Montag, 8. Februar 2010

Gekaufte Mehrheit

In Deutschland weitgehend unbemerkt urteilte am 21. Januar der Supreme Court of the United States (oberster Gerichtshof der USA, entscheidet über Bundesgesetze), dass es der Regierung nicht erlaubt sei, Spenden von Unternehmen während eines Wahlkampfes zu untersagen. Von den meisten Lesern wird das - wenn überhaupt - wahrscheinlich mit einiger Verwirrung wahrgenommen worden sein, denn bei uns ist das mit den Parteispenden doch völlig unproblematisch.

Das Parteispendengesetz bestimmt in Deutschland, dass jeder an Parteien spenden darf, so oft und so viel er (oder sie) will. Spenden ab einer bestimmten Höhe (zur Zeit 50.000 Euro) müssen sofort veröffentlicht werden. Spenden, die 10.000 Euro überschreiten, müssen von den Parteien zwar nicht sofort, aber dennoch im Rechenschaftsbericht der Partei veröffentlicht werden. Diese Rechenschaftsberichte erscheinen gewöhnlich mit anderthalb Jahren Verzögerung nach Ablauf des Kalenderjahres, für den sie gelten. Mit anderen Worten: Ungefähr im Sommer 2010 können wir die Veröffentlichung der Rechenschaftsberichte des Jahres 2008 erwarten.

Das Parteispendensystem in Deutschland war schon häufiger Gegenstand der Kritik und in der Vergangenheit gab es eine ganze Menge größerer und kleinerer Affären. Man denke nur an den ehemaligen Bundeskanzler Kohl ("CDU Spendenaffäre), den heutigen Finanzminister Schäuble ("100.000 DM vergessen"), die FDP und ihre Spendenpraxis (Jürgen Möllemann und ganz aktuell die Hotel-Spende). Aber auch die übrigen Parteien sind nicht frei von Makel. Wohl jede Partei hat ihre eigenen Spendenaffären im Keller, die einen größer, die anderen kleiner. Gerichtsprozesse über die Rechtmäßigkeit von Spenden dauern denn auch gerne mal um die zehn Jahre. Nur eine ganz kleine Minderheit wird sich nach solch einer Zeit noch daran erinnert, worum in der Sache es überhaupt ging. Wer jetzt glaubt, dass nach rund 10 Jahren eine Entscheidung, die aufgrund einer im Nachhinein als illegal bewerteten Parteispende gefällt wurde, wieder zurückgenommen wird, lebt fern der Realität.

In den USA erkannten die Gesetzgeber schon früh die Probleme, die aus Spenden an Parteien erwachsen. Wer Geld an eine Partei spendet, erwartet dafür etwas. Je größer die Spende ausfällt, desto größer die Erwartung und desto größer der "Druck" auf die Partei. Mit anderen Worten: Über Spenden können (und werden) politische Entscheidungen gekauft. In Amerika galten deshalb bislang Obergrenzen für die Summen, die eine Person oder Firma (genauer: juristische Person) spenden durfte. Ziel war es, dass alle Parteien im Wahlkampf dieselben Chancen haben sollten. Diese Begrenzung wurde jetzt gekippt. Die Argumentation des Gerichtes lautet:

Meinungsfreiheit überwiegt Chancengleichheit.

In den USA gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung weit mehr als es vielen hier in Deutschland bewusst ist. Dieses Recht wird verbissen verteidigt. Gesetzliche Regelungen, wie jüngst in Australien verabschiedet, nach der anonyme politische Meinungsäußerung verboten sind, wären in den USA undenkbar. Ebenso undenkbar sind dort Verbote, wie wir sie hier in Deutschland in Bezug auf bestimmtes "Gedankengut" praktizieren (was u. a. ein Grund dafür ist, warum Deutschland aus Sicht der USA nicht wirklich "frei" ist). In den USA gilt die Devise, dass jede Meinung erst einmal ihre Existenzberechtigung hat, denn Entscheidung und Handlung entstehen durch den Diskurs konkurrierender Ansichten. Wer Meinung verbietet, der fördert Gleichschaltung im Denken und blockiert damit im Fortschritt und Weiterentwicklung.

Entsprechend urteilte der Supreme Court, dass die Regierung keine Befugnis dazu habe, politische Meinungsäußerungen zu reglementieren. Die Reaktionen auf das Urteil in den USA waren extrem kontrovers und reichen von Begeisterung bis hin zu Weltuntergangsstimmung.

Unabhängig davon, ob diese Regelung im Detail nun gut ist oder schlecht und welchen Einfluss das auf die Politik der USA haben wird (die Zeit wird das zeigen), ist eine Aussage des Gerichts bemerkenswert: "The difference between selling a vote and selling access is a matter of degree, not kind," "And selling access is not qualitatively different from giving special preference to those who spent money on one's behalf." (Stevens) "by definition, an independent expenditure is political speech presented to the electorate that is not coordinated with a candidate." (Kennedy) Man beachte den Unterschied. In Deutschland sind Kauf und Verkauf von Stimmen verboten, in den USA gelten sie Kraft höchstrichterlicher Entscheidung als Ausdruck politischer Meinungsäußerung.

Nun ist die Frage gerechtfertigt, was daran denn so schlimm sei, dass in den USA jetzt auf Parteispenden in unbegrenzter Höhe erlaubt wurden. Das Problem besteht darin, dass diejenigen Länder, in denen das schon länger genau so praktiziert wird, nicht eben gute Erfahrungen damit gemacht haben. Oft wurde beobachtet, dass von der Mehrheit abgelehnte, unpopuläre Entscheidungen zugunsten einer Minderheit gefällt wurden, weil eben jene Minderheit den Entscheidungsträgern finanzielle Aufmerksamkeit zukommen ließen. Das aktuelle Beispiel FDP - Mehrwertsteuer - Parteispende sollte klar machen, wo das Problem zu suchen ist: Die Demokratie wandelt sich vom Prinzip der Mehrheitsbildung durch den Willen zur Mehrheitsbildung durch monetäre Kapazität des Einzelnen.

Sich dieser neuen Regelung annehmend verkündete denn auch gleich eine PR-Agentur, dass sie sich am Wahlkampf um den Senat beteiligen werde. Als Kandidat.



Ich frage mich, wann dieses Prinzip bei uns Anwendung findet, denn normalerweise machen wir doch alles nach, was die USA vor machen...

2 Kommentare:

  1. Unfug, in meinen Augen ein klarer Rückschritt!

    Das Argument die Meinungsfreiheit überwiege der Chancengleichheit trifft für mich GERADE in einem Wahlkampf nicht zu.
    Gerade wenn man guckt welche lobbyisten in Amerika die Parteien jetzt schon unter Druck setzen und Ihren Würgegriff damit noch festigen könnten. (Militärisch Industrieller Komplex)

    Interessant das ich das hier zum ersten mal lese..

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  2. Bei der Definition von "Meinungsfreiheit" sollte m.M.n. zwischen tatsächlichen und bloß juristischen Personen, sprich Firmen, unterschieden werden. Die freie Meinungsäußerung sollte für Menschen, die im Auftrag von Firmen o.ä. reden, eingeschränkt werden, besonders was Spenden angeht. Gegen enorme Spenden von Einzelpersonen wird man wohl schwerer vorgehen können ...

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