Dienstag, 16. September 2008

Suchtprobleme, Geld und Politik

AlkoholAls ich vorhin hörte, dass Beckstein in Bayern von sich gab, man könne bedenkenlos diverse Liter Bier in sich 'reinschütten und danach noch Autofahren, vermutete ich zunächst die endgültige Merkbefreiung der Südstaatler. Darum las ich nach. Was Beckstein tatsächlich gesagt hat, ist zwar noch immer mindestens fragwürdig, aber längst nicht so dramatisch, wie es in mancher Postille hochstilisiert wird. Zum Thema Autofahren und Alkohol hat er im Bayerischen Rundfunk gesagt:
"Wenn man die zwei Maß in sechs, sieben Stunden auf dem Oktoberfest trinkt, ist es noch möglich."
Daran darf man zweifeln und darüber darf man auch diskutieren. Viel interessanter als die Frage nach dem Abbau der Blutalkoholkonzentration und der absoluten und relativen Fahrtüchtigkeit unter Alkoholeinfluss ist für mich aber die Frage, warum Beckstein sowas überhaupt von sich gibt. Die Antwort auf diese Frage fand ich gerade eben in der Süddeutschen. Dort titelt es nämlich gerade wie folgt:

Aufstand gegen Alkoholverbote - Süddeutsche
Daher also weht der Wind. Die Alkoholindustrie hat Schiss davor, dass per Gesetz das Geld abgedreht wird. Insbesondere geht es um den Alkoholkonsum der Jugendlichen, denn die sind - ähnlich wie bei der Tabakindustrie - der finanzielle Neuschnee, der kontinuierlich die Einnahmen sicherstellt. Darum sind Handel und Industrie eindeutig gegen eine Verschärfung der Maßnahmen gegen den Alkoholmißbrauch. Im Gegensatz zum Tabakkonsum geht es hier ja auch um erheblich mehr Geld.

Angesichts von mehr als 70.000 Toten jährlich, die an den Folgen des Alkoholkonsums ins Gras beißen und einer jährlichen Belastung von mehr als 20 Milliarden Euro für das Gesundheitssystem, ist es daher auch nur zu verständlich, dass der Geschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels zugibt:
"Alkoholmissbrauch ist ein gesamtgesellschaftliches Problem."
Allerdings sieht er es nicht ein, dass man deshalb die Gesellschaft irgendwie schützen müsste. Wegen 70.000 Toten jährlich? Es kan, so derselbe Mann, nicht angehen, dass staatliche Maßnahmen die Freiheit aller Konsumenten einschränken. Mit anderen Worten: 70.000 Leichen und 20 Milliarden Euro sind zwar viele, aber mit den nachwachsenden verdienen wir genug, um auch weiterhin steigende Gewinne verbuchen zu können und außerdem habt ihr uns gerade erst die Einnahmen mit den Kippen weggenommen, wenn ihr uns den Sprit auch noch wegnehmt, können wir alle dicht machen. Außerdem ist das ja nicht unser Problem, denn wir saufen uns ja nicht ins Grab und wir zwingen ja niemanden dazu!

Für die andere Seite, die Suchtprävention und die Ärzte, sieht das etwas anders aus. Die sehen gerade in der einfachen Verfügbarkeit des Alkohols ein gravierendes Problem. Der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sagte deshalb:
"Die Verfügbarkeit ist ein wichtiger Punkt. Gerade Jugendliche nutzen Tankstellen, um sich mit Alkohol zu versorgen." "Die freiwillige Selbstbeschränkung der Werbewirtschaft, solche Werbespots zu unterlassen, wird vorne und hinten nicht eingehalten."
Insgesamt gilt Sucht in Deutschland noch immer als "toll", besonders dann, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Wundert mich nicht, denn keine Ahnung von Mathe zu haben gilt hierzulande ja auch als "hipp" und sieht man sich die zunehmende Bildungsresistenz und einige andere frappierende Entwicklungen an, dann kann man eigentlich nur noch hoffen, dass möglichst bald irgendjemand vorbei kommt, und dieses Trauerspiel beendet. Gewaltsam.

(Quelle: Tagesspiegel, Süddeutsche)

4 Kommentare:

  1. Mir gibt die mangelnde Fähigkeit der sogenannten selbsternannten "mündigen Bürger" Verantwortung für sich und andere zu übernehmen eigentlich mehr zu denken als das Verhalten von Politik und Wirtschaft in dieser Hinsicht. DAS ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

    Es ist nicht die Aufgabe der Politik uns alle zu erziehen, es ist ihre Aufgabe dafür zu sorgen daß wir die Voraussetzungen haben uns zu entwickeln. Aber das geht nur, wenn die Leute die nur so tun endlich anfangen richtig mitzudenken und sich nich ins Hemd machen, wenn sie das Wort "Verantwortung" lesen. Daß von kleinauf auf Konsum gedrillte Marketingzombies ohne selbige losziehen und dann heißt es wieder "die Jugend" raucht und muss aufhören oder "die Jugend" trinkt und muss aufhören oder "die Jugend" frisst Cheeseburger und muss Sport machen, überrascht mich aber bei den letzten 12 Jahren Medialbeobachtung nur wenig.

    Gottseidank, was bin ich froh nicht mehr jung zu sein, auf daß man mir mittlerweile Hirn zutrauen darf. Zu meiner Zeit war das noch anders..

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  2. Jaja, die Jugend von heute... Da fällt mir nur www.little-idiot.de ein.

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  3. alkoholmissbrauch ist in etwa so sehr ein gesamtgesellschaftliches problem wie demokratie oder die deutsche staatsbürgerschaft!

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  4. Ihr vergesst (alternativ: ignoriert, bedenkt nicht, überseht, lasst außen vor), dass Alkohol selten das Problem, sondern oft nur ein Ventil ist. Der Spruch "Die Sorgen ertränken" kommt nicht von ungefähr. Und die Problemgruppe ist ja nicht nur "die Jugend", wer auch immer das sein soll.

    Natürlich, wenn dieses Ventil sich von einem von vielen mal zum einzigen oder einem unter wenigen gemausert hat, ist der Alkohol das Problem, das Ventil und die Ursache vieler anderer Probleme. Kennt man als Teufelskreis.

    Hier jetzt mit irgendwelchen Verboten zu kommen ist Schwachsinn. Ob sich der 15jährige Hans nun seinen Schnaps von seinem 18jährigen Freund Fritz an der Tanke oder tagüber in Supermarkt (dafür eben 2 Buddeln auf Vorrat) holen lässt, ist egal. Und wenn wir das Mindestalter auf 21 hochsetzen - ok, dann fragt der Fritz eben den Schorsch, der ist 25 und freut sich, dass seine beiden Bekannten so oft was mit ihm unternehmen wollen.

    Immer nur Symptome zu behandeln sieht ja gut aus, macht was her, aber deswegen frisst der Tumor/das Geschwür (Ich nenne das mal so, gewisse Parallelen sind in meinen Augen nicht zu leugnen, auch wenn es durchaus populistisch klingt) weiter in die Gesellschaft. Der muss aber weg.

    Nur landet man hier allzu schnell wieder in Utopia, wo es allen gut geht, jeder gleich ist und sie vor lauter Glückseligkeit sogar keine Gerichte mehr brauchen. Aber das solls dann auch nicht sein, ich rede hier mehr von Problemlinderung (was an sich ja schon ein großer Schritt wäre, gemessen an dem was sonst so an Ideen durch die Welt geistert) durch einige (so oder so fällige) Veränderungen. Selbst wenn die dann nur 10 Jahre halten, respektive helfen, egal, reicht völlig.

    Wir leben nunmal in einer Zeit des Umbruchs, wie es wird, was kommt, was bleibt, was geht, das muss sich wirklich zeigen.

    Aber bis dahin machen wir doch lieber das Beste draus - oder versuchen es wenigstens

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