reformiert werden müssen und dann resignieren, weil es mangels einer gemeinsamen Zielsetzung nicht durchsetzbar ist, sollte das jedem Sorgen bereiten.

Es fehlt in Deutschland an übergeordneten Zielen, an Idealen, an Vorbildern. Nicht nur in der Sicherheitspolitik oder dem Bildungswesen. Zwei Experimente zeigen das in aller Deutlichkeit: Frage einen beliebigen Bekannten, wie er Amerikaner definiert, was das Ziel Amerikas ist. Dann stelle dieselbe Frage für Deutschland. Dir wird es ähnlich gehen wie mir. Die Antworten Amerika betreffend werden zwar vielleicht wenig detailliert sein, aber es werden zwei, drei klare Zielideen herauskristallisiert. Und bei Deutschland? Das zweite Experiment ist genauso einfach. Wenn es mal wieder zu politischen Unterhaltungen im Bekanntenkreis kommt, stell doch mal fest, dass Du Patriot bist. Beobachte die Reaktionen. Na, musstest Du Dich auch dafür rechtfertigen, um nicht zu sagen entschuldigen?

Beide Experimente zeigen im Kleinen genau jenen Mangel auf, der in der großen Politik dramatische Folgen hat. Das Verständnis von Patriotismus ist in Deutschland umklammert von den Begriffen Faschismus und Krieg. Beides ist grundfalsch. Patriot zu sein bedeutet weder Faschist oder Nationalsozialist zu sein, noch bedeutet es Kriegstreiber zu sein. Patriot zu sein bedeutet viel mehr, eine Vorstellung davon zu haben, wie die gemeinsame Zukunft aussehen sollte, eine Vorstellung von übergeordneten Zielen zu haben und damit ein zusammenhängendes, umfassendes Ideal anzustreben, für das sich der Einsatz lohnt, für das man bereit ist zu streiten. Patriot ist dem Wort nach jemand, der sein Vaterland liebt. Zur Liebe gehört jedoch nicht nur Zuneigung. Kritik gehört genauso dazu wie eine Vorstellung von Idealen und Zielen, die man gemeinsam erreichen will, denn sonst gibt es nichts, womit man diese Liebe identifizieren kann - egal welcher politischen Richtung man angehört.

1 Kommentar:

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