Montag, 2. Oktober 2006

Datensammlung

Man stelle sich folgenden Brief vor:
"Schüler 42789-ADW4-FQOPP23-06, von der Mathestunde vom 13. April 2006 müssen Sie die Hausaufgaben nachreichen. Melden Sie sich morgen um 0900Uhr bei Ihrem Berater für gesellschaftliche Rehabilitation. Sie werden dort Ihre Beteiligung an der Demonstartion gegen Kinderarmut rechtfertigen. Bringen sie den Einkommensnachweis Ihrer Eltern mit, um die Höhe der Gebühren für die staatliche Kompensation Ihrer Verfehlungen festzulegen. Fernbleiben wird als Vergehen gegen den Staat geahndet und einen permanenten Vermerk als revolutionärer Störer der Gesellschaft in Ihrer Bürgerakte zur Folge haben."
Abwegig?

Während sich vereinzelt noch Bürgerrechtsaktivisten und Datenschützer über die zentrale Datensammlung von Terrorismusverdächtigen aufregen, passieren an anderer Stelle in Deutschland ganz andere Sachen mit sehr viel weitreichenderen Konsequenzen. Die Rede ist nicht etwa vom Kundenspionagesystem Payback oder der Aufhebung des Bankgeheimnisses oder dem Ratingsystem der Banken, sondern von unseren Schulen.

Die wollen nämlich ab 2008 eine bundesweite, zentrale Datensammlung aller Schüler anlegen. Darüber wird die Kultusministerkonferenz Mitte Oktober (wahrscheinlich positiv) entscheiden. In dieser Datensammlung werden nicht etwa nur Name und Wohnanschrift und schulische Leistung gesammelt, sondern noch ganz andere Daten, wie zum Beispiel Informationen über die Familie des Schülers wie z.B. die zu Hause gesprochene Sprache oder sozio-ökonomische Informationen. "Sozio-Ökonomische Informationen" sind Daten über das Einkommen und finanzielle Vermögen der Familie, über Arbeitsverhältnisse und Arbeitgeber und so weiter.

Natürlich sollen diese Informationen nur dazu verwendet werden, das Schulsystem in Deutschland zu verbessern - was ja auch langsam mal dringend notwendig ist. Aber damit nicht genug. Ein interner Bericht zu dieser Datensammlung besagt:
Im Interesse einer Gesamtbilanzierung von Bildungsergebnissen (die wiederum Grundlage für die Prognose weiterer Bildungsverläufe und Erträge wäre) wird dringend empfohlen, das Erhebungsprogramm auszuweiten auf Dispositionen für eine selbstständige Aufgabenbewältigung und für selbstreguliertes Lernen sowie auf selbst- bzw. (bei jüngeren Kindern) durch Bezugspersonen berichtete Orientierungen und Fähigkeiten im Bereich sozialer Kompetenzen. Bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sollten darüber hinaus informations- und kommunikationstheoretische Kompetenzen und die Bereitschaft zu politischem und sozialem Engagement erfasst werden.
Es soll also auch erfasst werden, wie selbständig der Schüler arbeitet, ob er eventuell ein unbequemer Freidenker ist, sich eventuell auch noch politisch engagiert - und in welcher Richtung - und wie es mit seinen "sozialen Kompetenzen" aussieht. Zu deutsch: Hat man es mit einem einfach zu formenden Ja-Sager oder einem unbequemen Querkopf zu tun, der eventuell auch noch kritische Fragen stellt?

Damit die Bevölkerung aber nicht zu sehr beunruhigt wird, werden sogenannte Identifikationsnummern eingeführt, über die die Datensätze anonymisiert werden sollen. Damit kann dann ja niemand mehr nachvollziehen, um welchen Schüler es tatsächlich gehe. Sicherlich. Wir ziehen uns ja auch die Hose mit der Kneifzange an und leben auf einer Scheibe. Es ist nämlich völlig aus der Welt, dass diese Identifikationsnummer ihren Weg auf Schülerausweis oder Zeugnis findet oder sonstwie auf anderem Wege wieder mit dem Schüler und seinem Datensatz verknüpft wird...

Statt endlich mal was am nicht nur maroden, sondern schon langsam zum Himmel stinkenden Bildungssystem zu tun, arbeitet man lieber an der umfassenden Überwachung der Schüler und ihrer Familien, damit das Schulsystem bloß nicht in Gefahr gerät, von innen heraus kritisiert zu werden.

(Quelle: Heise)

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